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Ausgabe:

1936 Nr. 23

Spalte:

427-429

Titel/Untertitel:

Der römische Katholizismus und das Evangelium 1936

Rezensent:

Lerche, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 23.

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hing der Fragen nach dem Wesen des Staates, nach
dem Verhältnis von Staat und Volkstum, von Rechtsstaat
und Kulturstaat, von Kulturstaat und nationalem
Staat und demgemäß in weitem Umfange auch die Behandlung
der Kriegslage falle. Und die nähere Begründung
dieses Urteils habe ich inzwischen in meiner kleinen
Schrift „Deutscher Staat und evangelische Kirche"
(Göttingen, Vandenhoek u. Ruprecht, 1934) in der Auseinandersetzung
mit den „Schweizer Theologen" (Barth
u. Brunner) gegeben.

Bei dieser Lage der Dinge war daher meine Spannung
recht beträchtlich, als mir die neue Auflage der
Brunnerschen Ethik zur Anzeige angeboten wurde. Um
so größer war meine Enttäuschung, als bereits das
Titelblatt die neue Auflage als eine unveränderte (photomechanisch
gedruckte) erkennen ließ. Ich könnte es
jetzt also bei dem Rüekverweis auf meine frühere Besprechung
bewenden lassen.

Indes der skizzierte Tatbestand selbst verlangt eine
neue Äußerung; und zu ihr nötigen zugleich auch weitere
literarische Kundgebungen Brunners, die in der Zwischenzeit
erfolgt sind.

Es ist doch höchst befremdlich und fast unverständlich
, daß Brunner noch nach dem großen Umbruch
der deutschen Geschichte abstrakte Ideologien über Staat
und Volkstum unverändert abdrucken läßt, die bereits
bei ihrem ersten Erscheinen einem vergangenen Zeitalter
und einem überholten Denken angehörten — einem
Denken, das von Verantwortung für die — zur Schöpfungsordnung
und zum Vorsehungswalten Gottes gehörige
! — völkische Gesamtexistenz nichts weiß. Und
es ist doppelt bedauerlich, daß Brunner diese Denkweise
neuerdings auch in Sammelwerken der ökumenischen
Bewegung zum Ausdruck bringt, in denen er von den
Ausländern zweifellos der deutschen Theologie zugerechnet
wird. Das gilt z. B. für Brunners Beiträge in
dem Sammelband „Die Kirche und das Staatsproblem
der Gegenwart", der von der Forschungsabteilung des
ökumenischen Rates für Praktisches Christentum herausgegeben
ist und durch den Furche-Verlag in Berlin
vertrieben wird. Zum Beleg hebe ich aus Brunners
in diesem Sammelband erschienenen Aufsatz „Kirche
und Staat" (S. 10 ff.) zwei die Gesamtdenkweise auch
seiner „Ethik" kennzeichnende Sätze heraus.

1. „Staatsbegeisterung ist ein durchaus heidnisches
Phänomen". In Wirklichkeit gibt es aber außer heidnischer
Staatsbegeisterung auch spezifisch christliche
Staatsbegeisterung, wie wir sie z. B. bei Ernst Moritz
Arndt, Schleiermacher, dem Freiherrn vom Stein, bei
Bismarck u. A. finden.

2. „Der Staat ist in keinem Falle eine Schöpfungsordnung
wie die Ehe, sondern eine „Sündenordnung"
d. h. eine Ordnung, die einzig und allein (!) in
dem Sündiggewordensein der Menschen ihren Grund
hat." Sobald man den Staat der konkreten Wirklichkeit
gemäß zu Volk und Volkstum in Beziehung setzt, ihn
also als die Organisationsform des betreffenden Volkes
faßt, steht dieser Satz im schärfsten Widerspruch zu
der Denkweise des Neuen Testamentes (Apostelgesch.
XVII, 24ff.), — von der Staatsauffassung Luthers und
der Reformation ganz zu schweigen.

Berlin. G. Wobbermin.

Der römische Katholizismus und das Evangelium. Reden geh.
a. d. Tagung christl. Akademiker Freudenstadt 1930 v. H. W. Beyer,
K. Fezer, E.Hirsch, H. Rückert. Stuttgart: Calwer Vereins-
buchh. 1931. (175 S.) gr. 8°. kart. RM 4- ; geb. 5.50.

