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Ausgabe:

1936 Nr. 13

Spalte:

232

Autor/Hrsg.:

Loewenich, Walther von

Titel/Untertitel:

Luther und das Johanneische Christentum 1936

Rezensent:

Seesemann, Heinrich

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231

Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 13.

232

dahin. Nun dreht Thiel die Sache um. Grade der „alte
Luther" ist der Kämpfer, der Theologe, der Streiter
Gottes. Man muß ihn nur sehen Lernen. Und Th.
zeigt ihm uns so wuchtig und groß, daß keiner sich
dem Eindruck entziehen kann: hier wächst Luther immermehr
ins Riesengroße hinein. Grade in den letzten
Jahren ist Luther Luther. Der Mann des Kampfes gegen
Irrlehre und Schwärmerei, gegen Teufel und falsche
Saat ist schier noch größer und einseitiger und zielklarer
als der Mann von Worms. In zwei Kapitel zerfällt
Thiel aufwühlendes Buch. Luther der Führer und Luther
der Wächter. In der Stille der Wartburg ist Luther
eins aufgegangen: sein Kampf wider den Papst
muß tiefer gelegt und gründlicher angepackt werden.
Nicht wider den Papst — wider den Satan gilt es zu
streiten. Es geht im ganzen Streit um den Krieg
wider den „alt bösen Feind". In Wittenberg angekommen
, erklärt Luther: „wir streiten nicht wider den
Papst oder Bischof, sondern wider den Teufel". So
hebt der Kampf an gegen Fürsten und Obrigkeit, gegen
die Schwärmer und Sektierer, gegen Erkenntnis und
Liebe, gegen die Bauern und — die Theologen. Es
ist ihm immer ein Kämpfen gegen die Dämonen dieser
Welt um die Erhaltung und Reinhaltung seines Glaubens
. Er ist immer im Ringen. Denn Gewißheit gibt
es für ihn nicht. Sondern immer nur einen Sprung ins
Dunkle. Den wagt er täglich neu. Aber um ihn wagen
zu können muß er erst alle Widersacher bei Seite
stoßen. Auch Zwingli: Es geht — das arbeitet Th.
kräftig heraus — im Abendmahlsstreit um mehr als
Theologengezänk — es geht um dieses Wagnis. Und
der Luther am meisten im Wege steht — erschütternd
— ist sein Freund Melanchthon. Gegen ihn muß er,
sich immer wieder aufs neue auflehnen, um seines
Glaubens willen. Melanchthon fordert und lehrt Heilsgewißheit
. Luther lehnt alles Wissen ab und kennt nur
ein trotziges Wagen. Vor Gott kann es nur Ungewißheit
und Verdammnis geben — nur der Glaube, der
nicht zweifelt am Unmöglichen und Undenkbaren macht
selig. Th. hat in seinem Nachwort uns gesagt, daß er
darin das Neue und Eigenartige seiner Lutherdarstellung
erblicke. Daß ihm das Lutherbild, das bisher dargestellt
wurde, verkehrt scheint, weil man es immer von
Melanchthon aus ansehe. 1 Nur wer in Luther den großen
Gegner Melanehthonischer Theologie erkenne, sehe Luther
recht. Alle Kraft der Darstellung und alle Beweismittel
Lutherscher Worte nimmt Th. zu Häuf, um
dies darzutun. Wenn so Th. gegen andere Lutherforscher
und -kenner angeht, bedaure ich es wiederum,
was ich schon bei der Besprechung des 1. Bandes anmerkte
, daß Th. darauf verzichtet, die Stellen der zitierten
Lutherworte — und er läßt Luther sehr reichlich
zu Worte kommen — anzugeben. Nicht als ob ein
Mißtrauen in die zitierten Worte gesetzt würde. Aber
man möchte aus dem Zusammenhang der einzelnen
Worte selber gerne nachprüfen, ob Th. Auffassung
und Darstellung des Glaubens L. völlig einwandfrei ist.
So sehr mich der immer wieder ringende Luther, wie
Th. ihn darstellt, erschüttert und mitgerissen hat, —
ich komme nicht darum, daß das Kind Gottes, als das
Luther sich doch auch empfand, darüber zu kurz kommt.
Mag sein, daß ich nicht richtig sehe. Aber ich möchte
gerne selber prüfen ehe ich Th. überzeugte und überzeugende
Darstellung restlos bejahen kann. Darum
wäre ein Anführen der Belegstellen doch gut gewesen.

