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Ausgabe:

1936 Nr. 2

Spalte:

386-387

Autor/Hrsg.:

Hasenfuss, Josef

Titel/Untertitel:

Die Religionsphilosophie bei Jakob Friedrich Fries 1936

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 21.

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teil ergangen, so das E. von Hartmanns. Daß Schleiermacher
über Ästhetik zuerst 1819 gelesen hat, dann
wieder 1825, war bekannt, aber man ahnte nicht, daß
gerade bei diesem Werk die Herausgabe besonders unzureichend
war. Nun zeigt Odebrechts Buch, daß die
Vorlesungen von 1819 etwas erheblich Anderes, Originelleres
, Systematischeres und Bedeutenderes sind, als
was wir aus Lommatzschs Ausgabe kannten. Die Vorlesung
von 1831/32 ist offenbar mit Absicht populärer
gehalten; Schleiermacher mag wie Hegel die Erfahrung
gemacht haben, daß auch in jener philosophisch so
interessierten Zeit viele Studenten einer schweren Theorie
nicht zu folgen vermochten. Odebrecht war in
der glücklichen Lage, mit Schleiermachers eigener Handschrift
von 1819 (und einer späteren) namentlich ein
(auf der Bonner Bibliothek aufbewahrtes) Kollegheft
des späteren Kirchenlehrers Bluhme zu verbinden, der
1819 Schleiermachers Ästhetik hörte, hält aber beide
Texte zweckmäßig auseinander; im Anhang gab er
Schleiermachers Notizen für die Vorlesung 1831/32 und
„Reflexionen" Schi.'s, die wohl mit der von 1819 zusammenhängen
, bei; über das Verfahren des Herausgebers
berichtet die Einleitung. So haben wir glücklicher
Weise eine Fassung dieses Werkes Schleiermachers erhalten
, die hoffentlich mehr als die bisherige anregen
wird, es zu studieren und sowohl seine Stellung in der
Geschichte der Ästhetik und der Philosophie überhaupt,
als auch seine Bedeutung innerhalb der Oedankenwelt
Schleiermachers besser zu würdigen, als bisher möglich
war.

Die Anlage ist folgende: nach einer Einleitung über
das Wesen einer Theorie der Kunst sind die beiden
Hauptteile ein allgemeiner spekulativer (wobei man nur
das „spekulativ" nicht gleich lebensfern setzen darf;
es ist hier auch von solchen Fragen wie der nach dem
Wert der Kunst und nach dem Unterschied antiker und
moderner Kunst die Rede) und eine Darstellung der einzelnen
Künste: begleitende sind Mimik und Musik, bildende
die Architektur, Skulptur und Malerei; als redende
Kunst wird (nach Bemerkungen über die Beredsamkeit
) die Poesie dargestellt. Von der Fülle der in
diesem Rahmen behandelten Fragen kann eine kurze
Anzeige des Buches kein wirkliches Bild geben. Über
die Stellung des Werkes in der Geschichte der Ästhetik
sei nur so viel gesagt. Wie es töricht wäre, hier
etwa die Ästhetik eines Theologen zu erwarten, der
mit sachfremden Gesichtspunkten an die Philosophie
der Kunst herangetreten wäre — Schi, war als Philosoph
und als Erforscher des griechischen Altertums
durchaus Fachmann —, so ist es verfehlt, seine Theorie
der Kunst wesentlich von der Romantik her verstehen
zu wollen. Odebrecht beklagt mit Recht, daß „das
literarhistorische Problem der Romantik im Vordergrund
der Schleiermaeher-Forschung" stehe und „die
Fülle des absolut Unromantischen in Schleiermachers
Wesen und Denken" verdränge. Natürlich haben romantische
Freunde wie die Brüder Schlegel und romantische
Philosophen wie Schelling lebhaft auf seine ästhetischen
Oedanken gewirkt, aber wenn man fragt, wer
sie besonders bestimmt habe, so ist — neben Kants
Kritik der Urteilskraft — sein geliebter hallischer Lehrer
Eberhard zu nennen. Der realistische, empiristische
Zug in Schi.'s Denken ist auch seiner Ästhetik zu
gute gekommen, die im übrigen nicht verleugnet, daß
sie aus einer Zeit des philosophischen Idealismus stammt
und aus einer Lebenszeit Schi.'s, in der seine Ethik,
seine Religionstheorie und seine philosophische Grundlehre
(Dialektik) bereits festere Gestalt angenommen
hatten. So wird O.'s Charakteristik richtig sein, daß
„die durch Eberhard versuchte Synthese von Leibniz-
s'cher Vorstellungstheorie mit Sulzers Gefühlsbegriff von
Schleiermacher in einer höheren geistigen Ebene aufgenommen
und mit Kantischen und Platonischen Gedanken
zu einem vollendeten Ganzen verbunden worden ist...
Baumgarten" (Alexander Baumgarten in Halle, 18.

