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Ausgabe:

1936 Nr. 1

Spalte:

6

Titel/Untertitel:

Die Evangelien 1936

Rezensent:

Seesemann, Heinrich

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 1.

6

in ihrem Urteil und hat an entscheidenden Punkten fehlr
gegriffen. Es rächt sich, daß die rein ideengeschichtliche
Arbeit keine eingehende Untersuchung über die Agape
im Neuen Testament bringt; was Verf. bietet, ist eine
kurze, von der dialektischen Theologie bestimmte, einseitige
Verzeichnung. Darin hat F. richtig gesehen, daß
Agape im N.T. nie einfache Nächstenliebe ist, daß sie
zunächst die Liebe Gottes ist, mit der der Mensch geliebt
wird, um dann Gott wieder zu lieben und in dieser
Gottesliebe sich dem Nächsten zuzuwenden. Es wird
aber die entscheidende Grundtatsache verkannt, daß Caritas
Sache der Tat und des Willens ist, der unsentimentale
Dienst dort, wo einer auf Not stößt. Die Studie
leidet dabei noch darunter, daß die Evangelien zu kurz
abgetan werden, nur die wenigen Stellen herangezogen
werden, wo der Begriff Caritas vorkommt, dagegen die
Gleichniserzählungen Jesu, überhaupt Jesu Haltung nicht
gründlich gewürdigt werden. Dafür geht Verf. von Paur
lus aus, der — auch wenn bei aller Verschiedenheit die
Übereinstimmung des Paulus mit Jesus gesehen werden
muß — zu den Einseitigkeiten verleitet, denen die Arbeit
erlegen ist. Vor allem muß ich noch bemängeln,
daß die Einheit von Reich Gottes und Agape nicht folgerichtig
durchgeführt ist: im N.T. gibt es Agape nur als
dynamisch zu fassenden Endzielwillen Gottes, nur als
Berufung ins Reich Gottes, und ist Agape nur die aktiv
verwirklichte Haltung des von der Gewalt der Herrschaft
Gottes erfaßten Menschen.1 Damit hängt zusammen
, daß F. die Passivität des neutestamentlichen Menschen
überbetont, ebenso die Außerweltiichkeit der Caritas
und ihre objektlose Weite. Von da aus kommt die
große Distanz, die Verf. zwischen Luther und dem N.T.
sieht. Verfehlt gesehen ist auch der Unterschied: „Das
glaubende Ich (bei Luther) ist aktives persönliches Ich;
das agapeerfüllte Ich (des N.T.'s) ist passives untertauchendes
Ich." Weil F. die neutestamentliche Agape
zu einseitig „außerweltlich" und passiv auffaßt, muß
ihr Luthers Glaubens- und Gewissensreligion im Gegensatz
zur neutestamentlichen Botschaft stehen, und findet
sie in Luthers Nächstenliebe nichts weiter als die spätere
humanitas. Verzerrt als Gegensatz gezeichnet ist auch
noch Christentum und Nationalismus; mit der neuen
deutschen Ausprägung dieses Begriffes im Nationalsozialismus
ist die gegebene Charakteristik völlig unvereinbar
.

1) Näher und eingehender habe ich das ausgeführt in meiner Schrift:
„Die urchristliche Botschaft von der Liebe Gottes...", 1930 und in
meinem Buch: „Geist und Leben. Das Telos-Ethos des Urchristentums",
1933.

Breslau. Herbert Preisker.

Dal man, Gustaf: Arbeit und Sitte in Palästina. Bd. IV: Brot,
Öl und Wein. Gütersloh: C. Bertelsmann 1935. (XIV, 452 S. und
115 Abb.) gr. 8°. = Schriften des Deutschen Palästina-Instituts, 7. Bd.

RM 24 — ; geb. 27-.

Von dem großen Werk zur Landes- und Volkskunde
Palästinas in alter und moderner Zeit, das nun schon
auf fast 1900 Seiten angestiegen ist, legt der verehrte
Vf. mit bewundernswerter Arbeitskraft wieder einen umfangreichen
Band vor, die Fortsetzung des Themas von
Bandlll (vgl. Theol. LZ. 1933 N. 1). Gegenstand der
eingehenden Darstellung ist jetzt die Bereitung von
Backwaren und die Ol- und W e l n w i r t s ch a f t.

