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Ausgabe:

1936 Nr. 17

Spalte:

313-314

Autor/Hrsg.:

Stadtmüller, Georg

Titel/Untertitel:

Eine griechische Übersetzung des italienischen Apokalypsenkommentars von Federigo da Venezia 1936

Rezensent:

Michel, Otto

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Seite 1

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313

Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 17.

314

den ist, fehlt er bisher für den Mosessegen, weshalb
die armenische Version und die daraus geflossene georgische
Afterversion vorläufig von unersetzlichem Werte
sind. Als Resultat der Kollation beider Versionen, wobei
ihm für den armenischen Text Photographien der
betreffenden Partien der Hss. Venedig 352 und Jerus.
347 zur Verfügung standen, bucht der Vf. S. 53, daß der
georgische Text immer mit Venedig 352 und nicht
mit Jerus. 347 marschiert. Es sind auch die von Marr
und Blake aufgestöberten einschlägigen georgischen
Hss. in Jerusalem in die Erörterung einbezogen. Die
Schrift bietet eine nützliche Zusammenfassung und besonnene
Beurteilung des bisher hier Erreichbaren.
Goslar a. Harz. Hugo Duen sing.

Stadtmüller, Georg: Eine griechische Ubersetzung des
italienischen Apokalypsenkommentars von Federigo da
Venezia O. P. Leipzig: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung 1936.
(IV, 55 S.) 8°. = Texte u. Untersuchgn. der altchrisU. Literatur, hrsg.
von Erich Klostermann u. Carl Schmidt. Bd. 48, 2. RM 4.80.

In den Texten und Untersuchungen der altchristlichen
Literatur stellt G. Stadtmüller die wissenschaftliche
Forschung vor die Lösung einer bisher sehr
unsicher behandelten Frage. Cod. Laur. graec. 7,9
enthält nach der Beschreibung von A. M. B a n d i n i s
Catalogus (1764) den Apokalypsenkommentar eines unbekannten
Verfassers. In der Folgezeit schloß man sich
dieser Behauptung B a n d i n i s gewöhnlich an und ließ
entweder die Verfasserschaft in der Schwebe (Gregory
) oder dachte an Andreas von Cäsarea (v. Soden
) oder an Arethas von Cäsarea (Hoskier).
Stadtmüller hat nun das Verdienst, nachgewiesen zu
haben, daß die Handschrift in. die erste Hälfte des
15. Jhdt.s gehört und auf einen Kommentar zurückgeht,
der selbst dem 14. Jhdt. zuzuschreiben ist (fol. 3 v;
fol. 4 r). Das lateinische Psalmenzitat (fol. 151 v)
beweist, daß wir es mit einer Übersetzung aus dem Lateinischen
zu tun haben; andere Beobachtungen bestätigen
diese Vermutung. Fol. 137 r spielt offenbar auf
den Tod des Häretikers John Wiclif (1320—1384) an.
Das Original des griechischen Textes ist der italienische
Apokalypsenkommehtar Federigo da Venezias, dessen
Incunabelausgabe als Werk des Nikolaus v. Lyra tradiert
wurde. Nikolaus v. Lyra ist aber vor Wiclifs
Tod gestorben und kann selbst nicht der Verfasser sein.
Wir sind aber auf Grund von Quetif und Echard in der
Lage, Federigo da Venezia als Verfasser des lateinischen
Kommentars zu identifizieren. Unsere Studie vermutet
wohl mit Recht in dem Übersetzer einen unierten Griechen
, der in einer der lateinischen Herrschaften des
griechischen Ostens, wahrscheinlich im venizianiscTien
Kolonialreiche lebte (S. 36). Vielleicht ist Kreta die
Heimat dieser Übersetzung. Das würde mit cod. Paris,
ital. 86 übereinstimmen, und dieser Codex ist vielleicht
sogar die unmittelbare handschriftliche Vorlage der griechischen
Übersetzung. Stadtmüller verlangt auf S.
40: „Die künftige exegesegeschichtHche oder philologische
Forschung darf sich also bei der Beschäftigung
init dem Apokalypsenkommentar des Federigo da Venezia
nicht auf die Incunabelausgabe und auf die damit
übereinstimmenden Frühdruckausgaben stützen, sondern
sie muß auf den cod. Paris, ital. 86 zurückgehen."
Von der Übersetzung ins Griechische ist zu sagen, daß
sie weder geistig noch stilistisch eine besondere Bedeutung
hat; zahlreich sind sachliche Mißverständnisse und
stilistische Ungeschicklichkeiten. Es handelt sich um
vulgärkatholische Übersetzungsliteratur erbaulichen (nicht
wissenschaftlichen) Charakters. Die vorliegenden textkritischen
Hypothesen scheinen mir in ihrer Grundkonstruktion
stichhaltig und beweiskräftig zu sein; allerdings
hat dem Verfasser nicht alles in Frage kommende
Material vorgelegen, aber die textliche Priorität von cod.
Paris, ital. 86 scheint mir sehr erwägenswert zu sein.
Daß wir es bei dem genannten griechischen Text mit
einem nicht sehr glücklichen Versuch zu tun haben,

j den italienischen Apokalypsenkommentar Federigo da
i Venezias zu übertragen, ist aber erwiesen, und für die
Aufhellung dieses Tatbestandes dürfen wir dem Verfasser
unserer Studie und Prof. Dr. I. S c h m i d-Dillingen
dankbar sein.

