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Ausgabe: | 1936 Nr. 26 |
Spalte: | 469-470 |
Autor/Hrsg.: | Gutbrod, Walter |
Titel/Untertitel: | Die paulinische Anthropologie 1936 |
Rezensent: | Behm, Johannes |
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469
Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 26.
470
Gutbrod, Dr. theol. Walter: Die paulinische Anthropologie. Stuttgart
: W. Kohlhammcr 1934. (VII, 255 S.) gr. 8°. = Beiträge zur
Wissenschaft vom A. und N.T., hrsg. von A. Alt und O. Kittel,
4. Folge Heft 15. RM 12 -.
Einzeluntersuchungen zur Anthropologie des Paulus
sind in neuerer Zeit mannigfach angestellt worden. Eine
Oesamtdarstellung fehlt. Die vorliegende Tübinger
Preisarbeit und Doktordissertation ist ein bemerkenswerter
Versuch, die Lücke zu schließen.
O. geht aus von der Erkenntnis, daß sich bei Paulus
keine Lehre vom Menschen in irgend einem allgemeinen
Sinne findet, wohl aber eine Anschauung vom Menschen
hinsichtlich seines Verhältnisses zu Gott, eine „theolo- ;
gische Anthropologie": Paulus sieht den Menschen vor
iott, er gewinnt seine Anschauung vom Menschen aus
der Offenbarung Gottes in Christus. Daher bestimmt
O. seine Aufgabe dahin, „zu untersuchen, was der
Mensch ist durch sein Verhältnis zu Gott, oder besser: 1
durch Gottes sich zu ihm Verhalten". Er ist einerseits
der „alte" Mensch, der Mensch der Sünde unter
dem Zorn Gottes, andererseits der „neue" Mensch,
der Mensch des Glaubensgehorsams unter der Gnade j
Gottes. Damit sind die beiden Hauptteile für die Dar-
Stellung der Anthropologie des Paulus gegeben. Ihnen
wird — um dem Gedanken der Schöpfung gerecht zu
werden, auf dem das theologische Denken des Paulus
überhaupt beruht, und um das zum Verständnis der
paulinischen Anthropologie notwendige Material an Be- |
griffen und Gesichtspunkten bereitzustellen — ein 3.
bzw. 1. Teil vorausgeschickt, der vom „natürlichen" j
Menschen handelt.
Demgemäß werden im 1. Teil („Der „natürliche"
Mensch") erörtert „Das Sein und Wesen des Menschen
" („Die Schöpfung": der von Gott geschaffene
Mensch Gott unterworfen und verantwortlich, Sein aus
Gott, Ziel in Gott; „Das Vor-Gott-Stehen des Men- !
sehen"; „Der Begriff des Lebens": Zuständlichkeit und
Akt; „Die Gleichheit der Menschen vor Gott") und
„Die einzelnen Seiten des Menschen" („Die Leiblichkeit
des Menschen", in der sowohl die Konkretheit und die
Tatsächlichkeit des menschlichen Daseins gegeben als
auch die Konkretheit und Tatsächlichkeit des menschlichen
Gehorsams gefordert ist; „Der „innere Mensch"":
Wille, Denken, Gewissen, Herz, M"7.>'|. menschliches jcveßiia,
„Das Verhältnis von „äußerem" und „innerem" Men-'
sehen": der ganze Mensch nach allen Seiten seines
Wesens von Gott geschaffen und zum Gehorsam gegen i
Gott aufgerufen; „Der Mensch als Fleisch"). Der 2. |
Teil („Der Mensch der Sünde unter dem Zorn Gottes")
stellt „Das Wesen der Sünde des Menschen" („Die
Sünde in ihrer Richtung gegen Gott"; „Der Zorn Gottes
" ; „Die Sünde und der Sünder"; „Der einzelne Sün- j
der und die Gesamtheit") und „Die Verderbnis des |
Menschen in der Sünde" dar („Das Verhältnis von Sünde !
und Fleisch"; „Der Leib und die Sünde"; „Der „innere !
Mensch" und die Sünde": alle Seiten des Menschen sind
in Mitleidenschaft gezogen, wenn er unter der Sünde
steht, auch der „innere Mensch"). Im 3. Teil („Der
Mensch des Glaubensgehorsams unter der Gnade Gottes
") werden beschrieben „Das Wesen des „neuen
Menschen"" („Die grundlegende Gottestat": Vergebung
der Sünde aus freier Gnade Gottes, Rechtfertigung,
Versöhnung und — als eine gewisse Parallele dazu — J
Erwählung, Berufung; „Das neue Leben aus Gott":
der Mensch „in Christus", eschatologisches und im
Glauben schon in der Gegenwart vorhandenes neues !
Leben, Verhältnis von Gerechtigkeit und Sein in Christus
, von gefordertem und geschenktem neuem Leben;
„Das neue Leben und der heilige Geist": Geist und
neuer Gehorsam) und „Die Erneuerung des ganzen Menschen
" („Der neue Mensch und das Fleisch'r; „Die neue
Bedeutung der Leiblichkeit"; „Die Erneuerung des in-
neren Menschen; „Die neue Bedeutung des Todes").
