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Ausgabe:

1936 Nr. 26

Spalte:

467-468

Titel/Untertitel:

Symbolae Osloenses auspiciis societatis Graeco-Latinae; Fasc. IX - XII 1936

Rezensent:

Behm, Johannes

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467

Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 26.

468

Die Bedeutung solcher Vergleichung, die heute weniger
nach Abhängigkeiten fragt als wertet, besteht in der
scharfen Erfassung der Eigenart des Phänomens Christentum
. Juhnke hat für seine Zwecke den christlichen
Erlösungsgedanken ausgewählt und fragt nach der Art
der Erlösung des stoischen Weisen, um sie von der
paulinischen Erlösungslehre aus zu werten.

Die Arbeit zerfällt in drei Teile. Der erste entwirft
ein Bild des Weisen der neueren Stoa, achtet auf Abweichungen
Senekas von Epiktet, gibt einen Rückblick
auf die alte Stoa, äußert sich über die Frage der Erreichbarkeit
des Ideals und wirft einen Blick auf das
Weisenideal bei Philon. Im zweiten deckt J. die mannigfachen
inneren Widersprüche im Bilde des Weisen' gegenüber
den Mitmenschen und den übermenschlichen
Gewalten auf. Der dritte Abschnitt ist der Hauptteil.
J. weist die Unterschiede nach, die zwischen dem stoischen
und paulinischen Freiheitsbewußtsein bestehen,
und gibt die Möglichkeit einer formalen Anlehnung des
Paulus an die Stoa zu. Der stoische Erlösungsweg
bedeutet einen Aufruf an den Willen. Es fehlt bei den
Stoikern nicht an Äußerungen, die zeigen, daß ihren
Idealgestalten mehr als bloß vorbildliche, nämlich erlösende
Kraft zugeschrieben wurde; aber sie können
keine nur irgendwie dem christlichen Erlöser gleichkommende
geschichtliche Gestalt aufweisen. Auch muß die
verschiedene Auffassung der Sünde die Erlösungssehnsucht
bei beiden verschieden gestalten, und die durch
die Erlösung erzeugte Neuwerdung zeigt sich bei beiden
nach ihrem Verhältnis zum Mitmenschen, zum Leide
und zum Tode verschieden. Die Erlösungssehnsucht
des Paulus hängt mit seiner eschatologischen Hoffnung
zusammen, während die stoische Eschatologie für
diese Frage bedeutungslos ist.

Der Verfasser hat sich seiner Aufgabe mit Fleiß
und Geschick gewidmet. Von Vertretern der neueren
Stoa läßt er Hierokles und Mark Aurel unberücksichtigt
, „da sie zeitlich dem paulinischen Schrifttum zu
fern stehen". Die Arbeit zeigt aber, daß ihr Verfasser
über die zeitgenössische auch auf die alte Stoa zurückgreifen
muß, von der Epiktet abhängt. Ähnlich steht
aber auch Seneka auf den Schultern Früherer. Diese
Beziehungen werden nur gelegentlich gestreift. Wenn
J. z. B. das Vorwort zum 1. Buche der Naturales quae-
stiones des Seneka heranzieht (S. 15), so läßt er die
posidonianische Färbung dieses Stückes aus dem Spiel.
Kaiser Markus aber steht Paulus zeitlich nicht ferner
als Poseidonios. Der Anlaß der Bevorzugung der gar
nicht einheitlichen neueren Stoa und darin wieder des Seneka
und Epiktet ist also nur ein äußerer.

J. benutzt für Heraklits Homerische Allegorien die längst überholte
Ausgabe von N. Schow (1782); daher erklärt sich die unzutreffende Angabe
Allegoriae Homericae Heraclidis. — Die Arbeit wimmelt leider von
Druckfehlern j besonders sind die lateinischen und griechischen Zitate
mit großer Willkür behandelt: es finden sich Umstellungen von Worten,
Auslassungen von Buchstaben, Zeichen und Worten, Verschreibungen.
Demgegenüber berührt eine einzige auf einem Zettel beigegebene Druckfehlerberichtigung
eigenartig.

Northeim._O. Breithaupt.

Symbolae Osloenses auspiciis societatis Graeco-Latinae. Ediderunt
S. Eitrem et Ounnar Rudberg. Fase. IX-XII. Oslo: A. S.
Some & Co. 1930/33. (114, 179, 114 und 101 S.) gr. 8". je Kr. 4—.
Die vorliegenden Hefte der von „Nansenfondet" getragenen
Sammlung bieten wieder in erster Linie reichhaltige
Beiträge aus den verschiedensten Gebieten der
griechischen und lateinischen Altertumswissenschaft, über
die hier nicht im Einzelnen zu berichten ist. Hervorgehoben
seien wegen ihres religionsgeschichtlichen Inhalts
die weit ausholenden, gründlichen Studien von S.
Eitrem „Zur Apotheose" (X, 31—56; XI, 11—34);
„Verkleidung und Göttermahl" (aus privaten Kultmahlen
, deren Teilnehmer sich als Götter kostümieren, erwachsen
im Herrscherkultus entsprechende Göttermahle
als Vorrecht der Dynasten); „Die Inschrift aus Gy-
theion" (Lectisternium für den toten Augustus, für
Livia und Tiberius; Germanicus und Drusus werden

