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Ausgabe:

1936

Spalte:

471-473

Autor/Hrsg.:

Böckmann, Paul

Titel/Untertitel:

Hölderlin und seine Götter 1936

Rezensent:

Zeltner, Hermann

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'Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 26.

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doch die unter dem Einfluß des heimatlichen Volkstums
zustande gekommene eigenartige Verarbeitung zu verkennen
oder hintanzusetzen. Es zeigt, wie in dem Dichtwerk
alles, durchaus theozentrisch, hinzielt auf das „göttliche
Geheimnis", dessen Inhalt die Durchsetzung des der
Vollendung harrenden Gottesreiches ist. Dem ordnet
sich „das wunderbare Tun des heiligen Krist" ein, den
Gott auf die Erde sandte, damit er der Menschheit das
ihr zur Strafe für die Gott zugefügte Beleidigung verloren
gegangene Licht der Gotteserkenntnis wiederbringe
und ihnen so das Himmelreich aufschließe, dessen Vollendung
Gegenstand des göttlichen Weltplanes ist. Diesem
entsprechend vollzieht sich das Tun des Krist
in fünf „Erweisungen": er macht den Anschlägen Satans
zum Trotz der Menschheit den Zugang zum Reiche Gottes
frei (1), er gewinnt anstelle des ihn verwerfenden
Judenvolkes das Christenvolk sich zu eigen (2), weist
ihm die aufwärts führenden Wege (3), stiftet zu seiner
geistlichen Versorgung das apostolische Amt (4) und
wird nach seinem Erdenleben in nunmehr unverhüllter
Gottheit das Letzte zur Vollendung des Gottesreiches
ausrichten (5).

Es ist klar, daß, wenn der Dichter die überlieferten
kirchlichen Lehren einfach übernimmt — und man
wird sich den dafür gebotenen Nachweisen kaum entziehen
können —, die Verschmelzung dieses Gutes mit
dem germanischen Erbgut viel problematischer wird,
als wenn er seine bisherige Frömmigkeit nur durch
seinen christlichen Gottesglauben hätte überhöhen oder
verklären lassen (man denke z. B. an v. Schuberts Auffassung
, die Schilderung Christi im Heliand sei einfach
eine verklärende Wiedergabe des altgermanischen Mythus
vom Heilbringer; Gesch. d. dtsch. Glaubens S.
40f.). Es ist weiter klar, daß dann das Problem einer
Germanisierung des Christentums im Heliand, die der
Verf. keineswegs etwa nur in der äußeren Form vorliegen
sieht, tiefer gesucht werden muß, als es gemeinhin
üblich geworden ist. Wie das zu geschehen
hat, wird zum Schluß an vier Beispielen erläutert: am
Ehrbegriff, an der Frage nach dem höchsten Gut, dem
Gottes- und Schicksalsglauben sowie dem Christusbilde.
So bedeutet das Buch gegenüber der landläufigen Auffassung
und Deutung des Heliand ein entschiedenes
Memento, das kein Theologe überhören sollte, den die
Frage des Verhältnisses von Christentum und Germanentum
beschäftigt.

Einige Druckversehen seien notiert, die zumeist nicht sinnstörend,
sondern nur Schönheitsfehler sind: S. 26 Anm. 1 lies „Matth. 27, 19/";
S. 73, Z. 11 von oben „bringe/z; S. 82 Anm. 1 „entwicke/te"; ebd.
„Schubert, Oesch. d. christl. Kirche im Frühmittelalter S. 293" (statt 239);
S. 87, Z. 15 von unten „gegenüber"; S. 100 Anm. 3 muß es heißen
„S. 8 Anm. 15" (statt 5).

Bonn. H. Lot her.

Böckmann, Paul: Hölderlin und seine Götter. München: C.
H.Beck 1935. (XI, 456 S.) gr. 8°. RM 12—; geb. 14.50.

Dieses Werk, die reife Frucht eines vieljährigen Umgangs
mit Hölderlin, bietet in seinen Interpretationen
wohl das Tiefste und Schönste, was bisher über H.
gesagt worden ist. Im Unterschied zu Diltheys Hölderlinaufsatz
, der sich vorwiegend mit den Frühwerken
beschäftigt, bilden für B. die späten Hymnen den eigentlichen
Ausgangspunkt der Untersuchung; aber um ihre
Vorstellungswelt wie ihre künstlerische Form zu erfassen
, verfolgt B. den Weg H.'s von den ersten Anfängen
aus. Die wichtigsten Stationen auf diesem Wege
sind Hyperion und Empedokles, deren Auslegung viele
schöne und wertvolle Beobachtungen ergibt, auf die
wir hier leider nicht eingehen können. Ein besonderes
Kapitel ist den philosophischen Fragmenten gewidmet.

