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1936 Nr. 25

Spalte:

459

Titel/Untertitel:

Jahrbuch der Theologischen Schule Bethel; 6 1936

Rezensent:

Usener, Wilhelm

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459

Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 25.

460

Jahrbuch der Theologischen Schule Bethel. Sechster Band 1935.
Hrsg. von W. Brandt. Bethel-Bielefeld: Verlagshandlung der Anstalt
. (144 S.) 8°. geb. RM 2.60.

Die Theologische Schule in Bethel legt in diesem
Buch in guter Ausstattung den sechsten Band ihres Jahrbuches
vor, er bringt im ersten Teil wissenschaftliche
Beiträge, während der zweite Teil überschrieben ist.
„Aus Leben und Geschichte der Theologischen Schule".
Nach einem Vorwort des Leiters Brandt handelt Ernst
K1 e ß m a n n von Seelsorge an Geisteskranken
im Licht der heiligen Schrift. Er geht
den Erzählungen von Besessenheit im A. und N.T.
nach und findet Angaben des N.T. in späteren Zeiten
(z. B. Justinus Kerner, der ältere Blumhardt) bestätigt.
Im einzelnen bleibt hier doch manches Fragezeichen.
Den ärztlichen Bestrebungen räumt er ihr volles Recht
ein, will aber mehr Mut zur wirklichen Seelsorge an
Geisteskranken vom Worte Gottes aus machen. Den Ausführungen
liegen Gedanken eines Referats vor Anstaltsvorstehern
zu Grunde. Robert Frick, der
Herr der Geschichte, grundsätzliche Erwägungen
zum Eingang eines kirchengeschichtlichen Kollegs, will
Kirchengeschichte als wirklich theologische Angelegenheit
verstehen lehren. „Kirchengeschichte ist die Geschichte
des Wortes Gottes und seiner Bezeugung".
Beiträge zur biblischen Begründung der
Mission bietet Gottfried Simon, von dem auch
die in die Tiefe führende Predigt beim Abschiedsgottesdienst
des W. S. 1934/35 über 5. Mose 8,5 beigesteuert
ist. Er weist darauf hin, daß die Zurückweisung
der vielverbreiteten Einwände gegen die Mission doch
nur für den stichhaltig ist, der selbst dem Evangelium
glaubt. Die biblische Begründung wird in interessanter
Weise an den Urgeschichten der Genesis und den
Abrahamsgeschichten zu zeigen versucht, um dann von
der Stellung Jesu zur Mission und der Mission der neu-
testamentlichen Gemeinde zu handeln. Ob das allerdings
richtig ist, daß der Hauptmann von Kapernaum
nicht zu den Proselyten gehört hat?

Der zweite Teil bringt neben Berichten aus der Arbeit
der Theol. Schule, Statistik, Vorlesungsverzeichnis
usw. den Abdruck der originellen Broschüre des Gründers
der Theol. Schule D. Fr. v o n Bodelschwingh,
die s. Z. manchen berechtigten Widerspruch gefunden
hat: Wie kämpfen wir siegreich gegen die
Jesuitengefahr? Hier hat er im zweiten Teil
seine Gedanken über die Gründung einer theologischen
Schule und ihre Ziele auseinandergesetzt.

Halle a. S.__ Wilhelm Usener.

Köberle, Prof. Dr. Adolf: Evangelium und Zeitgeist. Studien
zum Menschenverständnis d. Gegenwart. Leipzig: Dörffling & Franke
1934. (186 S.) 8°. RM 4—; geb. 4.80.

Sechs Aufsätze werden hier, zu einem geschlossenen
Ganzen geordnet, teils als Erstdrucke, teils in
Neubearbeitung vorgelegt, alle erwachsen aus der „doppelten
Sorge", „daß die Kirche vom Zeitgeist nicht verschlungen
wird", wie aus der anderen, daß sie „an den
großen, bewegenden Zeitfragen nicht vorübergeht, . .
nicht zur Winkelkirche wird, unlustig und unfähig in
das Volks- und Zeitgeschehen ringend und richtend,
helfend und heilend, aufbauend und befreiend einzugreifen
" (12). So findet „das zeitüberlegene Wort der
Kirche" seine Ergänzung, seine Betätigung im „zeitverantwortlichen
Dienst der Kirche". Schon die Reihenfolge
der Einzelaufsätze: (I) Menschengeist und Gottesgeist,
(II) Evangelisches und humanistisches Menschenverständnis
in der Gegenwart, (III) das Wort vom Kreuz
und der deutsche Mensch, (IV) Abkehr vom Evangelium
und moderne Religionsbildung, (V) Glaube, Aberglaube
und Unglaube im geistigen Ringen der Zeit, (VI) Das
Zeitproblem im Lichte der christlichen Ethik, läßt erkennen
, wie hier von der grundsätzlichen Erörterung der
Weg hin zum praktisch Gestaltbaren gegangen wird.
Der Wert des Buches liegt nicht so sehr darin, daß
neuartige theologische Erkenntnisse vorgetragen werden,

