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Ausgabe:

1936

Spalte:

20-22

Autor/Hrsg.:

Haack, Hans Georg

Titel/Untertitel:

Die Amtshandlungen in der evangelischen Kirche 1936

Rezensent:

Haun, Fritz

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1!»

Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 1.

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schaftliche Arbeit und Existenz eines Mannes wie Max
Weber, an dessen übermütig paradoxe Formulierung der
bloßen „Theorie" Heyse sich in seiner Polemik so stark
hält, beweist das. Aber im Ganzen hat Heyse, wie gesagt
, hier doch recht.

Die „Identität" von Weisheit und Tapferkeit (60)
im zweiten Punkt von Heyses Programm bedeutet nicht
nur wenig, sondern ist auch eine gefährliche Formulierung
. Für Heyse heißt es, daß das Wissen seine Bedeutung
für das Leben und als Leben gewinnen muß, und
daß ich hier zustimme, habe ich schon bemerkt. Der
persönliche Einsatz für dieses Wissen ist ja dann nur
eine selbstverständliche Folge, die wir höchstens mit
Recht Verdächtigungen aussetzen, wenn wir viele und
große Worte darum machen. Und wenn wir nun gar
aus der puren Tapferkeit auf Weisheit schließen und es
schon als genügenden Beweis von wahrer Existenz gelten
lassen wollten, daß jemand im Krieg Mut bewiesen
hat (bekanntlich haben das noch eine Unzahl anderer
Menschen als Sokrates — Heyses Beispiel — getan, die
nicht im Entferntesten so „weise" waren wie er), so
kommen wir vollends auf die schiefe Ebene. Der persönlich
sehr tapfere Einsatz entweder aus Mangel an Gehalt
, den zu verlieren es sich lohnen würde, oder angesichts
ersetzender jede eigene Entscheidung und schon
die Möglichkeit der Furcht abnehmender mühelos erleichternder
Dogmen ist nicht auch eine, sondern die
gewöhnlich anzutreffende Form der Tapferkeit und zugleich
die Form der Degeneration. In welche Ver- I
Fälschungen der Wahrheit der Existenz würden wir gera- I
ten, wenn wir also bereits den Mut, den nach Schiller bekanntlich
auch der Mameluk zeigt, als genügendes Symptom
für Weisheit gelten lassen wollten? Und darf man
hier Heyse nicht an sein eigenes Beispiel der das wahre
Leben ersetzenden und verfälschenden Dogmatik des
Christentums (neben der wahren christlichen Existenz)
erinnern, die mehr Märtyrer gehabt hat als jede andere
Lehre?

In der dritten These des Heyseschen Programms ist
der Begriff der Rasse ungeklärt geblieben. Die Philosophie
soll eine und nur eine sein: die Lebensform
wahren Existierens. Mit Recht lehnt Heyse es als Unsinn
ab, für verschiedene Völker und Individualitäten
auch verschiedene „Philosophien" für angemessen zu
halten (306/7). Trotzdem wird immer wieder betont,
daß nur bei den nordischen Völkern Philosophie und
also wahre Existenz vorgekommen und möglich sei.
Warum das so ist und sein muß, verrät Heyse aber
nicht. Über den Ursprung der nordischen Rasse, überhaupt
darüber, was eine Rasse ist und bedeutet, hören
wir nichts. Nun hat der Rassebegriff zwar in der Naturwissenschaft
einen Sinn, und er ist da bisher meist als
eine natürliche für den Einzelnen bindende nur durch
Selektion zustande kommende Einheit aufgefaßt worden.
Die „Teilhabe" der Existenz anderer Völker an der
eigentümlich nordischen Existenz, von der Heyse verschiedentlich
spricht (z. B. 245), wäre danach nicht möglich
. Nun lehnt zwar Heyse den Biologismus als Unterbau
für seine Metaphysik ab, und wir müssen daher
auch annehmen, daß er die echt darwinistiseh-naturali-
stische Ausdeutung, die die Rasseforschung bisher meist
erfahren hat, zu den selbstherrlich gewordenen „Theorien
" rechnet. Dann aber hätten wir doch gerade hier
eine klare Stellungnahme, eine Auseinandersetzung mit I
der bisherigen Forschung und ein Durchdenken dieses
so häufig verwendeten Begriffs von einer Arbeit verlangen
können, deren Hauptabsicht darin besteht, ungeklär-
te Voraussetzungen anderer Theorien aufzudecken. Aber, !
wie gesagt, werden nicht einmal die über den Naturalis- j
mus vieler Rasseforscher hinausgehenden so wichtigen |
Forschungen Darres über die Entstehung der nordischen j
Rasse aus dem Bauerntum erwähnt. Und dieser Mangel
ist um so auffälliger, als Heyse gar keine Auslegung
der konkreten „Ordnung" bietet, an die sich der Mensch
in der wahren Existenz zu binden hat. Über das Leben {