1 als Göttinnen gefeiert); „Caligula" (die wechselnden
! Erscheinungen seiner Selbstapotheose); „Die heilige
| Ehe" (das Motiv der Götterehe im Herrscherkult, er-
I örtert an Caligulas „Ehe mit der Mondgöttin" und
Analogien); „Das" göttliche „Herrscherblut und die"
heilige „domus Augusta". Auch S. E i t r e m s Aufsatz
„Sophron und Theokrit" (XII, 10—29), der den
Hekatezauber in dem Sophronfragment von Oxyrhyn-
| chos behandelt und die Unterschiede zwischen Sophrons
Mimus und Theokrits Pharmakeutriai herausstellt, da-
| zu in einem Exkurs (S. 30—38) die Behandlung desselben
Themas in der 5. und 17. Epode des Horaz
bespricht, ist religionsgeschichtlich interessant. Den
Theologen gehen, außer dem kleinen Beitrag zur LXX-
Grammatik von K. Weier holt, „Zum Ausdruck oi
jteoi xiva in den Makkabäerbüchern" (XI, 69—71), die
neutestamentlichen Untersuchungen unmittelbar an. L.
Brun, „Zur Kompositionstechnik des Lukasevangeliums
" (IX, 38—50) geht der Beobachtung nach, daß
sich im 3. Evangelium weithin paarweise nebeneinandergestellte
Erzählungs- und Redestücke finden, und meint,
ein „System des Parallelismus, der Seitenstücke und
Gegenbilder", in der literarischen Komposition des Buches
erweisen zu können. Nicht alle Paarungen, die B.
sieht, leuchten ein; manche stammen auch wohl schon
aus den Quellen des Lukas; auf die Apgsch. scheint
das Prinzip nicht anwendbar zu sein — und doch
ist an der These etwas Richtiges, das durch analoge
Untersuchung von Schriften aus der Umwelt des Lukas
vielleicht noch schärfer zur Darstellung gebracht werden
könnte. Derselbe unterwirft „Die Berufung der
erster. Jünger Jesu in der evangelischen Tradition"
einer traditionsgeschichtlichen Analyse (XI, 35—54), deren
(allgemeingültiger?) Ertrag die an der Lukas-Tradition
gewonnene Erkenntnis ist, daß nicht nur die Wont-,
sondern auch die Geschichtenüberlieferung der Evangelien
mosaikartigen Charakter hat und durch Verbindung
oder Zusammenwachsen verschiedener, ursprünglich
selbständiger Traditionselemente entstanden
ist. A. Fridrichsen, „ "Ao-ro? ejuoüo-ioc,. Eine Nachlese
" (IX, 62—68) referiert über Beiträge zur Ejuoumoc-
Frage aus den Jahren 1924—1930; sein eigenes Non
liquet ist inzwischen in die neueste umfassende Erörterung
des Problems durch W. Foerster (Theol. Wörterbuch
zum N..T. II, 595) übernommen worden. Unter
dem Titel „Epikureisches im N.T.?" (XII, 52—56)
erörtert derselbe Phil. 2,6 f. und wiederholt seinen
Vorschlag, statt des viel umstrittenen atm«YH"v ÄJipaY-
uov zu lesen, das im Sinne der epikureischen theologischen
Terminologie zu verstehen sei: „der Christus
in seiner himmlischen Herrlichkeit und Seligkeit wollte
kein deus otiosus sein, was ihm leicht möglich wäre,
sondern nahm auf sich alle die tcq6.-huj.xu, die die menschliche
Existenz als solche bedrücken" — eine Deutung,
die auch um des Gedankenzusammenhangs willen ernsthafte
Erwägung wert ist, wenn man wirklich eine Emendation
für uQJtaYi«yv für nötig hält. Zu dem euutöv
exEvtooEv spricht Fr. ohne näheren Nachweis die Vermutung
aus, es handle sich um einen mythisch-gnosti-
schen Terminus, der auf Jesu Stellung im Geisterreich
; Bezug nimmt: „Er verzichtete auf seine Hoheitsstel-
'< lung in der Geisterwelt, machte sich zu einem Nichts
in den Augen der (xqxovtec. xoB xöruiou xovxov". Demselben
I schwierigen Ausdruck ist der Beitrag von K. Petersen
„'EnuTÖv ExevcooEv Phil. 2,7" (XII, 96—101) gewidmet,
nimmt aber auf Fridrichsen nicht Bezug und beschränkt
sich.unter Berufung auf Ruth 1,21; Luk. 1,53; 2. Kor.
8,9; Phil. 2,8, auf die sprachliche Deutung von exe-vw-
oev = extwxeuoev (etoutelvooev). — Die X, 157—179 beigegebenen
Indices zu Fase. I—X, von L. Amunds en,
sind auch für den Theologen ein willkommener Schlüssel
zu dem beachtlichen Material, namentlich für die
neutestamentliche Wissenschaft, das die ersten 10 Hefte
der Symbolae Osloenses in sich bergen.

Berlin. J. Behm.