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Ausgabe:

1936 Nr. 18

Spalte:

329-333

Autor/Hrsg.:

Krüger, Gerda

Titel/Untertitel:

Die Rechtsstellung der vorkonstantinischen Kirchen 1936

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 18.

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(S. 266 und 271) und bei Paul von Samosala (240) schenkt E. den Aussagen
ihrer Gegner unbedingt Glauben. Und warum Hippolyt „auf einer
etwas höheren Stufe" stehen soll als Novatian (S. 272), ist nicht einzusehen
. Was wir von Novatian an Schrifttum haben, kann sich an Kraft
und Würde neben dem Hippolyts sehr wohl sehen lassen. Dagegen
fehlen aus seiner Feder so gehässige Schmähungen der Gegner, wie sie
Hippolyt beliebt. Wiederholt spricht E. von der Kirche als dem „Reiche
Gottes" auf Erden (S. 23. 64. 212). Da es sich aber um die voraugusti-
nische Zeit handelt, wäre es Pflicht des Historikers, diese Ineinssetzung
auch quellenmäßig zu belegen, was freilich schwer halten dürfte.
Ebenso ist öfters von der „eschatologischen Stimmung und Erwartung"
dieser Zeit die Rede (S. 29. 90. 209), ohne daß ihr Ursprung einmal
erklärt würde. Beim Hirten des Hermas hat E. (S. 258) nun glücklich
entdeckt, daß in Rom in der Zeit vor Hermas höchstwahrscheinlich der
Brauch einer mehrmaligen Buße bestanden habe. Die Einschränkung
auf eine einmalige Buße aber sei „zeitgeschichtlich bedingt". Und dann
hat sie wohl aus Versehen oder kraft des Trägheitsgesetzes gleich Jahrhunderte
nachgewirkt? S. 71 sind die Zustände in der Heidenwelt doch
zu sehr nach Art der Adventspredigten grau in grau gemalt, wiewohl
die neuere Forschung doch etwas lichtere Farben hineingebracht hat.
Eine Zeit, die den neueren Stoizismus und den Neuplatonismus geboren
hat, kann doch nicht so grundverdorben gewesen sein. S. 283 erkennt
auch E. dies an, freilich mit der Einschränkung, daß diese „gewisse
Höhe" sich „mehr in den Theorien der Philosophen als in dem praktischen
Leben der Volkskreise offenbarte". Man könnte dem entgegenhalten
, daß im 3. Jahrhundert selbst christlichen Geistlichen bei Streitigkeiten
die schwersten Verfehlungen vorgeworfen wurden. Die Hebung
der ältesten Kirche zur Kunst ist S. 284 doch gar zu einfach erledigt.
Da oder dort wäre Gelegenheit gewesen, zu erwähnen, daß auch in
kirchlichen Kreisen zum Teil eine Neigung bestand, den Getauften die
Ehe zu untersagen. Was die soziale Haltung der ältesten Kirche betrifft
, so wundert es mich, daß die schöne und eindrucksvolle Stelle in
der Didaskalie II, 58, 4—6 (S. 168, 7 ff. Funk) so wenig verwertet
wird: wenn während der Predigt ein oder eine honorabilior eintritt, soll
der Bischof ruhig weitersprechen und es der Gemeinde oder dem Diakon
überlassen, für einen Sitzplatz zu sorgen. Kommt aber ein Armer oder
eine Arme, so soll der Bischof unter allen Umständen einen Sitzplatz
verschaffen, und wenn er selbst sich auf den Boden setzen müßte.
Diese Anweisung spricht freilich für kleinere Gemeinden und ist deshalb
in den Apostolischen Konstitutionen den veränderten Verhältnissen
gemäß abgeändert. S. 205 ist bei Tertullian ein Satz aus cap. 9 „seiner
ersten montanistischen Schrift (siehe S. 204)" angeführt. Diese wäre
nach S. 204 De fuga, gemeint ist aber die S. 203 erwähnte Schrift De
virginibus velandis. Druckfehler: S. 40 Wunderschau st. Wunderscheu,
S. 90 Phyatira st. Thyatira, S. 177 Aönen st. Äonen, S. 316 unglaublich
schlechte Flucht st. schnelle Flucht.

