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Ausgabe:

1936 Nr. 17

Spalte:

318-319

Autor/Hrsg.:

Piper, Otto A.

Titel/Untertitel:

Sinn und Geheimnis der Geschlechter 1936

Rezensent:

Merkel, Franz Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 17.

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meint ferner, daß sich Zinzendorf im Reden von der
Bekehrung „stark der Auffassung" nähere, „die sich
in Luthers Wort: simul peccator, simul iustus kund
gibt" (S. 159). Aber die auf S. 160 beigebrachten Beispiele
bewegen sich in anderer Richtung (z. B. „wenn
sicli Unflätigkeit an euch waget, sprecht: Ich bin rein")
und S. 241 A. 48 zeigt den Abstand von Luther deutlich,
wenn die Sünde „wie ein störender Zahn kauterisiert"
wird, so daß sie nicht mehr schaden kann, während
sie bei Luther stets als wirksame Macht empfunden
wird, unter deren Einwirkungen der Gerechtfertigte
ebenso steht, wie bei ihm Gesetz und Evangelium
zu gleicher Zeit wirksam sind. — Und noch eine
These B.s darf nicht unwidersprochen bleiben, die Behauptung
, Zinzendorfs abstoßende Bilder und Luthers
deus absconditus .gehörten irgendwie zusammen (S.
141). Aber diese uns heute so seltsam erscheinende
Form der Verkündigung hat doch nichts mit Luthers
tiefer Gottesanschauung zu tun, die aus einer ganz anderen
theologischen Situation herausgewachsen ist und
nach ganz anderen Richtungen hin wirksam wird.

Auch die Behandlung der Frage: Zinzendorf
und die Mystik fordert Widerspruch heraus. Zunächst
begnügt sich B. damit, lediglich Zinzendorfs
Urteile über die Mystik anzuführen, ohne die Frage
aufzuwerfen, ob sie gerecht seien. Dabei sind Zinzendorfs
Einwände gegen die Mystik nicht stichhaltig.
Wann hätte es die echte und tiefe Mystik je auf eine
Apotheose menschlicher Natur abgesehen (S, 34), wann
hätte sie je die Schranke von Schöpfer und Geschöpf
nicht beachtet (S. 45)? Wenn B. darauf hinweist,
daß bei Zinzendorf die Seele als „Magd" bezeichnet
Wird (S. 47), so finden sich dazu Parallelen bei S.
Teresa de Jesus (cf. vita cap. 24, 7), und wenn B. weiter
behauptet, daß Zinzendorf nur deshalb die Schrecklichkeit
des leidenden Gottes so hervorhebe, um damit
den Abstand der Kreatur von Gott kundzutun (S. 146),
so wäre man gespannt, wie B. ähnliche Aussagen des
hl. Alfons Maria von Liguori deuten würde (cf. besonders
„Die Liebe der Seelen" cap. 11,4; 12,2; 13, l u.ö.).
Für nicht beweisend halte ich ferner die Ausführungen
über die Trockenheit (S. 35), sowie die über die Deutung
des Hohenliedes, wonach die Mystiker immer nur
die Seelenzustände im Auge hätten, Zinzendorf dagegen
die objektiven Heilstatsachen (S. 43). Aber S. Teresa
de Jesus findet in ihrer Auslegung des Hohenliedes
gerade eine Anspielung auf das christologische Dogma
in den ersten Versen!

Zwar achtet B. mit großer Sorgfalt auf die mannigfachen
Einflüsse, die auf Zinzendorf eingewirkt haben,
aber die Aufklärung wird nicht berücksichtigt. Können
hier jedoch nicht Berührungen vorliegen, auch
wenn der Graf prinzipiell antirationalistisch eingestellt
ist? Wenn er auf Fehler in der Schrift hinweist, wenn
er die besonderen Umstände und Zeitverhältnisse bei
der Exegese beachtet (S. 17), so ist das m. E. ebenso
aufklärerisch, als wenn er schreibt: „Alle Wahrheiten
sind ökonomisch" (d. h. sie sind durch Zeit und Ort,
sowie durch die Individualitäten bedingt. Auch Klima
und Volksart spielen eine Rolle, S. 186). Man könnte
auch seine Äußerungen über den „Generalgeist" (S. 15),
oder die „Zentralwahrheit" (S. 193) der Schrift, d. h.
die Reduzierung des Dogmas auf ein „Oktavblättchen"
(S. 101), als'aufklärerisch auffassen, muß es aber nicht.

