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Ausgabe:

1936 Nr. 22

Spalte:

398-399

Autor/Hrsg.:

Lehmann, Hans

Titel/Untertitel:

Johann Wilhelm Rautenberg 1936

Rezensent:

Lerche, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 22.

398

Von den mancherlei Bedenken im Einzelnen will
ich hier nur eine vorbringen. Seile 22 heißt es: „Paulus
fordert die Römer auf, „Sklaven der Zeit zu sein".
Ein hartes Bild: für die altchristlichen Leser sogar
mißverständlich; denn die Zeit, der xaipöc, ist ein heidnischer
Gott und als solcher nicht unbeliebt. Aber Paulus
scheut die Mißverständlichkeit nicht, wenn es gilt,
den Gedanken eindrucksvoll zu fassen". Die dazu gehörige
Anmerkung nennt die Stelle Römer 11,12 und
bemerkt: „Spätere nahmen an der Mißverständlichkeit
Anstoß und machten aus dem xaiQÖq den xuoioc." — Gerade
der hier gegebene Hinweis auf den xcuqö; als heidnischen
Gott spricht m. E. dafür, daß die Lesart ki5©k>«
die richtige ist.

Die vorliegende Schrift ist eine überaus fleißige
und sorgfältige Arbeit, in der jede wesentliche Behauptung
, wie es für Leute der alten Schule selbstverständlich
ist, belegt wird. Alle wichtigen Probleme
der Forschung über Paulus werden behandelt oder doch
gestreift. Einige Ausführungen: über die „Frömmigkeit
der plötzlich Bekehrten", über „Paulus als Städter",
über „die Stellung des Paulus zum Judentum" sind
besonders interessant. Manche gelegentliche feine Bemerkung
: über die religiöse und seelische Verschiedenheit
USA-Amerikas und Latein-Amerikas (S. 7), über den
psychologischen Nachweis, daß der Verfasser der Gefangenschaftsbriefe
älter an Jahren ist, als der Verfasser
der anderen paulinischen Gemeindebriefe (S. 12), darüber
, daß Paulus keine Vergleiche aus dem Tierleben
und aus dem Kinderspiel bringt (S. 40, Anm. 5), über
gottesdienstliche Basiliken des Heidentums (S. 62) und
andere regen an, sich eingehend damit zu befassen.

Der in den Nachträgen zu Seite 29 ff. angeführte
Satz: „God made the country, and man made the town",
der in England zum Sprichwort geworden ist, erinnert
an den bekannten Ausspruch: „Gott schuf das Meer und
der Friese die Küsten".

Die Schlußworte bringen das Ergebnis der Untersuchung
: „So klingen uns aus der Botschaft Jesu und
seines größten Apostels, des Paulus, dieselben Grundtöne
entgegen. Jesus und Paulus stimmen zusammen,
soweit Meister und Jünger, Führer und Gefolgsmann,
Schöpfer und Gestalter, Heiland und Erlöser überhaupt
verglichen werden können."

Verden. O a r r e 11 s.

Huck, Albert: Synopse der drei ersten Evangelien. 9. Aufl.
Unter Mitw. von H. Q. Opitz völlig neu bearb. von Hans Li etzmann
. Tübingen: J. C. B. Mohr 1936. (XX, 213 S.) 4°. Geb. RM 4.80.

Von den unentbehrlichen Studierbüchern eines jeden
Theologen liegt in völlig neuer Bearbeitung die bewährte
Huck'sche Synopse vor. Hans Lietzmann hat sie unter
Mitwirkung von H. G. Opitz in starker Umarbeitung
herausgegeben. Dazu heißt es im Vorwort: „die Neubearbeitung
hat nur in ganz wenigen Fällen kleine Änderungen
;n der Gruppierung der Parallelen und in der
Gestaltung des Textes vorgenommen .... Ihr Hauptaugenmerk
hat sie auf den kritischen Apparat gerichtet,
der durch einschneidende Kürzungen übersichtlicher gestaltet
worden ist .... Sämtliche Angaben über Lesarten
sind aus den originalen Quellen neu entnommen
und nicht aus kritischen Apparaten anderer Ausgaben
abgeschrieben. Eine starke Kürzung hat auch die Einleitung
erfahren, da wir jetzt in der glücklichen Lage
sind, auf bewährte Hilfsmittel zur Einführung in die
Textkritik verweisen zu können. Die in den letzten Auflagen
als Anhang beigegebenen Johannesparallelen sind
nicht wieder gedruckt worden. Statt dessen haben wir
die Parallelstellen des 4. Evang. in kleinen Rähmehen
im Text namhaft gemacht . . ." Sehr erfreulich ist
neben diesen z. T. notwendig gewordenen Änderungen
auch der außerordentlich niedrige Preis der Neuauflage.
Riga. H. Seesemann.

