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Ausgabe:

1936 Nr. 17

Spalte:

301-303

Autor/Hrsg.:

Fischer, Hanns

Titel/Untertitel:

Aberglaube oder Volksweisheit? 1936

Rezensent:

Vorwahl, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 17.

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Dogmenge schichte rechnen. Dogmengeschichtlich und dogmatisch
aber ist der Aufsatz von L. Malevez, L' E g 1 i s e dans Ie Christ
(S. 257—291 und 418—439): im ersten Teil zeigt er, daß die Theologie
der alten griechischen Kirche die Vorstellung, daß Jesus Christus bei
seiner Menschwerdung das Menschengeschlecht als Ganzes, mit sich
vereinigte, als geoffenbarte Lehre betrachtet und mit Hilfe des platonischen
Realismus, der auch der Idee der Oesamtmenschheit eine Wirklichkeit
zuerkannte, gedankenmäßig verarbeitet und mit andern Aussagen
der Offenbarung in Einklang gebracht hat. Im zweiten Teil sucht er
diesen üedanken aus dem vollen platonischen Realismus in den gemäßigten
Realismus der aristotelisch-thomistischen Philosophie überzuführen
und so der kirchlichen Theologie dienstbar zu machen. Die
Abhandlung soll ein Kapitel eines in Vorbereitung befindlichen Werkes
.L'Eglise dans le Christ' bilden. —

Moral. J. Rimaud bringt S. 159- 169 den 1934, 385—402 begonnenen
Aufsatz über „ Le caractere spirituel de la Morale chre-
tienne" mit der Erörterung der evangelischen Räte und der läßlichen Sünde
zu Ende. — O. de Broglie setzt S. 5—44 seine Abhandlung „Malice
intrinseque du peche" et pech^s heureux par leurs
consequences" (1934, S. 302—343 und 578—605 siehe diese
Ztg. 1935, Sp. 403) fort, indem er „menschliche Sittlichkeit und sekundäre
Tätigkeitszwecke" in Betracht zieht.

Einen Beitrag zur Religionsgeschichte liefert P. Joüon
mit seinem Aufsatze über „Das religiöse Gefühl in den ältesten
moslemischen Grabinschriften Ägyptens" (S. 513
bis 530): an Hand des 1. Bandes der „Publications de l'Institut Francais
d'Archeologie Orientale" (1931) gibt er eine Übersetzung der Grabschriften
aus den ersten drei Jahrhunderten der Hedschra (633 — 913) in
ihrer Zeitfolge und hebt jeweils Einzelheiten hervor. Diese Grabschriften
sind tief religiös und nur religiös, aber von Gebildeten verfaßt. —
S. 188 —225 berichtet G. de Jerphanion unter dem Titel „Die
magische Formel Sator Arepo oder Rotas Opera. Alte
Theorien und neue Tatsachen" von einer bei Ausgrabungen
in Doura am Euphrat 1932/1933 in einem ehemaligen Büro der ac-
tuarii der Hilfskohorten gefundenen Inschrift aus der ersten Hälfte
des dritten Jahrhunderts mit den in großen Buchstaben gehaltenen und
zu einem Rechteck untereinandergesetzten Wörtern Rotas Opera Tenet
Arepo Sator, und erörtert die Verbreitung der Formel bei den Kopten
und Äthiopiern, in der byzantinischen Welt und im Abendland. Ergebnis
: ursprünglich ist die Formel Rotas opera, nicht Sator Arepo; sie
stammt aus dem Anhang des 3. Jahrhunderts und kam in christlichen
Kreisen Galliens auf, das Geviert aber schließt wahrscheinlich ein das
Bild des Kreuzes, die Wörter Pater noster und ein Bekenntnis des
Glaubens an den, der A und O, Anfang und Ende ist.

Endlich noch eine Abhandlung von G. Fessard über „Die
Philosophie des M. R. Le Senne". (S. 129-158 und 292—328):
ausgehend von der Tatsache, daß in der deutschen Philosophie seit dem
Weltkriege die sog. Phänomenologie vorherrscht (Husserl, Scheler,
Heidegger), stellt er die Grundgedanken des genannten französischen
Philosophen in seinem neuesten Werke „Obstacle et Valeur" und ihre
Verwandtschaft mit deutschen Gedankengängen heraus.

München. Hugo Koch.

Fischer, Hanns: Aberglaube oder Volksweisheit? Der wahre
Sinn der Bauernbräuche. Breslau: Dr. Herrn. Eschenhagen 1936.
(292 S. m. 24 Abb. u. 10 Taf.) gr. 8°. geb. RM 6.85.

Fischer macht der Volkskunde den Vorwurf, daß sie
zwar emsig gesammelt habe, aber am Schreibtisch sitzen
blieb und" die im sog. Aberglauben enthaltenen Behauptungen
nicht in der Natur nachgeprüft habe. Indem
er diese Aufgabe nachholt, glaubt er eine Umwälzung
der Volkskunde herbeizuführen, durch die der Rest eines
ehemaligen Weisheitsschatzes unserer Ahnen aufgedeckt
werde, der in seinem Wert all unser heutiges Wissen
an Tiefe und Bedeutung überragen soll. So führt er
den im Volksglauben betonten Zusammenhang zwischen
Freitags- und Sonntagswetter darauf zurück, daß in der
Zeit des „Urmonats" die zwei monatlichen Sonntage
mit dem Neu- und Vollmondstag zusammenfielen, die
oft Wetterwechsel brachten, welchen die „Ur-Freitage"
dann ankündigten. Die Rolle des Freitags als Unglückstag
hinge demgemäß mit der Sonnenelektrizität und
ihrem Einfluß auf die Nerven zusammen, die in der
Häufung von Verkehrsunglücken (Schemms Tod) in
Erscheinung trete. Jene Kräfte, welche die Großwetterlage
bestimmen, ließen auch die Sinfonie der Liebessehnsucht
erklingen. Daher sei für die Liebe der „UrFreitag
" ein Olückstag gewesen. Eine kosmisch bedingte
Erregungszeit ist nach Fischer auch der Fasching,
bei dem der Tanz der Beseitigung elektrischer Feldstörungen
diene, indem die Kraftfelder von Mann und

