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Ausgabe:

1936 Nr. 17

Spalte:

306-310

Autor/Hrsg.:

Barton, George A.

Titel/Untertitel:

Semitic and hamitic origins 1936

Rezensent:

Duensing, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 17.

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Einheit der „sozialen Relation" hervor (S. 11), und
damit wird seine Orundtheorie die der „gegenseitigen
Perspektiven" (S. 48) oder der „reciprocite des Liaisons
du moi et du toi" (S. 68, vgl. 77. 83. 94). Mit dem
Übergang von der allgemeinen zur religiösen Soziologie
wagt er den Schritt in metaphysische Spekulation
(S. 30), indem er von transzendentalen Bindungen spricht
(S. 35—48), und das schaut er etwa unter dem Bilde
„d'un courant de vie circulaire, partant de Dieu et
remontant ä lui, mais reliant aussi en an circuit horizontal
Väme individuelle et la sociite religieuse et celle-ci
ä celle-lä" (S. 47). Von menschlichem Gesichtswinkel
aus gesehen erscheinen die entsprechenden Bindungen
als psycho-sozialer Art, und hier untersucht W. nach
einander die Rolle der religiösen Individualität (S.
48—76) und die der religiösen Oesellschaft (S. 76—93),
um ihre Synthese im Zentralgedanken der Gottesgemeinschaft
zu finden (S. 93ff.).

Um aber zu einem Verständnis der soziologischen
Struktur des Kultus zu kommen, genügt es nicht, die
Gesetze der allgemeinen und der religiösen Soziologie
auf ihn anzuwenden, vielmehr wollen seine „Milieux"
und zwar die profanen wie die religiösen untersucht sein,
und dieser Untersuchung gilt Teil II (S. 107—410).
Als profane nennt W. die „unorganisierten" (Horde,
Menge, Rassen, Menschheit), die primitiven (le lien
du nom, du sang, du sol), die politischen, die ökonomischen
, die kulturellen. Bei den religiösen unterscheidet
er 1) la comr,unaute, zu der als soziologischem Ideal
das Urchristentum und der Protestantismus hinneigt
(vgl. wie schon in der ersten deutschen evangelischen
Messe Th. Nigris in Straßburg 1524 statt für die h.
katholische Kirche für „diese gemeyen" gebetet wird,
S. 221, Anm. 1) 2) die Kirche 3) die Sekte 4) die religiösen
„Eliten" (Mönchtum, Bruderschaften und eccle-
siolae).

Teil IM (S. 411—514) handelt von der sozialen
Struktur des Kultes. An die Spitze stellt W. die „konstitutiven
Kräfte" (missionarische Impulse, religiöse und
moralische Kräfte, ästhetische Faktoren, juridische Elemente
). Mit diesen konstitutiven Faktoren verbinden
sich die vermittelnden („les forces mediatrices"), die
W. unter dem Gesichtspunkt von „virtualites uniüves du
Symbole cultucl" (S. 448) betrachtet: das Dingliche
(la chose), das Wort, die Person, die Handlung, die
Atmosphäre (Kunst, Raum und Zeit, das Schweigen).
Aus alledem ergibt sich als Struktur des Kultes einerseits
seine Einheit, andererseits seine Mannigfaltigkeit
(la variete des cultes).

Diese trockene Aufzählung vermag kaum einen Begriff
vom Reichtum des Materialcs und der Gedanken
zu geben, den W. in glänzender Darstellung vor dem
Leser ausschüttet. Was ich bei Besprechung des zweiten
Bandes an geradezu künstlerischer Feinsinnigkeit
und vor allem an bewunderungswürdiger Vielseitigkeit
theologischer und allgemeiner Bildung dem Verfasser
nachzurühmen hatte, das bewährt er in nicht minder
hohem Maße auch in diesem dritten. Wechselnde Fülle
der Blickpunkte, von denen aus er dem Wesen und
Ideal des Kultes hier auch in soziologischer Hinsicht
nahe zu kommen versucht, birgt vielleicht nur die Gefahr
in sich, daß den Leser gelegentlich ein etwas verwirrendes
Gefühl beschleicht, wo er denn nun eigentlich
innerhalb der Gesamtschau stehe. Persönlich ist
mir /.. B. nicht überzeugend geworden die Notwendigkeit
der Einordnung der Ausführungen über die Organe der
göttlichen Wirkungsweise (Wort Gottes, Gebet, Sakramente
) in das Kapitel „communaute", wo ich sie vielleicht
eher im Kapitel „l'Eglise" erwartet hätte. Aber
wichtiger als über dispositionelle Fragen zu handeln
ist es, W.'s Stellungnahme zu der tatsächlichen Kultgestaltung
als solcher kennen zu lernen. Ich kann hier
nur ganz wenig herausgreifen. S. 235: A notre ayis,
un symbole, ricite en choeur par Vassemblee, au. debut
du culte, aurait une puissance associative plus con-

slderable qu'un cantique, dont le lyrisme efface les
contours bien arretes convenant ä un acte de foi." Von

' der Predigt verlangt W. möglichst objektiven Charakter,
damit sie „Organ des Wortes Gottes" werde (S. 266):
„le contenu de la predication importe peu, si le fait
essentiel se produit, si la voix de Dieu se fait entendre
et si sa presence est ressentle, ce qui est le but de tout
culte vlvant" (S. 262). Besonderes Gewicht legt W.