in der griechischen Polis zur Zeit ihrer Blüte, seinen
Sinn und seine Möglichkeit der Zusammenfassung der
Einzelnen und des Volkes zum Staat erfahren wir nichts.
Ich darf hier — um mich nicht dem Vorwurf unfruchtbarer
und leichter Kritik auszusetzen — meine eigenen positiven
Versuche über die philosophischen Grundlagen
des Rassebegriffs und über die Möglichkeit des Begriffs
der Nation als eines Teils, der sich doch auf das Ganze
bezieht, verweisen. („Staat", I. Kap., II. Kap. und V. Kap.,
5. Abschn.)

Auch im vierten Programmpunkt liegen unüberwundene
Schwierigkeiten. Heyse sagt, daß echte Führung
ihre Gefolgschaft „frei verpflichte", und damit nicht
nur für sich, sondern für alle eine „Existenz in der
Wahrheit" ermöglicht. Wie ist das zu denken und wie
zu vereinen mit dem von jeder Führung immer wieder
verlangten „blinc'en Gehorsam"? Heyse spricht einmal
von einem „stelh ertretenden Wissen" ein Ausdruck, unter
dem ich mir nichts denken kann, denn wenm und
soweit das wahre Leben in einer Form des Wissens
(Existenz in der Wahrheit) besteht, weiß ich nicht, wie
andere mir dies Wissen sollen abnehmen können, ohne
mir zugleich sogar die Möglichkeit wahren oder
unwahren Existierens zu nehmen? Kommen wir denn
da nicht in bedenkliche Nähe der so scharf abgelehnten
„orientalischen" Lebensform der Religion mit ihrer immerhin
noch denkbaren Möglichkeit des „stellvertretenden
" Opfertods? Es wäre gerade entscheidend gewesen
zu erfahren, wie Heyse sich ganz konkret diese „freie
Verpflichtung" denkt, nachdem in der von ihm so sehr
geschmähten modernen Forschung schon eine Reihe von
Lösungsversuchen dieses Problems zu finden sind.

Im Ganzen können wir daher sagen: So richtig und
begrüßenswert der Wille zu einer wirklich im Leben relevanten
Begründung der Philosophie und zur Durchführung
dieses Willens in der philosophiegeschichtlichen
Forschung auch ist, so sehr wir diesen echten Willen
vor allen Verdächtigungen schätzen, denen die Modephilosophie
des 20. Jh. bis heute unter den verschiedensten
Tarnungen den Geist ausgesetzt hat, die Durchführung
gerade seines eigenen Willens ist dem Autor vielfach
nicht gelungen. Er hat sich auch im Positiven allzu stark
verführen lassen von dem an sich berechtigten Gegensatz
gegen weitverbreitete Degenerationserscheinungen
seiner Zeit, mehr noch vielleicht von den für seine Sache
zu lauten Stimmen des politischen Streits. Daher kommt
auch die Lockerheit vieler seiner gedanklichen Zusammenhänge
, die dann durch übermäßig lobende und tadelnde
Urteile überdeckt wird. Wer aber das eigene stille
Gewicht der Geschichte in diesem Sinn zu leicht einschätzt
, wird nicht nur zu unser aller Schaden ihren
Wert, er wird auch die von ihm vertretene gute Sache
starken und dann nicht unberechtigten Zweifeln aussetzen
.

München. Kurt Sch i 11 i n er.

H a a c k, Hans Georg: Die Amtshandlungen in der evang. Kirche.

Gotha: Leop. Klotz [1935] (153 S.) 8°. RM 3—.

Wo ist auf Universitäten in Vorlesungen und im Seminar
der praktischen Theologie die Amtshandlung behandelt
? Die Predigt gewiß. Aber die Amtshandlungen?
Wo auf den Predigerseminaren? Und dann wird ein
junger Pfarrer in eine Großstadtgemeinde gestellt und
soll am Sonntag 20—30 Kinder taufen,, soll von Trauung
zu Beerdigung eilen,, soll am Ende — eine Beerdigungswoche
haben. Was macht das jungen und auch älteren
Pfarrern für Not! Soll er immer reden? Soll er es
nun liturgisch gestalten? Soll er auf die tausend Wünsche
eingehen,, die Brautpaare oder die Hinterbliebenen
erbitten? Hat nicht grade die Amtshandlung mit so mancher
„Süßlichkeit" und so vielem Wortschwall und so
starkem „Handwerksmäßigen" die evangelische Kirche
und die Pfarrer in den Verruf gebracht?! Und doch entscheidet
sich oft grade an der Amtshandlung, ob mancher
Kircherrfremde noch ferner auf seine Kirche hören