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Ausgabe:

1936 Nr. 23

Spalte:

413-414

Autor/Hrsg.:

Ehrenberg, Victor

Titel/Untertitel:

Ost und West 1936

Rezensent:

Breithaupt, G.

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Seite 1

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413

Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 23.

414

Ehrenberg, Victor: Ost und West. Studien zur geschichtlichen
Problematik der Antike. Brünn: Rudolf M. Rohrer 1935. (XI, 235 S.)
gr. 8°. = Schriften der Philos. Fakultät d. Deutschen Universität in
Prag, Bd. 15. RM 7—.

Dieses Buch vereinigt eine Reihe von Abhandlungen,
die dem Ostwestproblem in der Antike gewidmet sind.
Was zum ersten Male Herodot vorschwebte, baut Ehrenberg
zu einer Betrachtung der antiken Geschichte
aus. Die Spannung zwischen Ost und West ist ihm
nicht nur die stärkste der alten Geschichte vor anderen
, sondern sogar „e i n wenn nicht das Hauptthema
der Menschheitsgeschichte" (S. 13, vgl. S. 9). Diese
Auseinandersetzung erfolgt in bunter Mannigfaltigkeit,
räumlich, insofern sie stattfinden kann zwischen den
Kontinenten Europa und Asien so gut wie zwischen
Teilen Europas, wobei der Stoß ebenso von Osten kommen
kann, wie er nach Osten gehen kann; völkisch,
insofern sie bestehen kann zwischen gleichrassigen oder
verschiedenrassigen Völkern. Dabei ist wichtig die Beobachtung
, daß die von Norden kommenden Einbrüche
in diesen Raum bald von der Ostwestspannung abgefangen
werden und nun in der Richtung der großen Kraftlinie
verlaufen. Diese geopolitische Betrachtungsweise
führt Ehrenberg in acht Abhandlungen vor. Einleitend
untersucht er die Frage „Universalgeschichte oder
Altertumswissenschaft?" Zunächst ersetzt er den Begriff
Altertumswissenschaft, weil er keinen echten Gegensatz
zu Universalgeschichte bildet, durch den der
Individualgeschichte, die gegenüber dem nur quantitativen
Charakter der Universalgeschichte einen qualitativen
, d. h. humanistisch verpflichtenden Charakter
trägt. Was beiden Betrachtungsweisen abgeht, ist die
Erkenntnis der eigentlichen Dynamik der alten Geschichte
, die sich eben in dem Gegensatz zwischen Ost
und West ausdrückt. So löst sich die Disharmonie der
universal- und individualgeschichtlichen Betrachtung
durch die Erkenntnis der Ostwestspannung auf. Nach
dieser theoretischen Grundlegung geht Ehrenberg dazu
über, an mehreren Beispielen seine Auffassung zu erhärten
. Während er in dem Gesamtüberblick „Antiker
Orient und antiker Okzident" die historischen Grundlagen
des Ostwestgegensatzes erörtert, geht er in den
übrigen Abschnitten auf Einzelfragen ein, indem er den
Bogen von Homers bis zu Jesu Zeit spannt. Er zeigt,
wie die erste große Auseinandersetzung der Griechen
mit dem Osten iim troischen Kriege zur Volkwerdung
der griechischen Stämme beigetragen hat (III), wie
durch das Agonale der Grieche sich sowohl vom römischen
Okzident als auch vom Orient (und demzufolge
auch vom Christentum) wesentlich unterscheidet, wie
aber auch selbst im griechischen Räume das Verhältnis
etwa zwischen Jonern und Dorern mit agonalen
ostwestlrchen Spannungen geladen ist (IV). In einem
weiteren Aufsatz, in dem E. die Generation von Marathon
zu begreifen sucht, legt er dar, wie der Sieg
Athens über die Verlegung des griechischen Schwergewichts
vom jonischen Osten nach dem Mutterlande entschied
(V). Dann folgt eine Schilderung des Zuges
Alexanders und seines Versuches, Orient und Okzident
gegenseitig zu durchdringen (VI). Mit einem Kapitel
über Sertorius läßt E. auch die römische Geschichte
zu Worte kommen. Indem Sertorius von Spanien aus
zur Bezwingung Roms den Mithridates zu gewinnen
sucht, reichen sich der äußerste Westen und der fernste
Osten die Hand (VII). Mit einem „Zeitenwende" betitelten
, kurzen Aufsatz weniger rein historischer als ideengeschichtlicher
Art rundet sich das Bild. Er behandelt
den Wandel der Antike zum christlichen Europa,
und so steht im Mittelpunkt die Entstehung des Christentums
und seine Umwelt (VIII). Überschaut man
diese zu einem Buche zusammengeschlossenen Studien,
so ergibt sich, äußerlich gesehen, eine gewisse Buntheit
. Aufsätze und Vorträge, nach ihren ursprünglichen
Zwecken verschieden gestaltet, teils gemeinverständlich,
teils für Fachleute berechnet, wechseln ab. Unter den
konkreten Beispielen ist die römische Geschiebte nur

