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Ausgabe:

1936 Nr. 19

Spalte:

346

Autor/Hrsg.:

Luther, Martin

Titel/Untertitel:

Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516 1936

Rezensent:

Wolf, Ernst

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 19.

346

lische Prosa durchaus auf kirchlichem Boden erwachsen
ist. Die Benediktinerreform war auch von großem Einfluß
auf die artenglische Literatur. Sie war ins Leben
gerufen von Dunstan (924—988), dem bedeutendsten
Geistlichen der altengl. Zeit, und /Ethelwold, zuerst
Abt von Abingdon, dann 963 Bischof von Winchester.
Die Hauptvertreter jener Literatur waren der Abt /Elfric,
dessen Hirtenbriefe in altengl. und latein. Fassung
in Bd. IX der Bibl. der angelsächsischen Prosa von B.
Fehr herausgegeben sind, und Wulfstan. (Vgl. auch
die Besprechung Morsbachs in Nr. 13 dieser Zeitschrift
, 40. Jahrg. 1915).

Der Verf. macht es wahrscheinlich, daß mit Rücksicht
auf die Sprachform, die den spätwestsächsischen
Typus mit einigen anglischen Eigentümlichkeiten aufweist
und auffällig übereinstimmt mit der Sprache der
Wulfstan'sehen Homilien in Wulfgeats Handschriften,
das Poenitentiale Pseudo-Egberti in Worcester entstanden
ist, wo gerade in der 2. Hälfte des 10. Jahrh. unter
Abt Oswald (992 f) ein reiches literarisches Leben erblüht
war.

Der Verf. weist überzeugend nach, daß der Bischof
Egbert das vorliegende Pönitentiale, soweit es auf Halit-
gar, bezw. das Ps. Romanum (1. Hälfte des 9. Jahrh.)
und das Ps. Cummean (2. Hälfte des 9. Jahrh.) zurückgeht
, nicht übersetzt haben kann; daß ferner der in
der Hauptsache aus Theodor und Egbert übersetzte
Abschnitt nicht von Egbert stammt.

Die Handschrifterj, die sämtlich aus dem 11. Jahrh.
stammen, werden einer sorgfältigen Prüfung und Wertung
unterzogen. Das Halitgar'sche Bußbuch in der
überlieferten Fassung kommt als Quelle für Ps. Egbert
nicht in Frage, vielmehr ist mit dem Verf. eine uns nicht
erhaltene lateinische Bearbeitung als Zwischenstufe zwischen
Halitgar und Ps. Egbert anzunehmen, die zugleich
als Quelle für Wulfstan IX, 63, 3—6 zu gelten hat.
Diese lateinische Vorlage zu rekonstruieren, muß künftiger
Forschung vorbehalten bleiben.

Diese neuen Pönitentialien bedeuten gegenüber den
früheren insofern einen Fortschritt als die früher übliche
kritiklose Verbindung sich widersprechender Anschauungen
und Forderungen nach Möglichkeit vermieden
wurde. Anderseits begegnen jedoch wiederum
die alten Bestimmungen über das homicidium casuale,
den nesciens geschworenen Meineid usw., d. h. die
Einstellung auf den objektiven Tatbestand ohne Rücksicht
auf die subjektive Gesinnung. Wenn nun auch seit
der 2. Hälfte des 9. Jahrh. die Bußdisziplin sich mehr
und mehr der subjektiven Seite zuwandte und auch die
Bußbücher des 10. und 11. Jahrh. eine entsprechende
Satzung der Synode von Tribur 895 über das Homir
cidium aufnahmen, so machte doch die Ausdehnung auf
analoge Fälle nur sehr langsame Fortschritte. So steht
auch das Poenitentiale Ps. Egberti inhaltlich durchaus
auf dem Standpunkt des 9. Jahrh., obwohl es in der
vorliegenden Fassung erst aus der 2. Hälfte des 10.
Jahrh. stammt, so hinsichtlich des Prinzips der Erfolgshaftung
, des Mangels einer Unterscheidung des
objektiven Tatbestandes und der subjektiven Schuld,
die in den übrigen Pönitentialien des 10. Jahrh. immerhin
leise angedeutet ist. Wenn unser Pönitentiale das
Bußbuch des Halitgar stellenweise gründlich umgestaltet
hat, so hat es dabei sich nicht dem fortschrittlichen
Standpunkt der Synode von Tribur zugewandt, sondern
auf alte, längst überwundene Anschauungen (Theodor
u. Egbert) zurückgegriffen.