Jhd.), „Kant, Schleiermacher bilden die Stufen des Aufstiegs
der Ästhetik" (man wird einschränkend hinzusetzen
dürfen: in Deutschland), „sofern sie Wissen-
i schaft werden will."

Was endlich die Bedeutung der Ästhetik innerhalb
Schi.'s eigner Gedankenwelt betrifft, so hat man zwar
1 (auf Grund einiger bekannter Worte von ihm über
j sich selbst) gemeint, sein künstlerisches Vermögen sei
j gering gewesen, und ailso wohl auch seine ästhetische
; Fähigkeit. Aber, abgesehen von der Übereilung dieses
j „a,lso": wenn er nicht wie Lessing, Kant (und viele
| Andre aus jener Zeit) von der Theologie zu Philosophie
oder Literatur überging, so beweist das zwar
die Stärke seines religiösen Sinnes, jedoch noch nicht
Schwäche des Sinnes für das Schöne. Sehr musikalisch
ist er gewesen, und wenn er zu genauerer Ausbildung
seiner ästhetischen Theorie erst spät kam, so mögen
Hindernisse auch in einigen konstruktiven Gedanken gelegen
haben, die er früh aufgestellt hatte: daß Kunst
sich zur Religion verhafte wie Sprache zum Wissen,
daß aber auch alle Wissenschaft Kunst werden wolle
und alle Kunst Wissenschaft. Wer bei solchen vielleicht
geistreichen, aber gewaltsamen oder doktrinären Sätzen
bliebe, würde dem wirklichen Leben nie gerecht. An
der Ästhetik starkes Interesse haben mußte Schi, aber
auch im Zusammenhang mit seinen eindringenden Bemühungen
um die Hermeneutik, die Theorie des Ver-
stehens, und mancher heute als sehr modern geltende
Gedanke ist in seiner Ästhetik vorgebildet; das Problem
der Mitteilung geistigen Lebens hat ihn dauernd beschäftigt
. Wenn er im der Einleitung seiner Ethik von
kritischen und technischen Disziplinen spricht, die zwischen
Ethik und Geschichte stehen, kulturphilosophische
Erkenntnisse auf die verschiedenen Gebiete geistiggeschichtlichen
Lebens anwenden, so war es für ihn
wichtig und ist es für uns von Wert, daß er als solche
neben seiner Lehre vom Staat, die neuerdings viel beachtet
wird, seine Lehre von der Kunst entwickelt hat,
und dem Herausgeber, der sie uns in ihrer wahren Gestalt
zugänglich gemacht hat, gebührt lebhafter Dank.
Kiel. H. Mulert.

Hasenfuß, Dr. phil. et theol. Josef: Die Reügionsphilosophie
bei Jakob Friedrich Fries. Würzburg: C. J.Becker 1935. (XIX,
315 S.) gr. 8°. RM 7.50.

Das Buch enthält eine sorgfältige, sehr eingehende
Darstellung und Würdigung der Religionsphilosophie
von Fries im Rahmen seines gesamten philosophischen
Systems und auf dem Hintergrund seines Lebens. Darstellung
und Kritik der philosophischen Voraussetzungen
und Grundlagen nehmen mehr als die Hälfte des
Buches ein. Die Darstellung enthält nichts wesentlich
Neues, ist aber eine klare Auseinanderlegung der
Friesschen Gedankengänge. Dargestellt wird erst der
aphoristische Aufriß, dann die Bewertung des Geschichtlichen
innerhalb der apriorischen Konstruktion, daran
schließt sich in gleicher Reihenfolge die kritische Würdigung
. Ihre besondere Note bekommt die Darstellung
durch die enge Heranrückung von Fries an Kant, wodurch
er noch „aufgeklärter" erscheint als in den landläufigen
Darstellungen, besonders bei Otto, der infolge
ihres starken emotionalen und ästhetischen Einschlages
die Religionsphilosophie von Fries weiter von Kant
abrückt und stärker an Schleiermacher annähert.

Schon die geistesgeschichtliche Eingliederung von
Fries erklärt sich wohl mit aus dem katholischen Standpunkt
des Verfassers, der natürlich in der Bewertung
noch stärker als bei der Darstellung hervortritt. Ihm
gilt in Zustimmung zu der neuen evangelisch-theologi-

i sehen Wendung jedes Ausgehen vom Menschen als
humanistischer Irrweg, ja bei seinem thomistischen
Standpunkt muß die emotionale Begründung der Reli-

' gion ihm besonders bedenklich erscheinen. Daher lehnt
er die positive Wertung der Friesschen Religionspbilo-

sophie durch Otto ab und ebenso auch die immerhin