wie vielmehr in seiner praktischen Hilfsbereitschaft. Dadurch
werden auch die grundsätzlichen Darlegungen vor
abstrakter Gedanklichkeit und Redeweise bewahrt. K.
sieht, in Luthers Gefolgschaft, die für die theologische
Haltung und Gedankenführung des Buches durchaus
bestimmend ist, „das Wie der Verkündigung" für nicht
geringer an als das „Was". Das „Versagen in der
sprachlichen Form der Verkündigung" ist ihm — neben
mangelnder Seelsorge und Seelenführung, neben dem
Unterlassen lebendiger Gemeindegestaltung — für den
„Massenabfall in- und außerhalb der Kirche" kaum ein
geringerer Grund als „der erschütternde Substanzverlust
der Theologie", obwohl er diesen „an erster Stelle"
nennt (10f.). Wenn K. als Richtlinie aufstellt: „Das
Evangelium möchte hier missionarisch verkündet werden
im steten Gespräch mit einem Gegner" (12), so ist dieser
Gegner vornehmlich zu suchen in den geistig-religiösen
Zeitmächten, denen „die christliche Erkenntnis
entgegenzutreten hat mit einer universalen Beurteilung
des Weltganzen, wie sie sich aus den Ursetzungen und
Urzusammenhängen der biblischen Wahrheitsschau ergibt
" (9); der Gegner aber findet sich auch in einer
Theologie, die „in einer überzeitlichen Unbeteiligtheit
schweigt zu den Problemen, die von einer Zeit, von
einem Volk als die allerbrennendsten empfunden werden
" (9). So stellt sich dies Buch dem „Geschichtsgericht
der Kirche, das wir heute durchleben" (10) — und
gewinnt gerade dadurch die große Freiheit, Unbekümmertheit
und, wenn man so will, barmherzige Überlegenheit
, um die Zeitmächte und Zeitfragen unbefangen
ernst zu nehmen. So etwa ist „das Hohelied vom Menschengeist
", das im I. Aufsatz der Darstellung des qualvollen
Geistproblems voraufgeht, so ist im II. Autsatz
der Aufweis der „gemeinsamen Verbundenheit" von Humanismus
und Christentum nicht schwächliche Konzession
an den Zeitgeist, sondern sachliches, eingehendes
Verstehen. Wenn es einmal (im V. Aufsatz) heißt:
„Für die Art der Auseinandersetzung hat uns die Seelsorge
Jesu in den Tagen seines Erdenwandels vorbildlich
zu bleiben . . . Wir dürfen nicht mit donnernden Gerichtsszenen
über den modernen religiösen oder areligiösen
Menschen herfallen. Es könnte sonst sein, daß
wir als Christenheit die Gerichteten sind und nicht
die anderen. Wir müssen es lernen, uns zunächst geduldig
und verstehend in das leidenschaftlich bewegte
Suchen und Kämpfen der Gegenwart hineinzudenken,
hineinzuversenken. Erst dann, wenn wir wirklich gesehen
haben, wer uns gegenübersteht, können wir darauf den
ganzen Ernst und die ganze Klarheit des Evangeliums
wie einen brennenden, hellscheinenden Lichtkegel fallen
lassen" (112), so bezeichnet dieser Satz aufs beste,
was man an umfassender Wirklichkeitsschau und an Ausrichtung
des evangelischen Auftrages von diesem Buch
zu erwarten hat. Auch scharfe Auseinandersetzungen
(wie mit Ernst Bergmann im IV. Aufsatz u. a.) werden
nie unsachlich. — Das hat seinen tiefsten Grund darin,
daß die Theologie crucis, für deren Darstellung K. oft
eine neuartige, von gebräuchlichen Vokabeln freie Form
gegeben ist, den theologisch-kirchlichen Mittelpunkt aller
Beiträge ausmacht. Der III. Aufsatz „Das Wort vom
Kreuz und der deutsche Mensch" (S. 67—86) hat auch
für heute unverminderte Bedeutung. Nicht in gleicher
Weise gilt das begreiflichermaßen bei der rasch wechselnden
Vordringlichkeit weltanschaulich-religiöser Einzelfragen
von allem, was sich dazu in der Situation
von 1934 sagen ließ. Doch gibt ein dreifaches, nämlich
die klare Erfassung des heutigen Menschen in seinem
oft widerspruchsvollen Grundtendenzen, die Weite des
Blickes, der sich bei K. nie bloß auf die deutsche Lage
einengt, und der feste Wille, mit allem und vor allem
dem Aufbau und der Gestaltung der Gemeinde zu dienen
, die Gewähr dafür, daß dies Buch auch bei einer im
einzelnen veränderten Aktualität heute wie damals einen
Auftrag zu erfüllen hat.
Lüneburg. Cohrs.