Das Buch ist sehr schön ausgestattet, und der Verlag
hat 17 von ihm ausgewählte Abbildungen beigegeben
. Erfreulich ist auch die Wahl deutschen Druckes.
Wie die Auflage von 20 Tausend und der niedere Preis
zeigen, ist es für weitere Kreise berechnet. Um so mehr
wäre eine Reinigung von unnötigen Fremdwörtern am
Platze gewesen.
München. Hugo Koch.

K rüge r, Dr. Gerda: Die Rechtsstellung der vorkonstantini-
schen Kirchen. Stuttgart: Ferd. Enke 1935. (VIII, 336 S.) 8°. =
Kirchenrechtl. Abhandlungen. H. 115 u. 116.

Bisher setzte man allgemein als selbstverständlich
voraus, daß die christlichen üemeindeverbände im römischen
Reich vor Konstantin grundsätzlich unerlaubte
und rechtlose Verbindungen darstellten. Die verhältnismäßig
gesicherte Stellung, die sie trotzdem einnahmen,
galt für ein Zeichen der Unstimmigkeit von Theorie und
Praxis, das verschieden ausgelegt wurde, das im Ganzen
aber doch verständlich schien; denn eine völlige Vernichtung
der Kirchen war bei ihrer politischen Bedeutungslosigkeit
anfangs nicht notwendig und wurde später
so schwierig, daß sie wohl stoßweise immer wieder
versucht, aber nicht mehr erreicht werden konnte.
Demgegenüber verficht dieses neue Buch folgende These
: von dem herrschenden Grundsatz des römischen
Vereinsrechts, das die Errichtung von Verbänden an
einen staatlichen Autorisationsakt gebunden habe, hätten
auch die christlichen Kirchen keine Ausnahme gemacht.
Nur die Bestattungsvereine waren von der zwingenden
Vorschrift der Meldung dispensiert. Die alte Annahme,
daß sich die christlichen Kirchen als solche collegia tenuio-
rum seu funeraticia organisiert hätten, wird aber mit
Recht als unzureichend verworfen. Andererseits war

I ohne staatliche Autorisation, wie die Verf. ausführt,
für die Kirche weder Versammlungsfreiheit, noch der
Erwerb von Vermögen noch eine passive oder aktive
i Parteifähigkeit möglich. Wenn sie also, lautet der weitere
Schluß, dies alles besessen hat, so muß sie auch
die staatliche Autorisation besessen haben. An die juristische
Untersuchung der Bestimmungen des römischen
Vereinsrechts schließt sich demnach als Hauptteil des
( Buches der Versuch eines geschichtlichen Nachweises,
i daß die Gemeinden die Rechte anerkannter Vereine
! nicht bloß tatsächlich ausgebübt und genossen — hier-
! über ist man sich weitgehend einig, was entschieden
, hervorgehoben werden muß —, sondern daß sie diese
I Rechte auch in aller Form besessen hätten. Auf diesen
! letzten Punkt kommt es für die Entscheider der Streitfrage
allein an.