Der Herausgeber hat die Ergebnisse der bisherigen
Forschung über die Bußbücher und die Bußdisziplin
sorgfältig gewertet und besonders in den kulturell und
kirchengeschichtlich gut orientierenden Fußnoten herangezogen
. Die kirchengeschichtliche Forschung wird
namentlich an den Stellen des altenglische-n Textes einsetzen
, wo eine Quelle bisher nicht nachgewiesen ist;
z. B. zu I, 8 (S. 6), wo das Verzeichnis der irdischen
Laster mit ofermetta (superbia) nach dem Alcuin-Schema

beginnt, alles Übrige jedoch ein heilloses Durcheinander
ist; ebenso I, 12 zur sog. poenitentia solemnis,
wobei es zum Verständnis der betr. Stelle auf die Ent-

| sicheidung der Frage ankommt, ob mit der Ausschließung
aus der kirchlichen Gemeinschaft der große Bann (ana-
thema) oder der kleine Bann (exeommunicatio) gemeint ist;

' ferner IV, 2 (S. 48) über die im Laufe des 8. u. 9. Jahrh.
sich herausbildende Praxis, daß Bischöfe sehr schwere

I Vergehen dem apostolischen Stuhle zur Aburteilung
überließen; ferner IV, 13 (S. 53) über den sog. Bildzauber
(invultatio), wobei man von einer gehaßten Person
ein Bild macht und es mit Nadeln oder Nägeln
durchbohrt, um damit der betr. Person den Tod zu bringen
. Hier sei noch zu III, 14 (S. 43/44) hingewiesen
auf das in Bedas Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum

i (731) zuerst veröffentlichte „Responsum beati Gregorii

I ad Augustinum episcopum".

1 Göttingen. O. B o e r n e r.

Luther, Martin: Vorlesung über den Römerbrief 1515 16.

Übertragen von Lic. Ed. Ell wein. 3., vollständig neubearb. Ausgabe
. München: Chr. Kaiser 1935. (XVI, 593 S.) 8°. RM 10-; geb.12—.
Martin Luther: Die großen Schriften des Jahres 1520.
München: Ebda. 1935. (II, 387 S.). 8°. RM 5—.

Bekanntlich erscheint die sog. Münchner Lutherausgabe
unter der umsichtigen Betreuung und durch Georg
JV^erz nach 25 Jahren in zweiter, veränderter Auflage.
Sie soll in diesem Jahre abgeschlossen werden. Die
umfangreichen und ausgezeichneten reformationsgeschichtlichen
Einleitungen, die in der ersten Auflage in
verschiedenen Bänden den Texten voraufgingen, sind
in der Regel durch ganz knappe Einführungen in die
einzelnen Schriften ersetzt. Die Anmerkungen der früheren
Ausgabe sind, z. T. gekürzt, beibehalten, zuweilen
ohne die erforderliche Erneuerung. Das Ganze
ist wesentlich „theologischer" geworden. Besonders
deutlich werden diese der Gesamtausgabe überall zugute
kommenden Änderungen an den beiden vorliegenden
Bänden. Der 2. Bd. der neuen Aufl. entspricht dem
2. Bd. der ersten; er umfaßt jedoch nur 384 S. statt 501,
da die große Einleitung, die P. Kalkoff zum 1. u. 2. Bd,
damals geschrieben hatte — von der Vorgeschichte des
Ablaßstreites bis zu den einzelnen reformatorischen
„Hauptschriften" (= P. Kalkoff, Luther und die Entscheidungsjahre
der Reformation, 1917, S. 9—186), fortgefallen
ist. Der freigewordene Raum ist in glücklicher
Weise dazu benutzt, den drei sog. reformatorischein
Hauptschriften den Sermon „Von den guten Werken"
voranzustellen; die Texte selbst werden in einem modernisierten
Deutsch abgedruckt und durch die von G.
Merz und E. Kinder verfaßten Einleitungen sowie durch
die Anmerkungen auch dem „Laien" wirklich erschlossen
. — Der 2. Bd. der Ergänzungsreihe macht die

i Münchner Ausgabe zur ersten (deutschsprachigen) Auswahlausgabe
, die Luthers Vorlesung über den Römerbrief
(1515/16) enthält. Ed. E Uwe in hat seine bekannte
Übersetzung gründlich durchgearbeitet und sie
durch die zahlreichen Anmerkungen zu einem kleinen
Kommentar zu Luthers Vorlesung selbst ausgestaltet.
Vorurteile, die man gegenüber jeder Übersetzung so

I entscheidend wichtiger Dokumente zu hegen pflegt, können
in diesem Falle m. E. weithin zurückgestellt werden
. Wer diese Übersetzung wirklich durcharbeitet —

i das wird ihm nicht abgenommen —, kann es nur mit
reichem Gewinn tun.

Möge die neue Gestalt der Münchner Lutherausgabe
an ihrem Teil auch dazu dienen, daß man sich ernsthafter
mit Luther vertraut macht, ehe man aus dem
„Geist des Luthertums" Geschichte konstruiert oder
„lutherische" Kirchenpolitik treibt. Vielleicht wird man

; dann zu solcher Betätigung etwas weniger Lust verspüren
, als vordem, und sich ihrer Verantwortlichkeit

[ gerade auch vor dem Erbe Luthers stärker bewußt

i werden.

Halle a. S. E. Wolf.