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Ausgabe:

1936 Nr. 22

Spalte:

401-402

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Krauskopf, Alfred A.

Titel/Untertitel:

Die Religion und die Gemeinschaftsmächte 1936

Rezensent:

Knothe, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 22.

402

Darstellung, welche die Hälfte der Schrift ausmachen,
kommt er zum Schluß, daß bei Frank das psychologische
Moment vorwiegt. In der Gewißheitslehre gibt
sich der Christ Rechenschaft über die Echtheit und
Wirklichkeit seines Glaubens. Die Erfahrung der Gnade
Gattes in Jesus Christus ist der Grund, aus dem die Gewißheit
ersteht. Heim dagegen steht mit seiner Gewißheitslehre
in der Ontologie „Glaubensgewißheit ist
der einem Ich gewordene Empfang aus der transzendenten
Welt, der dadurch ermöglicht ist, daß es mit dem
den transzendenten Gott offenbarenden lebendigen Christus
in Kontakt getreten ist" (S. 34). Daraus erhellt,
daß wenn im Christus die neue Gewißheit in ihrem
Sein gegeben ist, dieses neue Sein für H. in die Erkenntnistheorie
gehört und allen Bestreitern christlicher Gewißheit
gesagt wird: Entweder entscheidest Du dich
für diese Offenbarung des transzendenten Gottes in
Christus und hast Gewißheit oder Du lehnst den Ruf
Gottes ab — und wirst nie zu einer Gewißheit kommen.
Damit ist schon gegeben, daß die Gewißheitslehre H.
in den Kampf um die Weltanschauungen d. h. also zur
Apologetik neigt. Und da gehört sie auch nach des
Verfassers Urteil hin. Während Fr. psychologische Gewißheitslehre
in die Dogmatik gehört. Denn die Dog-
matik hat den Glaubensinhalt der Christen aufzuweisen
und darzustellen. Ihn aber nicht erkenntnistheoretisch
oder philosophisch zu unterbauen oder gegen andere
Erkenntnisse und Religionen abzugrenzen. Das ist Sache
der Apologetik. So kommt Heyderich in scharfsinnigen
Untersuchungen auf Grund von Fr. und H. dazu,
Dogmatik und Apologetik gegeneinander fest abzugrenzen
und jede der beiden Disziplinen ihr eigenes Arbeitsgebiet
und ihre eigene Darstellungsmethode zuzuweisen
.

Bonn. F. Haun.

Krauskopf, Dr. Alfred: Die Religion und die Gemeinschafts-

uiächte. Gegenwartsfragen d. Religionssoziologie. Leipzig: B. O.
Teubner 1935. (50 S.) 8°. Kart. RM 2.40.

Verfasser (Vf.) gibt in der genannten Schrift, einem
erweiterten Vortrag, einen Überblick über den Stand
der jüngsten theologischen Disciplin, der Religionssoziologie
, und ist davon überzeugt, daß sie berufen sei, die
gesamte, bisher individualistisch orientiert gewesene
theologische Wissenschaft umzugestalten und damit in
allen ihren Disciplinen erst wahrhaft fruchtbar zu
machen. Das Wesen der Religion könne nicht mit der
Augustinischen Formel individualistischer persönlicher
Religion erschlossen werden, sondern müsse — das gelte
auch für die individuellsten Erfahrungen — aus soziologischen
Motiven abgeleitet werden. Der neue Gemeinschaftsaufbruch
in unserem Volk habe in dem sozial
gebundenen Erlebnis den Wert der gemeinschaftstiftenden
Kraft der Religion neu erkannt.

Vf. muß feststellen, daß es bei der Vielheit der Richtungen
in der Soziologie, der empirischen, der metaphysischen
, kulturtheoretischen, ethnologischen und völkerpsychologischen
, an scharf umgrenzten Problemkreisen
und straffer Systematik fehle, auch eine allgemein anerkannte
Methode noch nicht erarbeitet sei. Immerhin
habe der philosophische Einschlag eine geisteswissenschaftliche
Methodenbasis geschaffen. Das sei in erster
Linie ein Verdienst Max Webers, des Begründers der
Rel.-Soziologie, der jedoch durch seine rationale Betrachtungsweise
dem Wesen der Religion nicht gerecht
werde und das Thema: „Religion und Wirtschaft" zum
speziellen Gegenstand seiner Untersuchung gemacht hat.

Vf. erläutert zunächst die naturalistisch-kollektivistischen Gemeinschaftstheorien
von Frobenius, Spengler und ROsenberg. Er-
sterer versucht mit Hilfe des „Paideuma", der Kulturseele, die Gemeinschaft
der Religion ethnologisch zu erklären, ohne zu bedenken, daß aus
einem genetisch-kausalen Prinzip rel. Gemeinschaft nicht zu erklären ist,
weil sie Wertinhalte eigener Kategorien in sich enthält. Rosenbergs bio-
logisch-sozialanthropologischer Determinismus wird dargestellt, die Aufstockung
rel. Gemeinschaft auf biologischem und rassischem Grunde anerkannt
, aber mit Recht die biologische Erklärung des Geistigen und Religiösen
als eine Erklärung aus Fremden abgelehnt.