; auf den „caractere sacramentel" der Taufe, den mit
ihrem „caractere commu/iautaire" in Einklang zu bringen
, er den Aufriß einer feierlicheren Form des Tauf-
vollzuges in Vorschlag bringt (S. 275), und entsprechend

' möchte er als „Krönung der Taufe" die Konfirmation
behandelt wissen (S. 276 f.). Das Abendmahl, in dem
er wieder das Nebeneinander der „motifs proprement

j sacramentels" und der „tendances communielles" nach-

| weist (S. 284), sähe er gerne Abends und als autonomen
Gottesdienst gefeiert (S. 281). Wenn er in allem die
„prirtwrdlaüti de Vaction divine" (S. 293) betont, so

i sei zur Ergänzung dazu noch der für seine Auffassung
vom Wesen des Kultes besonders charakteristische Satz
hervorgehoben: „Le fideisme et la mystique peuvent se
marier dans le culte. La renaissance de l'ideal ecclesiasti-
que, sous la forme du corps du Christ, permet d'espcrer
que l'element mystique retrouvera l'acces des templcs
protestants . . . De son cöte le culte catholique aurait
avantage ä nüeux faire valoir le facteur fidelste (S.
317 f.). — S. 298 Anm. 41. idschma st. idschla.

Im Kapitel über die politischen Milieux kommt W.
auf das Verhältnis von Staat und Kirche zu sprechen.
Bewußt hält er sich hier davon zurück, auf gewisse
aktuelle Fragen der Kirchen des dritten Reiches einzugehen
, weil ihre Lage im Augenblick, wo er schreibe,
noch ungeklärt sei (S. 191, Anm. 3). Auf besonderes
Interesse aber dürften die Ausführungen stoßen, in
denen er sich über den Zusammenhang von Religion
und Nationalismus ausläßt: „On ne peut pas, du point
de vue religleux, icarter a limine les aspirations nationales
corrune etani d'essence purement terrestre" (S.
341). Aber bei aller Verpflichtung der Kirche, den Kontakt
mit der Seele des Volkes zu suchen, „il n'esl pas
permis d'identifier leurs fins" (S. 342).

Überhaupt dürfte es nicht schwer sein, auch aus
diesem Bande eine Blütenlese glücklich formulierter
z. T. grundsätzlicher Sentenzen zusammenzustellen,
z. B. S. 11: „Les phenomenes vitaux debordent le
Schema logique"; S. 82: „Le passe ne peut etre conservi

I que dans la mesure oh il se transforme et se survit ä

I lui-meme": S. 192: „Une religion ne s'invente pas"
usw. Vortrefflich ist das Wort von Kulten „qui ont la
beaute du diable" (S. 204) und der Protest gegen Pre-

j diger, die nie vom täglichen Brot sprechen können, ohne

| gleich hinzuzufügen, daß der Mensch nicht vom Brot
allein lebe (S. 169). Die Anschaulichkeit, Klarheit und
Prägnanz solcher Ausdrucksweise hilft erfreulicher Weise
in den meisten Fällen über Schwierigkeiten des Ver-

j ständnisses, die sich zuweilen aus der starken Neigung

] des Verfassers zum Systematisieren ergeben könnten.
Schließlich sei ihm zur Vollendung seines meisterlichen

j großen Werkes ein freudiger Glückwunsch ausgesprochen
.

Berlin. Alfred Bertholet.

Barton, George Aaron: Semitic and Hamitic Origins. Social
and Religious. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 1934.
(XVI, 395 S.) gr. 8°. $ 4-.

Es liegt hier ein Werk vor, das umfassende Gelehrsamkeit
mit Weite des Blickes und wissenschaftlicher
Phantasie und Kombinationsgabe verbindet. Diese letzteren
sind unentbehrlich, wenn man, wie der Verfasser,
in ein Gebiet eindringen will, auf dem man den Boden
: der Geschichte nicht mehr unter den Füßen hat; die
ersteren sind nötig, wenn solches Vordringen nicht zu
gänzlich unbegründeten und darum unkontrollierbaren
1 und das heißt dann wertlosen Vermutungen führen soll.