Mag man auch hier und da anderer Meinung sein als
der Verf., so wird man doch gern und freudig anerkennen
, daß durch vorliegendes Werk unser Verständnis
für Zinzendorf und seine Theologie erheblich gefördert
worden ist. Daß der Autor das umfängliche Quellenmaterial
und die reichhaltige Literatur völlig beherrscht
, wovon die Anmerkungen hinreichendes Zeugnis
ablegen, ist bei einem Forscher vom Range Better-
manns einfach eine Selbstverständlichkeit. Wer das
Glück gehabt hat, von seiner kundigen Hand geleitet
die schönen Räume der Bibliothek in Herrnnut zu

j durchwandern, der wird nur wünschen, daß B. nach
j dieser dankenswerten Vorstudie uns das Buch schenke,
: auf das die Forschung wartet: eine erschöpfende Mo-
j nographie über den Grafen Zinzendorf, die sich zu
I einem Spiegelbilde aller geistigen Strömungen des 18.
Jahrhunderts ausweiten müßte.
Halle a. S. Walther Völker.

Piper, Prof. D. Otto: Sinn und Geheimnis der Geschlechter.

Grundzüge einer evangel. Sexualethik. Berlin: Furche-Verlag 1935.
I (250 S.) gr. 8°. RM 3.80; geb. 4.80.

„Das Anliegen dieses Buches ist, zu zeigen, daß die
geschlechtliche Frage nicht durch moralische Anforderungen
und hygienische und pädagogische Anweisungen
gelöst werden kann, wie das in der Mehrzahl der Se-

[ xualethiken versucht wird. Denn das geschlechtliche
Problem ist in erster Linie ein religiöses Problem, nicht

I ein moralisches" (Vorwort). So meint denn der Verfas-

| ser, daß uns vor allem „eine religiöse Sinndeutung der

j Geschlechtlichkeit und des Geschlechtslebens" nottue.

' Und diesen Sinn und dieses Geheimnis der Geschlechter

j möchte er uns in den vorliegenden Grundzügen nach
biblisch-evangelischen Richtlinien erschließen. Einleitend
schildert er in wohl allzu kurzen Zügen die Lage der
evangelischen Sexualethik; denn hier wäre es wichtig
gewesen, die Problemstellung der Gegenwart eingehend
zu beleuchten, wie ich das in meiner Schrift: Christentum
und Sexualethik, eine Auseinandersetzung mit Gegenwartsfragen
' (Alfr. Töpelmann, Gießen, jetzt Ber-

1 Tin, 1932) getan habe. Gerade da es dem Verfasser auf
die biblische Sinndeutung der Geschlechtlichkeit besonders
ankam, würde eine ausführliche entwicklungsgeschichtliche
Analyse der biblischen Anschauungen notwendig
gewesen sein, wie sie z. B. Herb. Preisker in

' seiner gründlichen .Studie zur Kulturgeschichte der alten

| Welt', betitelt: Christentum und Ehe in den ersten drei
Jahrhunderten' (1927) unternommen hat. Wenn H.

' Preisker auf Grund seiner sorgfältigen Untersuchungen
zu dem aufrüttelnden Ergebnis kommt: „Ein neues Eheideal
kennt das Evangelium nicht, hatte es bei seiner
eschatologischen Einstellung auch nicht entwickeln können
. . . Hier hat das Christentum nichts Eigenes und
nichts Neues geschaffen, sondern die moralischen Anschauungen
seiner hellenistisch-jüdischen Umwelt aufgegriffen
und ihnen nur mit ein paar christlichen Zusatzformeln
ein christliches Mäntelchen umgelegt" (a. a.
O. S. 254), so sind hier Probleme aufgezeigt, an denen
der evangelische Sexualethiker unmöglich vorübergehen
kann. Denn die exegetische Interpretation darf sich
über den historisch verständlichen Mangel klarer ethischer
Richtlinien auf sexuellem Gebiet innerhalb des
biblisch-neutestamentlichen Gedankenkreises nicht dadurch
hinweghelfen, daß sie moderne Anschauungen
und Empfindungen in die einzelnen Aussagen hineinträgt
und sie damit auf eine Höhe hebt, die ihnen ursprünglich
nicht eigen war. Auch hätte der häufig
verwendete Begriff: „Sünde" und „Schuld" einer kritischen
Analyse bedurft, da im semitisch-hellenischen

| Umkreis starke Wandlungen vorliegen, die in ihrer Gesamtheit
kaum bestimmend für die Gegenwart sein dürften
(vgl. dazu G. Mensching ,Die Idee der Sünde',
Lpzg., 1931). In zwei weiteren Abschnitten behandelt

• der Verfasser ,die Normen des Geschlechtslebens' und
,die Wirklichkeit des geschlechtlichen Lebens', worin
eine Reihe von Problemen sehr verständnisvoll besprochen
wird, wie z. B. der vor- und außereheliche Geschlechtsverkehr
(S. 196 ff.), Empfängnisverhütung (S.
168 ff.) u. a. Freilich in der ethischen Beurteilung
der Homosexualität vermag ich dem Verfasser nicht
beizustimmen, da er hier einen biblischen Standpunkt
sich zurechtlegt, der verwirrend wirkt; so schreibt er
S. 167: „Es läßt sich vom Standpunkt des Glaubens
aus auch nicht entscheiden, ob der Staat die geschlechtliche
Betätigung des Homosexuellen bestrafen solle.

I Andererseits kann die bloße Tatsache gleichgeschlecht-