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Ausgabe:

1936 Nr. 14

Spalte:

254-257

Autor/Hrsg.:

Göhler, Alfred

Titel/Untertitel:

Calvins Lehre von der Heiligung 1936

Rezensent:

Schulze, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 14.

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Auch von den Namen der Himmelstore und der
Wachtengel bedürfen einige der Aufklärung (S. 10 und j
11). Darnach wird der Gang der Seele in seinen einzelnen
Phasen festgelegt (S. 28). Hinsichtlich der Funktionen
dieser 7 Himmel ergibt sich eine fundamentale
Schwierigkeit, die der Verf. auf S. 29 erörtert. Warum i
werden die Sünder in den 3 mittleren Himmeln, dem
feurigen Ofen oder dem Fluß von Eis, dem feurigen |
Fluß oder dem Feuerwall, dem Strudel und dem Rad,
zurückgehalten? Worin besteht der Unterschied zwi- j
sehen diesen Himmeln mit ihren reinigenden und strafen- j
den Mächten und der Hölle? Nach der Ansicht des Verf. i
beruht dies auf einer Art Verschmelzung einer entsprechenden
Reihe vorhergehender Bestrafungen in den
12 Höllen.

Bemerkenswert ist, daß diese Version des Seelenweges
keine Nachfolger im Englischen gezeitigt hat.
Möglicherweise hängt dies mit der klösterlichen Reform j
zusammen oder mit der neuentwickelten Lehre vom
Fegefeuer und der sehr volkstümlichen Vision des Pau- j
lus, die einen weit grimmigeren und blutigeren Bericht |
von der zukünftigen Welt gab (S. 30).

Das 2. Thema, die 3 Äußerungen der Seele, hat eine
üppige Lit. hervorgerufen, die sich mit dem Leib und
der Seele und der zukünftigen Welt befaßt. Louise
Dudley (The Egyptian Elements in the Legend of
the Body and Soul, Baltimore, 1911) veröffentlichte eine
lateinische Homilie aus dem MS. Latin 2628 der Bib-
liotheque Nationale zu Paris. Hier wird beschrieben,
wie einerseits die sündige und andererseits die gerechte
Seele aus dem Körper herausgeholt werden, zugleich
mit ihren ersten Reaktionen auf die Welt nach dem
Tode.

Dasselbe Thema wird noch in einem irischen Text ;
behandelt, der etwa um dieselbe Zeit von Carl Marstran- j
der (The Two Deaths in Erin, 1911) herausgegeben |
wurde. Es ist eine irische Homilie aus dem Liber Flavus i
Fergusiorum, wo diese Erzählung von den Äußerungen
in der Form der in den Vitae Patrum erzählten Geschichte
wiedergegeben wird (s. Migne, Patrologia La-
tina LXXIII, col. 1011 —1012), wonach einem gewissen
Mönch auf sein Gebet hin erlaubt wird, Zeuge der Art
und Weise zu sein, wie der Böse und der Gerechte diese
Welt verlassen.

Zu diesen nach Ansicht des Verf. einzigen Texten,
die die 3 Äußerungen enthalten, kommen nun neue Versionen
, die in altenglischen Homilien überliefert sind
und deren Herausgabe d. Verf. vorbereitet. Auch diese bisher
unveröffentlichten 4 Hss. sind aus der Zeit um 1100.
Vorläufig gibt er in dem Buch eine allgemeine Beschreibung
jeder einzelnen Homilie und druckt nur die diese j
Studie betr. Teile vollständig ab. Auf die 5 nebeneinander
gestellten Texte (S. 37—57) folgt im Umriß eine
tabellarische Übersicht über die einzelnen Teile betr.
den Tod des Sünders und den Tod des Gerechten, um
dann zu einer kritischen Untersuchung über die Hauptzüge
der 3 Äußerungen überzugehen. Als Ergebnis stellt '
sich heraus, daß eine Art Verschmelzung mit der Visio [
Pauli stattfand. (S. 74 u. 75). Überdies ist eine Homilie
dieser Art, worin die „Äußerungen" i. d. Visio Pauli erhalten
sind, vorhanden unter den dem Wulfstan zugeschriebenen
Homilien (s. Napier, Wulfstan, S. 235). I
Jedenfalls muß in irgendeiner Form, worin die Geschichte
von den 3 Äußerungen mit Material aus der
Visio Pauli bereichert wurde, das Thema in altenglischer !
Zeit in England landläufig gewesen sein, wobei möglich
ist, daß diese Verbindung auf den britischen Inseln
stattfand.