Die geisteswissenschaftlichen Gemeinschaftstheorien teilt Vf. in psychologische
und philosophisch-metaphysische ein und berichtet zunächst
über die individualpsychologischen, wie sie von Joh. Neumann und
Fritz Künkel vertreten werden. Hier erscheint der Heilsgedanke als
das die rel. Gemeinschaft stiftende Element. Da das Heil als Heilung
| von Minderwertigkeitsgefühlen, durch die apriorische Asozialität der Familie
hervorgerufen, verstanden wird, so ist, wie Vf. mit Recht hervor-
I hebt, einleuchtend, daß von pathologischen Erfahrungen, aber nicht von
j den rel. Motiven der Gemeinschaftsbildung die Rede ist. Ebenso gehen
I fehl die Vertreter der Freu dschen R i ch t u n g mit ihren Theorien von
i Urkomplexen mit verbrecherischer Tendenz, die die Gemeinschaft kon-
i stituieren sollen. Mehr Bedeutung mißt Vf. den Untersuchungen der
; Brüder Sch j e 1 der u p - Oslo bei, die in dem Mutter-, Vater- und nar-
I zistischem Selbstmotiv die Grundmotive rel. Gemeinschaftbildung sehen.

— Vf. skizziert weiter Jungs spekulative Tiefenpsychologie, nach der
i eine instinktiv geregelte Abhängigkeit des bewußten Lebens vom Unbe-
! wußten die religiöse Gemeinschaft herbeiführt, wobei das Unbewulite als
| autonomes System mit eigener Symbolwelt, Instinktmäßigkeit und Logik
! angesehen wird, das „Vorbilder" schafft, deren ehrfürchtige Erfassung
I das religiöse Bewußtsein ausmacht. Wird durch einseitige Betonung des
Bewußtseins das Gleichgewicht zwischen den unbewußten und bewußten
seelischen Kräften gestört, so hört die religiöse Gemeinschaft auf, deren
Glieder der Areligiosität verfallen. - Wir weiden vom Vf. weiter zu
Gruehns Arbeiten geführt. Danach ist das religiöse Grunderlebnis
das Werterlebnis mit seinen hohen Bewußtseinsinhalten, das an den religiösen
Erfahrungen der Mystiker illustriert wird. — Als Vertreter der
metaphysischen Richtungen der Rel.-Soziologie führt Vf. Lohmeyer
und Schwarz an, von denen ersterer eine Verbindung historisch-kritischer
und phänomenologisch-religionsphilosophischer Betrachtung zum
methodischen Ausgangspunkt nimmt, ohne jedoch die beiden Betrachtungsweisen
auseinanderzuhalten. Die rel. Gemeinschaft ist nach ihm
zum Unterschied von der wissenschaftlichen Lehr-Lerngemeinschaft, von
der der Lernende seine eigene Individualität bestimmen läßt, nicht immanent
gegeben, sondern erst durch die Glaubenstat konstituiert. — Die
mystische Philosophie des Ungegebenen von Schwarz sieht die Einheit
sich vom „göttlichen Einheitsgrund" aus in die biologische Lebendigkeit
hineingestalten; sie wird als Geschenk und Gnade verstanden und in den
drei Dimensionen des Volkstums — Blut, Luid, Geschichte — als ein
aus Gott Werdendes verwirklicht.

Die Systematiker der Rel.-Soziologie sind bisher Dunkmann und
Wach. Vf. skizziert und vergleicht den Aufbau des Systems beider.
| Ersterer hat eine konstruktive Idee der rel. Gemeinschaft, welche letztere
schon in ihren Wurzeln die metaphysische Mächtigkeit des volklichen Lebens
, die Eigenständigkeit des Geistigen und die Substanz der religiösen
Offenbarung „empirisch" zusammengehörig aufweist, und vertritt eine
normative Rel.-Soziologie, die auf die Wesensfrage der Religion ausgerichtet
ist. Auch findet Vf. bei Dunkmann Ansätze, von seiner normativen
Rel.-Soziologie aus die individualistischen Religionsbegriffe zu
überwinden. — Wach verfährt in seinem System induktiv und steigt in
geschichtlich-deskriptiven und vergleichenden Untersuchungen von dem
rel.-soziologischen Befund zu einem nicht normativen Begriff der rel.
Gemeinschaft auf und entwirft eine Typologie der Gemeinschaft. Vf. sieht
in den gegenseitig sich ergänzenden Arbeiten von Dunkmann und Wach
gute Zusammenfassungen des auf dem Gebiet der Rel.-Soziologie Erarbeiteten
. Nur müßte nach seiner Meinung noch eine experimentelle Rel.-
Soziologie und eine empirische mit Gegenwartserhebungen zur Ergänzung
hinzukommen.

Im letzten Teil seiner Schrift verbreitet sich Vf. über die praktischen
Aufgaben der Rel.-Soziologie. Wenn man auch
nicht allen Ausführungen zustimmen wird, so enthält doch auch dieser
Abschnitt bemerkenswerte Gedanken über die Fruchtbarkeit der Rel.-
Soziologie, insofern sie der Seelsorge, der rel. Erziehung, der Behandlung
des rel. Stoffes und der rel. Verkündigung wertvolle Anregungen
gibt.

Unbeachtet läßt der Verfasser den Umstand, daß die
religionspsychologisch-theologische Systematik Wobber-
mins im Prinzip des „religionspsychologischen Zirkels"
d. h. im Prinzip der steten Wechselbeziehung zwischen
i dem betreffenden geschichtlichen Gesamtbestand der religiösen
Überlieferung und der eigenpersönlichen reli-
J giösen Glaubenserfahrung die religionssoziologische Auf-
j gäbe miteinschließt. Denn Wobbermins Systematik überwindet
ja mit jenem Prinzip schon im Ansatz alle
individualistisch orientierte Theologie. Und gerade in
Wobbermins neuesten Arbeiten wirkt sich dieser religionssoziologische
Einschlag immer stärker aus.

Im übrigen aber kann die Schrift des Vfs. allen,
' die sich einen Einblick in die Arbeit der Rel.-Soziologie
| verschaffen wollen, als kurze und doch umfassende
! Orientierung warm empfohlen werden.

Bärwalde, Neumark. paul K n o t h e.