Das Neue und Wertvolle an G.s Buch gegenüber den j
älteren Darstellungen ist der Grundgedanke und seine I
folgerichtige Durchführung. Es geht in der paulinischen |
Anthropologie nicht um eine Lehre vom Menschen an
sich oder für sich, nicht um die allgemeinen Begriffe,
in die etwa Paulus seine Gedanken über den Menschen
kleidet, sondern um die Gesamtposition des Menschen
in der Glaubensanschauung des Paulus, um die Seinsund
Werturteile, die der erste christliche Theologe auf
Grund seiner Erkenntnis der göttlichen Heilsoffenbarung
über den Menschen fällt. Die Anthropologie ist kein
Kapitel aus den Prolegomena oder einem Anhang, sondern
ein Durchblick durch das Ganze der Theologie
des Paulus, der die Bezogenheit all seines Glaubensdenkens
auf die dem von Gott geschaffenen, aber der
Sünde verfallenen Menschen geltende Offenbarung der
Gnade Gottes in Christus zeigt. Diesen Durchblick hat
G. mit feinem Verständnis und scharfer Erfassung des
Wesentlichen wiedergegeben. Die Darstellung ist, wo
immer nötig, solide exegetisch begründet und fördert
durch ihr kundiges, im Urteil sicheres Eingehen auf
die Probleme der neueren Forschung das theologische
Paulus-Verständnis. Daß die theologische Anthropologie
des Paulus aus sich selbst heraus begriffen werden
kann, ohne begrifflicher Stützen aus der philosophischen
Terminologie der Antike oder der Neuzeit zu bedürfen
, zeigt G. auch durch seine Ausdrucksweise, die
sich von der Unart der Eintragung moderner philosophischer
Begriffe in die Paulus-Deutung erfreulich fern
hält und ihre Formeln aus der Sache selbst gewinnt.
Darin wie nicht selten auch in der Exegese und in der
ganzen theologischen Haltung wird der Einfluß Schlatters
erkennbar. Daß in G.s Darstellung die Loci der
herkömmlichen Behandlung der paulinischen Anthropologie
durchweg zerschlagen sind, ist kein Unglück; das
nach der Anlage des Buches über verschiedene Abschnitte
zerstreute Material läßt sich mit Hilfe der Register
leicht überschauen. Zu einzelnen Begriffen, die
Träger wesentlicher anthropologischer Gedanken des
Paulus sind, hätte mehr gesagt werden können. So z. B.
zu i'v»'). Der (biblische? jüdische? hellenistische?) Vorstellungshintergrund
wird nur selten angedeutet. Auch
die theologische Linie, die dem Vf. mit Recht das Wichtigste
ist, ließe sich über Paulus hinaus ziehen, nach
rückwärts wie nach vorwärts, und damit ein Maßstab
gewinnen für Vergleich und Urteil über das Ganze der
paulinischen Anthropologie. Aber was immer noch zu
erarbeiten übrig bleibt — G. hat einen guten Wurf getan
, dessen Tragweite man um so höher einschätzen
wird, je gründlicher man ihm nachgeht.
Berlin. J. Behm.
Wicke, Oberkonsistorialrat a. D. Hermann: Das wunderbare Tun
des heiligen Krist nach der altsächsischen Evangelien-
harmonie. Eine Einführung in das Verständnis des „Heliand".
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1935. (101 S.) gr. 8°. RM 3.80.
Die vorliegende Untersuchung verdient innerhalb der
sehr umfangreichen neueren Literatur über den Heliand
besondere Beachtung. Ihr Verfasser ist vertraut mit der
altkirchlichen und frühmittelalterlichen theologischen Literatur
, zugleich aber auch des Altsächsischen mächtig.
Er kann daher auf den Urtext zurückgehen, gleichzeitig
aber auch die Einordnung des Werkes in den theologischen
Zusammenhang vornehmen, während sonst meist
dem Theologen das erste, dem Germanisten das zweite
nicht möglich ist. Und dazu kommt ein Weiteres: Gegenüber
der seit August Vilmar üblich gewordenen, in
gewissem Sinne auch durch Hans v. Schubert geförderten
Auffassung des Werkes als Schilderung des glorreichen
Zuges eines herrlichen Volkskönigs durch sein
Land, die gerade in populären Schriften heute sehr beliebt
ist, weist dieses Buch dem Verständnis neue Wege.
Es leitet, eine Anregung Jellineks durchführend, dazu an,
zu unterscheiden „zwischen dem, was der Dichter
eigentlich sagen will, und dem der epischen Volkspoesie
entliehenen Gewände, in das jenes gekleidet wird". Es
weist den inhaltlichen Zusammenhang mit der Lehrüberlieferung
und der seit Augustin üblichen, inzwischen weiterentwickelten
Form der Volksunterweisung nach, ohne