Die Verfasserin erörtert zunächst die Vereins- und
Versammlu ng s f r e i he i t der Gemeinden. Sie geht
hier von der Feststellung des Heiden Kelsos aus,
mit der sich Origenes in seiner Gegenschrift als
erstes auseinandersetzen muß., Contr. Geis. I, 1:
jtotÖTOV tty KeXotp xEtpäXai(Vv eotiv ßoiAont'vci) fttaßaXstv -/0l(ma_
viau.6v, (1)5 aw{h|xac, xpüßÖnv jiqoc, äXW|Xov; jtoiovftevcov twv
Xgicrriavöh' jiaga ta vevou.ian.Eva- oti ttöv oim'h'ixcov al uiv Eiat
(pavEQca, ooa xaxn vö[iou? Y^ovrat, cu Öe eupavETc, oo«a jiao« xa
vevouuruEva owcEXovvxau Damit will er, wie Origenes selbst
erklärt, die christlichen Liebesmahle verdächtigen, wie
er denn überhaupt von geheimen Greueln und esoterischen
Lehren der Christen fabelt (I, 3. 7). Die öffentlichen
Vereinigungen der Christen enthalten insoweit also
nichts Widerrechtliches. Doch ist es m. E. zum mindesten
überflüssig den Gedanken dahin zuzuspitzen, daß
„die Ekklesien . . . nach dem Zugeständnis der Gegner
xatü vöuou; gegründet" seien, d. h. „eine gesetzliche
Grundlage aufzuweisen" haben.

Aus Justins Apologie, deren literarische Form als Eingabe an Kaiser,
| Senat und Volk anscheinend durchaus ernst genommen wird, ist nichts
zu gewinnen. Denn ob aus der öffentlichen Abhaltung der Gottesdienste
, die niemand bestreitet, und die Justin natürlich als durchaus
legal beschreibt, „der Schluß auf ihre gesetzliche Zulassung zu ziehen"
sei, ist ja eben die Frage. Zudem erklärt die Verf. selbst, daß es
den Magistraten „im Einzelfall freistand, die Veranstaltung sakraler Zusammenkünfte
trotz nicht eingeholter Genehmigung zu dulden" (S. 83
vgl. S. 60). Daß sie dies im Fall der Christen für „praktisch ausgeschlossen
" hält, da die Teilnehmer hier „übel beleumdet" waren, ist
etwas seltsam, wenn daraus gefolgert werden soll, daß die Kirchen nicht
bloß geduldet, sondern sogar „staatlich anerkannte Zweckverbände
waren".

Die Entscheidung fällt in jedem Fall bei Tertullian,
der die juristischen klarsten und ausführlichsten Angaben
über die Rechtsstellung der Christen gemacht hat.
Man hat über die Frage, ob nach seinen Ausführungen
besondere „leges" gegen die Christen vorauszusetzen
seien, viel gestritten (vgl. namentlich R. Heinzes Kommentar
zu „Tertullians Apologeticum" (1918) und zuletzt
J. Lortz, Tertullian als Apologet II, 1928). Jetzt

| werden wir mit der Mitteilung überrascht, daß Apol. 38

I vielmehr sogar ein „direktes Zeugnis über die Lizität
der Kirche" zu finden sei. Die Stelle lautet: „Proinde

j nec paulo lenius inter licitas factiones sectam istam de-

I putari oportebat, a qua nihil tale eommittitur, quäle de
lnlkitis factionibus praecauetur." „Der Apologet sagt
also aus, daß die christliche Religionsgesellschaft unter

| die erlaubten Verbände gerechnet wird." In Wirklichkeit
folgt die Verf. an dieser grundlegenden Stelle der fal-

| sehen, von allen neueren Ausgaben mit Recht verworfenen
Lesart. Der richtige Text bietet „inter inlicitas",
nicht „inter licitas factiones" und besagt dementsprechend
das Gegenteil. Die Art, wie die Verfasserin, die

! gerne mit Literaturangaben und Zitaten prunkt, diese
Willkürlichkeit ihrer Textgestaltung nicht einmal scharf
hervortreten läßt, geschweige denn begründet, stellt
ihrer philologischen Gewissenhaftigkeit ein schlechtes
Zeugnis aus. Die Lesart „illicitas" ist nicht nur durch

J den Zusammenhang zweifellos gefordert; nur so paßt
der Satz auch zu den sonstigen Ausführungen Tertul-