Die Anzeige dieses Buches hat sich aus verschiedenen
hier nicht zu erörternden Gründen über Gebühr
verzögert. Wir stehen heute Tagungen christlicher Akademiker
mit anderen Voraussetzungen gegenüber als
1930. Freilich haben wir auch in diesen Jahren immer
wieder und wieder erfahren dürfen, daß das Gemeinsam
-Christliche in allen Kirchen, die wir mit unserer
Empirie umfassen, wertvoll und lebenswichtig ist: aber
dies Gemeinsam-Christliche darf dann eben doch nur

das Evangelische und zwar das Nur-Evangelische allein
sein, und darum ist es immer wieder und wieder nötig,
dies Evangelische gegenüber dem Römischen abzugrenzen
. Qabei darf es sich aber nicht um die „Wahrung
deutsch-protestantischer Interessen" handeln. Die Wahrung
deutscher Belange wird ja seit der Freudenstädter
Tagung von der einzig dafür zuständigen Stelle gehörig
betrieben, während sich die Kirche im deutschen
Räume weithin zu ihren eigenen Aufgaben hat zurückfinden
dürfen. Wir möchten das einmal mit Genugtuung
, ja mit Dankbarkeit feststellen.

Der Umstand aber, daß die Freudenstädter Vorträge
auch heute noch in ihrer Problemstellung wichtig
und bedeutsam sind, gestattet über den damaligen Anlaß
hinaus noch einen so späten Hinweis. Neben einer
einleitenden Predigt von Karl Fezer über das Kommen
des Reiches Gottes nach Matth. 6,10 finden wir
als umfangreichsten Beitrag hier einen sehr lebendig
geschriebenen, aggressiv gehaltenen, zum Druck stark
ausgeweiteten Vortrag von Emanuel Hirsch über den
Glauben nach evangelischer und katholischer Anschauung
(S. 61—141). Wenn auch das hier gegebene Bild
vom katholischen Glaubensbegriff außerordentlich, fast
peinlich armselig ist, so darf man dem Verfasser doch
bescheinigen, daß er in der Spannung zwischen Sympa-
thetik und Unerbittlichkeit geblieben, nicht aber in ein
unechtes Gericht über Menschenweisheit verfallen ist.
In den uns heute bewegenden Kämpfen um die Kirche
ist man nicht überall unter Beachtung dieser Grenzsetzung
verfahren. — Den Abschluß bildet ein ganz
in der Form des kurzen akademischen Vortrages gebliebener
Aufsatz von Hanns Rückert über Meßopfer
und Abendmahl (S. 143—175); R. geht nicht liturgie-
und dogmengeschichtlich vor, sondern schildert vom
konfessionskundlichen Orte aus das Sakrament des Altars
in beiden christlichen Konfessionen. Dabei kommt
der römische Katholizismus hier trotz aller angemeldeten
Bedenken um Einiges besser weg als in der Kritik des
Glaubensbegriffes. Auf seine Schlußthesen — unter andern
Preisgabe der Realpräsenz Christi im Abendmahl;
Leib und Blut Christi im Abendmahl sind das Wort
Gottes — würde R. von Amsdorff etwa (das sind per-
suabilia hominis, menschen trennte und scheume) und
anderen Vätern der lutherischen Kirche eine scharfe und
schriftgegründete Zurechtweisung erhalten. (Wir führen
dazu nur ein Wort Luthers selbst an: „Quid nostro sac-
culo accidit nouis istis Prophetis, in uerbis Christi:
Hoc est corpus meum? ubi alius in pronomine Hoc, alius
in uerbo Est, alius in nomine Corpus, tropicus est. Ego
id obseruaui, omnes haereses et errores in scriptum
non uenisse ex simplicitate uerborum, ut iactatur pene
toto orbe, sed ex neglecta simplicitate uerborum, et ex
affectatis proprio cerebro tropis aut sequelis" de servo
arbitrio, Ausg. Clemen, Bd. 3. 1925 S. 195).

Wichtiger als das Problem des Glaubens und die
Frage nach den Sakramenten ist uns heute die Gestalt
der Kirche. Darum darf auch der den Ausführun en
von Hirsch und Rückert vorangehende Aufsatz von
Hermann Wolfgang Beyer über die Kirche des Evangeliums
und die Loslösung des Katholizismus von ihr
(S. 13—60) nach und mit Allem, was wir seit 1930
und verstärkt seit 1933 auf dem Boden der Kirche erlebt
, entstehen und zusammenbrechen gesehen haben,
gründlicher Beachtung empfohlen werden, wenn auch
dabei zu bemerken ist, daß die kirchengeschichtliche
Forschung und Darstellung gerade auf diesem Gebiete
auch in den letzten Jahren unermüdlich weitergegangen
ist (wir weisen wenigstens hin auf Beyers Bearbeitung
der Apostelgeschichte und des Galaterbriefes und auf
die ersten beiden Bände von Lietzmanns Geschichte
der Alten Kirche). — Nun sind es allerdings nicht die
feinsinnige, wohlabgewogene Gegenüberstellung der Kirche
des Evangeliums und der des Gesetzes, die klare
und überzeugende Formulierung: Kerygma wird Dogma
, die vielseitig belegte Darstellung von der Katholi-