Nach der bewährten Methode der Beleuchtung der
Verhältnisse des biblischen Palästina durch die heutigen
Wirtschaftszustände werden diese Gebiete in allen Einzelheiten
vorgeführt. Wir hören von den verschiedenen
Arten des Brotbackens (auf der Metallschale, auf der
erhitzten Lehmscheibe, in den eigentlichen Backofen
täbün, furn und tannür, 'arsa), den Brotsorten und der
Kuchenbäckerei. Die Ölbaumkultur und die Gewinnung
des Olivenöls, die verschiedene wirtschaftliche Verwendung
des Produktes (als Nahrungsmittel, als Seife und
als Beleuchtungsmaterial) und die sakrale und wirtschaftspolitische
Bedeutung des Öls im Altertum wird

in größter Ausführlichkeit dargestellt, S. 153—190. Das
letzte Kapitel ist der Weinkultur gewidmet. Nach der
Orientierung über die Herkunft des Weinstocks und
seine Kultur wird die wirtschaftliche Ausnutzung des
Weinbergs beschrieben: Trauben und Blätter, Rosinen,
die Produkte der Kelterei (Most, Wein, Essig, Arak),
die Herstellung von Traubenhonig und die wirtschaftliche
Verwertung dieser Produkte einschließlich der sakralen
Bedeutung. Kurze Nachträge zu Band 4 und 2

i und zum vorliegenden Bande (S. 414 ff. und 451 f.)

i schließen die Darstellung ab, deren Vollständigkeit und
Geschick in der Anordnung des fast überwältigenden
Stoffes gleich bewundernswert ist. Der Band wird durch
ausführliche Register der hebräischen, aramäischen und

1 arabischen Terminologie und durch ein Sachverzeichnis
und ein biblisches Stellenregister jedem Benutzer handlich
gemacht. Für die exegetische Arbeit am A. und N. T.
ist dieses auf 5 Bände ausgedehnte Werk des Altmei-

| sters der Palästinakunde ein unentbehrliches Hilfsmittel
geworden. 112 Abbildungen, ausgezeichnete Lichtbilder

| und saubere Zeichnungen, illustrieren die Darstellung

! des 4. Bandes. — Möchte es dem 80 jährigen vergönnt

j sein, das große Werk seiner Lebensarbeit zum Abschluß

! zu bringen!

Jena. W. Staerk.

Das Neue Testament, verdeutscht und erläutert von Wilh. Michaelis
. 1. Bd.: Die Evangelien. Leipzig: A. Kröner. (VII, 426 S.) kl.
8°. = Kröners Taschenausgabe Bd 120. geb. RM 3.75.

In der bekannten und bewährten Sammlung „Kröners
Taschenausgabe" hat der Verlag nun auch eine
Übersetzung und kurze Erklärung des N.T. erscheinen
lassen. Vorläufig liegt der 1. Band vor, der die Evangelien
enthält. Übersetzer und Kommentator ist der Berner
Neutestamentier Wilhelm Michaelis. Die Ausgabe
richtet sich an weiteste Kreise, denen sie eine möglichst
wortgetreue Übersetzung und wichtige Hinweise zum
Verständnis der Evangelien als ganzer, sowie schwierigerer
Einzelstellen bieten will. Beides ist dem Verfasser
wohl gelungen, so daß sein Neues Testament hoffentlich
von vielen interessierten Laien zur Hand genommen
werden wird. Eine vergleichende Tabelle und ein Sachregister
am Schluß des Bandes erleichtern seinen Gebrauch
. — Wir warten mit Spannung auf die Fortsetzung
, die die weiteren Schriften des N.T. enthalten
soll.

Göttingen. H. Seesemann.

Moody, Campbell N., M. A., D.D.: The Purpose of Jesus in the

first three Gospels. London: G. Allen & Unwin [ 19291. (159 S.)
kl. 8°. = Bruce Lectures 1929. 5 sh.

Das Buch geht in äußerst lebendiger und anregender
! Weise den Grundmotiven der Predigt und des Wirkens
Jesu nach. Vielleicht wird man im Verlauf der Ausführungen
etwas zu oft darauf gestoßen, daß der Hintergrund
für die Untersuchungen des Verfassers eine stark
kritische Stimmung in der Evangelienforschung ist, wie
sie in Schottland offenbar noch heute weithin das
Feld beherrscht. Trotz der daher rührenden apologetischen
Note, die dem ganzen Buche anhaftet, wirkt
: der Nachweis, auf den es dem Verfasser vor allem an-
; kommt, daß der persönliche Anschluß an Jesus die unveräußerliche
Grundforderung auch der synoptischen
Evangelien ist und daß also Jesus selbst im Mittelpunkt
seines Evangeliums steht, außerordentlich überzeugend.
Dieser Nachweis wird in drei Kapiteln — über die
öffentliche Predigt Jesu an die Menge, über seine Verkündigung
an „Fragende und Jünger" und über den
Sinn des Kreuzes — geführt und im 4. Kapitel durch
; einen Ausblick auf die apostolische Deutung und Weiter-
i führung der Botschaft Jesu bestätigt gefunden.

Von der öffentlichen Verkündigung Jesu ist nur
wenig erhalten, am meisten noch bei Lukas (für den
: der Vf. eine besondere Vorliebe zeigt); aber dies Wenige
! bietet Hauptmotive, die sicher auch häufig und in zahl-