Müller, Paul: Ein Prediger wider die Zeit: Georg Scherer.

Ein Beitrag zur Predigt u. Polemik der österr. Gegenreformation. Wien:
Reinhold-Verlag 1933 (IV, 120 S. mit 16 Initialen, Vignetten bzw.
Bildern a. Scherers Werken) kl. 8°. = Kl. histor. Monographien, hrsg.
v. Nikol. Hovorka. Nr. 41. Kart. RM 2.20.

Georg Scherer, aus Schwatz in Tirol gebürtig, gehört
zu den ersten zehn Mitgliedern der Wiener Jesuitenniederlassung
. 1590 zum Rektor des Collegiums
in der Hauptstadt befördert, vermochte er sich in die-
i ser Stellung wegen seiner Schroffheit nur vier Jahre
! zu behaupten. Von 1600 bis zu seinem Lebensende
(1605) wirkte er in Linz. Eine Säule der Gegenreformation
in Oesterreich. Ihm gelang die Bekehrung Khlesls,
des nachmaligen erbitterten Bekämpfers des Luthertums
. Der Wert der Arbeit Ms. liegt darin, daß er aus
den Schriften Scherers die leitenden Ideengänge klar
herausarbeitet. In seiner Polemik gegen den Protestan-
, tismus findet man kaum einen eigenen Gedanken. Er
; wiederholt die üblichen Einwendungen der katholischen
Polemiker: Unterwühlung der göttlich geordneten Lehr-
j autorität der römischen Kirche durch die falschen Son-
< dermeinungen der unter einander völlig zerfallenen Irr-
j lehrer, Zusammenbruch der Moral als Folge der Zer-
j Störung der Kircheneinheit, Gefährdung der öffentlichen
; Sicherheit infolge Auflehnung der Ketzer gegen jegliche
Autorität. Die persönliche Note liegt bei Scherer, wie
d. V. zeigt, in der Art der Behandlung dieser Fragen.
In dessen Kampf gegen die sittlichen Mißstände der
einzelnen Gesellschaftsschichten weist M. gedankliche
Berührungen mit Luther nach. Ungeachtet aller Wärme,
mit der M. in die Wesensart Scherers einzudringen sucht,
liegt ihm jede Einseitigkeit gegenüber dessen Gegnern
fern. Ein willkommener Beitrag zur unvoreingenommenen
Beurteilung der österreichischen Gegenreformation
.

Wien. Karl Völker.

Lehmann, Hans: Johann Wilhelm Rautenberg. Ein Beitrag
zur Hamburgischen Kirchengeschichte u. zur Geschichte der Erweckungs-
bewegungdes 19. Jahrh. Hamburg: Hans Christian 1936. (VIII, 120 S.)

RM 3.60.

Es ist kein ganz einheitliches Bild, das Hans Lehmann
hier von seinem Amtsvorgänger, dem „berühmtesten
" Pastor zu St. Georg bei Hamburg, Johann Wilhelm
Rautenberg, geb. 1791, ord. 1820, gest. 1865, gibt.
Rautenberg war trotz seiner unleugbaren Verdienste
um die Niederringung des Rationalismus und um die
Zurückdrängung des das kirchliche Leben überhaupt
bedrückenden Säkularismus in Hamburg in schwierigen
Zeiten der Kirche nicht immer leicht zu ertragen. Seine
Eigenwilligkeit, Rechthaberei und über das Grundsätzliche
oft weithinausgehende Intoleranz, die sich zumal
dem geistlichen Ministerium gegenüber auch in scharfer
Ironie und in beißendem Spott äußern konnte, machten
der kirchlichen Behörde und den Amtsbrüdern hin und
wieder herzbewegende Sorgen, die um der Sache willen
oft hätten vermieden werden können.

Aber die Lichtseiten in Rautenbergs Gesamtpersönlichkeit
überwiegen. Lehmann stellt ihn mit Recht neben
Klaus Harms, mit dem er die- — teilweise harte —
ländliche Jugend, späte Berufung, kirchlichen Eifer und
theologische Haltung, vor allem aber das Eintreten für
lutherisch bekenntnismäßige Lehre und Führung der
Kirche teilt.

Rautenbergs Hauptwirksamkeit lag in dem ersten
Jahrzehnt seiner Amtstätigkeit. Da führte er die großen
Kämpfe gegen die Rationalisten, für die bekenntnisgebundene
Kirche, für die Rückkehr zu einem dem Namen
nach immer vertretenen Luthertum. In seinem Kampfe
gegen den Rationalismus erkannte und betrachtete er
die Volkskirche weithin als Illusion; die Staatskirche
lehnte er in jeder Form ab — obwohl sein persönliches
Verhältnis zum Senat immer gut blieb, während
das zum geistlichen Ministerium zu wünschen übrig ließ.
Vor allem lehnte er sich dagegen auf, die Kirche zu