Die Geschichte der 3 Äußerungen geht zurück auf i
jenen ülaubensschatz, der die Erfahrungen der Seelen
beim Tode enthält und der die Visio Sancti Pauli, die
Himmelfahrt der Jungfrau Maria, die Pseudo-Ma-
kariuslegende, die Geschichte von den beiden Arten des j
Todes in den Vitae Patrum und ähnliche hervorgebracht
hat. Es ist bezeichnend, daß außer dem lateinischen
Text das Beispiel der 3 Äußerungen in 4 auf britischem
Boden entstandenen Texten überliefert ist: in
den 3 englischen Homilien und dem irischen Text.
Ihre Züge sind eben unrömisch, und sie weisen eher
auf heterodoxe als auf orthodoxe Theologie hin und
eher auf die keltischen als auf die römischen Elemente
im altenglischen kirchlichen Leben als dem Milieu,
worin jenes Thema gedieh. (S. 145).
Göttingen. O. Boerner.

Göhl er, Lic. Alfred: Calvins Lehre von der Heiligung. Dargestellt
auf Grund der Institutio, exegetischer und homiletischer
Schriften. München: Chr. Kaiser 1934. (136 S.) gr. 8°. = Forschgn.
z. Gesch. u. Lehre des Protestantismus. 7. Reihe, Bd. III. RM 2.80.

Man muß dem Verf. dankbar sein, daß er die Lehre
Calvins von der Heiligung besonders behandelt und
ihre weittragende Bedeutung für sein Lehrganzes ins
Licht gestellt hat. Das ist sehr zeitgemäß. Ich gebe
zunächst die Hauptgedanken seiner Schrift wieder.

Die H. beruht auf, ja besteht letzthin in der Gottzugehörigkeit
, die ihrerseits schon in der Schöpfung
und erst recht in der Erlösung begründet ist. So Gottes
Eigentum geworden, sind wir ihm geheiligt, haben
uns aber nun auch ganz in seinen Dienst zu stellen
in willigem Gehorsam. Wir gehören nicht uns, sondern
Gott und sind damit von der profanen Welt geschieden
.

Dies der Begriff der H. Sie kann aber der Sünde
wegen nur durch die Wiedergeburt, die Wiederherstellung
der ursprünglichen Schöpfungsnatur des Menschen,
verwirklicht werden. Diese wird uns auf Grund der
Stellvertretung des Gottmenschen, der uns durch
seine Selbstheiligung die H. erworben hat, zu teil,
wenn wir durch den heiligen Geist im Glauben mit
Christus vereinigt werden. Mit dem Glauben zugleich
wird die Buße gewirkt, die einerseits Abtötung, andrerseits
Lebendigmachung ist, entsprechend ihrer doppelseitigen
Begründung in Tod und Auferstehung Christi.
Die Abtötung wiederum geschieht in doppelter Weise,
innerlich durch die abnegatio nostri, äußerlich durch
die tolerantia crucis, die besonders das Verlangen nach
dem zukünftigen Leben, die meditatio futurae vitae,
weckt und mit ihr die Verachtung des gegenwärtigen
Nur als der Weg zu jenem hat dieses Wert.

Die bisher als göttliches Gnadenangebot beschriebene
Wiedergeburt und mit ihr die H. will aber weiter
als menschliche Erfahrung oder nach der Seite ihrer
Erscheinung am wirklichen Menschen beschrieben werden
. (Das ist eine Frage der Selbsterkenntnis wie
jenes eine der Gotteserkenntnis). Von hier aus stellt
sie sich dar als ein fortdauernder Kampf zwischen
Fleisch und Geist, also immer unvollendet. Schon ergriffen
vom Geist, ist der Mensch doch von der Sünde
noch nicht geschieden; aber er wird doch auch von
dem göttlichen Geiste, dem unüberwindlichen, nicht mehr
losgelassen, und damit hat er das Vermögen unwandelbarer
Beharrung. So steht auch der Fortschritt unter
dem Zeichen der göttlichen Gnade; andrerseits erfordert
er entschiedenen, mutigen und unablässigen Widerstand
gegen das Fleisch. Das geht so fort bis zum
Tode, dem Ende des Kampfes, wenn auch nicht des
Fortschrittes, der erst mit der Auferstehung und der
Vollendung des Reiches Gottes sein Ziel erreicht.

Der göttliche Anspruch, dem der in der H. stehende
Wiedergeborene entspricht oder doch zu entsprechen
rastlos sich bemüht, ergeht an uns in Gottes Gesetz,
das C. im Dekalog vollkommen geoffenbart findet,
und dessen erste Tafel die Gottes-, dessen zweite die
ihr entspringende und in den Schöpfungsordnungen sich
betätigende Nächstenliebe, die Kehrseite der Selbstverleugnung
, fordert. Das wird an den einzelnen Geboten
näher ausgeführt.Vf. begnügt sich aber nicht damit,
die Lehre C.s von der H. für sich darzustellen, sondern
setzt sie auch mit seinen andern Hauptlehren in Verbindung
, wie sie denn tatsächlich bei C. in engster Be-