I mit einem Beispiel vertreten. Auch insofern ist nicht
alles gleich ausgewogen, als manche Stücke in geringerem
, manche in größerem Abstände um den Zentralgedanken
kreisen. Wenn demnach die Bezeichnung Studien
durchaus berechtigt ist, so erfüllt der im Vorwort
erhobene Anspruch, „ein Buch" zu sein, doch nicht
seinen höchsten Sinn. Diese Einschränkung aber tut
dem eigentlichen Inhalt keinen Abbruch, der anregend
und gedankenreich ist und sich durch manche feine
Formulierung (S. 24: „Im Osten war Politik . . . immer
irgendwie Religion, bei den Griechen letztlich auch die
Religion—Politik") manchen treffenden Vergleich (S. 26:
Homo—mensura—Satz des Protagoras mit Eritis sicut
Deus) auszeichnet.

Northeim. O. Breithaupt.

[Enno Littmann-Festschrift) Orientallstische Studien, E. L. zu

sein. 60. Geburtstag unerreicht von Schülern a. s. Bonner u. Tübinger
Zeit. Hrsg. von R. Paret. Leiden: E. J. Brill 1935. (VII, 156 S.) gl. 8°.

RM 10- ; geb. 12—.

In diesem Band sind 12 Beiträge vereinigt.

1. Hans Alexander Winkler entwickelt die Aleph-
Beth-Regel an sinnlosen Wörtern in Kinderversen, Zaubersprüchen
, Dämonennamen und Verwandtem. Solche
Worte zeigen ein Haften am Motiv. Die gewünschte
Veränderung wird u. a. bewirkt durch Abänderung des
Anlautes gleichklingender Wörter, und zwar wird das
erste Wort mit dem Kehlkopfverschlußlaut („oder einem
anderen hinten im Munde gebildeten Laut") begonnen,
bei der Wiederholung aber der Anlaut durch einen Lippenlaut
(oder auch einen Dental) ersetzt. An Abzählversen
, an Zaubersprüchen, an Darstellungen von Geräuschen
, von Tumulten und eines Durcheinander, an
Verspottungsformen von Personennamen wird diese Regel
auf verschiedenen Sprachgebieten verfolgt. Die Ursache
wird in der Mechanik des Sprechens gefunden.
Endlich wird die Lautfolge des Alphabets mit dem
aufgedeckten Prinzip durchleuchtet.

2. K. G. Kuhn handelt über die Entstehung des
Namens Jahwe. Die älteste erreichbare Form des Gottesnamens
Jahwe ist Jag; sie ist nicht auf Israel beschränkt
(Jau — bi'di von Hamath und Jau der Ras
Schamratexte; vergl. Jöräm in 2. Sam. 8,10). Die Entwicklung
ging nicht von Jahwe zu Jau, sondern umgekehrt
von Jau zu Jahwe, wobei die Analogie der Verwandtschaftswörter
führend war. Im Hebräischen wurde
die Form Jau empfunden als Ja + Nominativendung u
und zu Jähü entwickelt zu einer Zeit, wo die Nominativendung
noch lebendig im Gebrauch war. Es werden
dann folgende Entwicklungsreihen aufgestellt: Jähü >
Jäh > Ja neben Jähü > Jähü; ferner Jähü > Jehö. Wei-
Jau > Jo. Mißlicher ist die Überführung von Jähu oder
Jäh > Jähue, welch letzteres einen Pluralis majestaticus
darstellen soll, obwohl dieser Gottesname notwendig
als Eigenname empfunden werden mußte. Endlich soll
dann aus der Pluralform Jähue entsprechend den Imperfecta
der Verba lamed " waw jöd unter dem Einfluß
der Deutung von Ex. 3, 14 die Form Jahwäh entstanden
sein. Die Urform Jau wird vermutungsweise mit Hans
Bauer auf das ursemitische Pronomen ya = „er", das
durch die Endung u substantiviert worden wäre, zurückgeführt
oder nach der mündlich geäußerten Vermutung
Littmanns mit dem indoiranischen Djäu-s (= Zev?, Jup-
piter) in Zusammenhang gebracht.

3. Den Formen des althebräischen Liebesliedes geht
Friedrich Horst nach. Er unterscheidet das Bewunderungslied
, Vergleiche und Allegorien, das Beschreibungslied
, die Selbstschilderung, das Prahllied, das
Scherzgespräch, die Erlebnisschiiderung und Sehnsuchtslieder
. Die Darlegungen halten sich fast ausschließlich
an das Hohelied. Nur aus Richter 11,37 ff. und Richter
14,14 und 18 werden sonst noch Materialien herangezogen
. Zum Prahllied hätte das Lied des Lamech
in Gen. 4 angeführt werden können. Die Ausführungen
weisen ein so tiefeindringendes fortschrittliches Ver-