I Halle a. S. O.Michel.

I__

| Buche, Joseph: L'^cole mystique de Lyon (1776—1847). Le
grand Ampere, Ballanche, Cl.-Julien Bredin, Victor de Laprade, Blanc
Saint-Bonnet, Paul Chenavard. Paris: F£lix Alcan 1935. (XI, 306S.) 8".
Im Mittelpunkt dieses Buches steht Pierre-Simon
Ballanche (1776—1847), eine der merkwürdigsten Gestalten
der französischen Geistesgesehiehte. Joseph
Buche bietet ausgewählte Kapitel aus seiner Biographie
und fügt ihnen Einzeluntersuchungen über seine Umwelt
, seine Freunde und seine Wirkung hinzu. Dreierlei
verdient in dieser Zeitschrift hervorgehoben zu
werden.

1. Lyon wird im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts
eine Hochburg des Illuminismus. Dessen eifrigster För-

j derer ist der Kaufmann J.-B. Willermoz. Auf seine Bitte
kommt im Jahre 1773 Louis-Claude de Saint-Martin

j nach Lyon; er bleibt dort bis 1775 und schreibt und
veröffentlicht während dieser Zeit sein Buch Des erreurs
et de la verite'. Sein zweiter Aufenthalt (1785/6) dauert

j nur vier Monate. Das Illuminatentum hat seinen Mittelpunkt
in der Lo g e d e 1 a B ie nfa i s a n ce. Ballanche

I bezieht aus jener theosophischen Gedankenwelt entscheidende
Anregungen. Die Theorien des Prophetis-

I mus, der Erleuchtung, der Prüfungen, der göttlichen
Übermittlung der Sprache und schließlich der Ausle-

i gung der Revolution als einer Tat Gottes wirken in
seinem und seiner Freunde und Folger Werk fort. Die
Petite Academie de Lyon, zu der außer Ballanche
auch Ampere, Cl.-J. Bredin und Jacques Roux-
Bordier gehören, schließt eine Gruppe leidenschaftlicher
und bohrender Denker zusammen. Deutsche Einflüsse
spielen bei ihnen eine nicht unwichtige Rolle. So übersetzt
beispielsweise Bredin für Ballanche ausgewählte
Stücke aus Jakob Böhme.

Ob nun freilich Illuminismus, Petite Academie und
jüngere aus der Stadt Ballanches stammende Geister
wie Victor de Laprade, Adolphe-Antoine Blanc Saint-
Bonnet und Paul Chenavard den von Buche im Titel
seiner Arbeit vorgeschlagenen Gesamtbegriff einer
Ecole mystique de Lyon rechtfertigen, erscheint
mir überaus zweifelhaft.

2. Joseph Buche erörtert die Frage, ob und wieweit
Ballanche mit seinem Buche Du sentiment auf Chateau-
briands Oinie du christianisme Einfluß ausgeübt hat.
Er weist, wie ich glaube überzeugend, nach, daß Chateaubriand
sowohl den Ausdruck genie du christianisme
wie auch eine Reihe von Einzelmotiven seines Werkes
von Ballanche übernommen hat.

3. Eine systematische Analyse der Gedanken Ballanches
würde man bei Joseph Buche vergeblich suchen.
Immerhin treten die geschichtsphilosophischen und religiösen
Hintergründe des Essai sur les instituüons
(1818) und der Palingenesie sociale (1827—1829) mit
ihrem harmonisierenden Evolutionismus und ihrer philosophisch
-mythologischen Umbildung des aufklärerischen
Fortschrittsglaubens deutlich zutage. —

Die zahlreichen scharfsinnigen Nachforschungen nach
Spuren Ballanche'scher Gedanken bei Vigny, V. Hugo,
V. de Laprade und andern gehen ebenso wie die Untersuchungen
über seine Beziehungen zu Freunden und
Frauen (Madame de Recamier!) weniger den Kirchenais
den Literarhistoriker an.

So wenig das vorliegende Buch als Ganzes ein
organisches Gebilde geworden ist, so gründlich, gelehrt
und dankenswert ist es im Einzelnen. Es dient der lokalen
wie der großen Geistesgeschichte, indem es einen
der eigenartigsten Wege vom 18. Jahrhundert her bis
tief ins 19. hinein verfolgt.

Marburg. _ w. Kalthoff.