Das Wertvollste an dem ganzen Buch aber ist seine
Problemstellung: die ganzen Untersuchungen beziehen
sich zuletzt auf Hölderlins Rede von den Göttern, die
B. aus dem Wesen der H.'sehen Dichtung und im
Zusammenhang mit seiner dichterischen Existenz zu
verstehen sucht. Wir wollen versuchen, die Einzelzüge

der H.'sehen Daseinshaltung, wie sie in den Interpretationen
zutage treten, kurz zusammenzufassen. Das
Verstehen setzt ein bei H.'s Loslösung von der christlichen
Tradition. Es sind nicht theoretische Gründe,
die ihn dazu bestimmen, sondern eine religiöse Not. H.
verlangt nach einer echten Verehrung der Daseinsmächte,
und er findet dazu auf christlich-kirchlichem Wege
immer weniger die Möglichkeit. Die Wurzel seiner Lebensauffassung
ist also eine tiefe Frömmigkeit. Dieser
Drang nach Verehrung geht aber bei ihm auf eigentümliche
Weise zusammen mit dem Ringen um einen festen
Halt im Leben. Seine starken Gefühlskräfte suchen
nach einer bleibenden Ordnung, an der sie sich zu orien-
i tieren vermögen. Die Gefühlsordnung und die sie garan-
; tierenden Mächte sind das Heilige für seine Frömmigkeit
. H. findet die Gefühlsordnung im Natur- und
Schicksalsglauben. Aber es ist für den existenziellen
Ursprung dieses Glaubens charakteristisch, daß er sich
konzentrisch von der eigenen Lebenssphäre aus entwickelt
. Die Religiosität H.'s entspringt aus der Bindung
an Familie, Volk und Heimat. Die Natur, bereits
in der Frühzeit vom Schöpfungsglauben her mit Inbrunst
ergriffen, gilt H. als Urbestand des Lebens
und als Macht, die über dem Leben waltet. Aus diesem
Rahmen fällt auch das Verhältnis zu Griechenland nur
scheinbar heraus: die Sehnsucht nach Griechenland
wächst erst, als die Heimat sich dem Drang nach neuen
Verehrungsmöglichkeiten verschließt. Die alte Welt ist
in Trümmern, die neue Welt befriedigt nicht, das ist,
wie B. sagt, die Grunddialektik in H.'s Besinnung
über das Griechentum. So kommt es zu dem mythischen
Geschichtsverhältnia, aus dem H.'s Schicksalsbewußtsein
entspringt: Griechenland, zunächst sehnsuchtsvoll ergriffenes
Symbol der echten Gottesverehrung, wird zum
Unterpfand der Hoffnung auf einen neuen Göttertag
nach der Nacht, die auf dem Untergang der antiken
Götterwelt hereingebrochen ist.

Aus Naturverehrung und Schicksalsglauben erwächst
die neue Form des mythischen Sagens. Dafür ist vor
allem der Gebrauch der Götternamen charakteristisch.
In den Gedichten der Frühzeit ist viel von Gott und
den Göttern die Rede, aber noch ganz in der symbolischallegorischen
Weise wie etwa bei Schiller. Dagegen tritt
die Bezeichnung „Gott" gänzlich zurück, als H. um
eine neue Weise der Gottesverehrung zu ringen beginnt,
und erst als sich eine neue lebendige religiöse Erfahrung
im Umgang mit den Lebensmächten ihren Ausdruck
sucht, kehrt der Göttername wieder. So ist der "Hyperion
" ein erster tastender Versuch, wieder verantwortungsvoll
vom „Gott" zu sprechen. Dieses neue mythische
Ansprechen ist situationsgebunden wie die Religiosität
, deren Ausdruck es ist. So wird auch Christus
später ganz von der eigenen, durch das neugewonnene
Verhältnis zu den antiken Göttern bestimmten Lebenssphäre
aus angesprochen.

Daß dies alles nicht etwa unverbindliche Redensarten
sind, dafür gibt das Buch von B. eine interessante
Gegenprobe in den eingestreuten Untersuchungen über
die stilistische Eigenart H.'s. Die Unterscheidung von
symbolischer und mythischer Form wird eindrucksvoll
an einem Vergleich der Rheinhymne mit Goethes Stromgedicht
(Mahomets Gesang) durchgeführt: für Goethe
i ist der Strom ein frei gewähltes Symbol gesteigerten
Selbstgefühls, während H. ganz in dem feiernden Ansprechen
der Naturmächte sich hält (400). Schön ist
die Charakterisierung der mythischen Form als gleitender
Verknüpfung: nicht wie beim Symbol gehen Bild
und Bedeutung auseinander hervor, sondern die sinn-
; liehe Anknüpfung führt weiter in immer neue Bedeu-
| tungshorizonte (329), sinnliche und geistige Momente
i sind auf ganz freie Weise miteinander verschmolzen
j (356). Damit ist zugleich H.'s Stilverwandtschaft mit
I Pindar und dem späten Rilke treffend gekennzeichnet.

So erschließt B. das Verständnis für die Verwur-
i zelung der H.'sehen Dichtung in einer Frömmigkeit,