Weib gegensätzliche Polung besäßen. So werden ihm
alle Feste und Bräuche zu ursprünglichen Gesundheitsmaßnahmen
gegen irgendwelche „Strahlungen", von
denen die „Erdstrahlen" als angebliche Ursache von
Krankheiten seit kurzem ein allgemeines Bertrücken
in den Wohnungen hervorgerufen haben, um den verderblichen
„Reizstreifen", an denen die Erdstrahlen aus
der Tiefe aufsteigen, auszuweichen. Folgerichtig leiden
auch Pflanzen und Tiere unter diesen geheimnisvollen
Strahlen, sofern nicht bestimmte Pflanzen und Tiere

I wie die Mistel und Ameisen Stellen mit erhöhter Strah-

! lung bevorzugen und die schädliche Wirkung aufheben.
So soll der Weihnachtsbaum oder die aus Holz ge-

' schnitzte Taubenfigur (sog. Unruhe) in der Stube die
schädliche Strahlung abdrosseln, wie der Brauch des

I „Mietens" der Bäume durch Strohseile eine Abschir-

, mung darstellte. Da der Storch Häuser meide, die der
Strahlung ausgesetzt sind, und solche bevorzugt, die

i der Fortpflanzung günstig sind, ist er nach Fischer

| zum Kinderbringer geworden. Ebenso sind die Gänse
gegen elektrische Wirkungen besonders empfindlich,

: weshalb sie dem Donar geweiht erst verzehrt werden

! dürfen, wenn die Zeit der Gewitter vorüber ist. Das

! Auftreten von Gespenstern und Spuk soll an Reizstreifen
gebunden sein, deren Kreuzungspunkte als Bilwis-
pfade Blitzfangpunkte seien. Da auch Skeletteilen eine
starke Strahlung eigen ist, gedeihen an Galgenplätzen
wirksame Heilpflanzen, wie auch vom Essenden Strahlen
ausgehen sollen, die den Gewitter-Spruch verständ-

I lieh machen: Den Schläfer laß schlafen, den Esser
schlag tot. Mit Hilfe dieser hypothetischen Erdstrahlen
und Hörbigers Welteislehre will der Verfasser die höchsten
sittlichen und naturreligiösen Grundvoraussetzungen
Deutschen Seins uns wieder vor Augen stellen, die
absichtlich unserm Volke verdunkelt und lächerlich ge-

j macht worden seien.

Die Fachwissenschaft hat freilich schon länger die
Einflüsse atmosphärischer Vorgänge auf das Krankheitsgeschehen
verfolgt und zugegeben, daß für die Entstehung
jahreszeitlich bedingter Krankheiten zum Teil
die Ultraviolettstrahlung der Sonne von ausschlaggebender
Bedeutung ist. Die Wachstumsverstärkung und Heilungstendenz
bei Rachitis, die hormonale Frühjahrskrise,
Basedow- und Ekzemhäufungen sowie die Provokationsepidemien
latent Malariakranker gehören in diesen Zusammenhang
, wie ein sicherer Einfluß der Sonnenrotation
auf die Todesfälle besteht (de Rudder, Münch,
med. Woch. 35 Nr. 8). Ebenso ist die biologische Wir-

i kung von verschiedenen Strahlen (Ultrakurzwellen, Rönt-

[ gen- und Radioaktiver Strahlen) bekannt, aber sie werden
fast ausnahmslos erst künstlich erzeugt. Die
in der Natur vorkommenden Strahlen und Kraftfelder

j sind dagegen von viel zu geringer Intensität, um biologische
Reaktionen im Sinn einer Schädigung bezw. Erkrankung
zu erzeugen. Das ergibt sich schon allein

I daraus, daß heute in jeder Wohnung elektrische Wellen
verschiedenster Längen sowie magnetische Kraftfelder
erzeugt werden, ohne daß nachteilige Folgen bemerkbar
wären. Selbst in der Nähe von Großsendern, in denen
verhältnismäßig ungeheure Feldstärken auftreten, sind

noch keine Anomalien der Flora und Fauna sowie des
Gesundheitsstandes der Bevölkerung bekannt geworden

, (W. Friedrich, Deutsche med. Woch. 1935, 84). Die
wesentlichste Stütze für das Vorhandensein der Erdstrah-

, len findet der Glaube in der Häufung von Unglückst-
fällen an derselben Stelle sowie der Zeit der Not nach

1 dem Kriege und dem Geschäftsinteresse, wie die Artikel
„Funkschmuck, Antennen, Astralgürtel, Bettdecken und
Entstrahlungsapparate" beweisen. Mit Rücksicht auf

! die Wünschelrute setzte man die Erdstrahlen in Beziehung
zum Grundwasser, wie die „Fähigkeit" der
Rutengänger der Entwicklung des Wirtschaftslebens folgend
sich auf Öl, Salz und Radium ausdehnte, als diese
Bodenschätze Bedeutung gewannen. Da es aber an
jeder Stelle der Erde Wasser gibt und nur im Gebirge