Es geht dem Biologen Th. darum, zu zeigen, daß
der wahre Luther immer in Verantwortung vor der
Ewigkeit und dem richtenden Gott sich weiß. Dieses
Anliegen ist Th. alles. Er selber hat Luther so gefunden
und so erlebt und unsere Zeit mit ihrer frommen Zufriedenheit
und selbstsicheren Theologie braucht diesen
Luther. Hier wird in der Tat von Th. etwas ganz
Neues erarbeitet. Der Nichttheologe Th. sieht Luther
richtiger und klarer als ihn viele Theologen sahen.
So bedeutet sein Buch ein großes Geschenk für die

I theologische Wissenschaft. Sie wird von nun an Luther
mit andern Augen ansehen und sich, wo sie über
I Luther spricht und schreibt, sehr, sehr ernsthaft mit
Th. Lutherschau auseinandersetzen müssen. Und ich
meine, diese Auseinandersetzung wird im großen Ganzen
zustimmend sein. Denn Th. hat Luther wirk-
I lieh „erkannt" und in ihm gespürt, daß es bei ihm
I zuletzt und zutiefst um die Frage Gott und Leben geht.
I Diese Fragen brechen aber grade in unsern Tagen wie-
! der neu auf. Wer zu ihnen Stellung nimmt oder sie
i lösen möchte, muß Luther kennen. Den Luther, den
[ Th. uns schenkt. Man kann nicht dankbar genug sein
| für sein Werk.

Trotzdem es immer wieder um den Theologen Lu-
; ther geht, stehen in diesem Buch all die Dinge, die
heute immer wieder Menschen bewegen, wo man von
I Luther spricht. Sein Deutschsein, seine Stellung zu
Volk und Vaterland, zu Recht und Wirtschaft, zu Krieg
i und Waffendienst, zu Kirche und Staat, zu den Juden und
i Türken, zu Sittlichkeit und Leben, zu Liebe und Ehre,
zu Philosophie und Wissenschaft, zu Bibel und Gemein-
j de, zu Gottesdienst und Lied — alles berührt und be-
; legt Th. Aber alles vom Theologen Luther aus. So
I erhält Vieles eine neue und eigenartige Schau. „Wohin
S man greift, da wird es interessant."
| Bonn. F. H a u n.

I Loewenich, Lic. Walter v.: Luther und das Johanneische
Christentum. München: Chr. Kaiser 1935. (93 S.) gr. 8°. = Forschungen
zur Geschichte u. Lehre des Protestantismus, 7. Reihe, Bd. IV.

RM 2.90.

Es ist bekannt, daß Luther einerseits sein neues
I Verständnis des Evangeliums durch sein Paulus-Studium

erworben hat, und andrerseits doch gerade die von den
! Paulusbriefen in vieler Hinsicht unterschiedenen Joh.-

Schriften des N. T. sehr geliebt hat. Schon von hier

aus wird die Frage akut: wie hat Luther die johan^
| neischen Schriften verstanden? Deutet er sie nicht
i allzu sehr von Paulus her? Der Verf. sucht diese Frage
! zu beantworten und führt zusammengefaßt etwa fol-
j gendes aus: 1) Luther steht dem joh'. Christentum

von Natur ferner als dem paulinischen. Daraus folgt
i 2) daß das paulinische Verständnis des Evang. auch

seine Deutung der joh. Schriften beeinflußt hat. Aber
I dem gegenüber steht 3) doch die Tatsache, daß Luther
! mit „genialem Instinkt" auch bei den joh. Schriften

immer wieder das Wesentliche und Eigenartige heraus^
! gespürt hat.

Loewenich begnügt sich nun aber nicht mit dieser

historischen Antwort. Ihm ist das Anliegen seiner

Schrift zugleich ein Anliegen unserer Kirche: was ist
[ unter 'Schriftgemäßheit der Theologie und der kirchr-

lichen Lehre zu verstehen? Er sucht die Frage unter
i Beibehaltung des Besonderen der einzelnen Schrifttypen
, des 'N. T. zu beantworten. Freilich — L. wirft sie mehr
| auf, als daß er sie beantwortet. Aber liegt nicht schon

darin ein ganz großes Verdienst? Haben wir die Frage

nach der Einheit der Hlg. Schrift nicht entweder zu

leicht — oder gar nicht beantwortet? Allerdings ist

das 'Problem der Schriftgemäßheit gegenüber der Zeit
I Luthers komplizierter geworden1. Aber gerade darum

gilt es Neübesinnurig auf diesem Gebiet. L.'s These am
i Schluß 'seines Buches bietet den Ansatz einer Lösung:

„Schriftgemäß 'ist dann eine Theologie, die aus den
; verschiedenen Formen biblischer Verkündigung und aus
i der historisch bedingten Einkleidung das gemeinsame
j unveräußerliche Anliegen heraushört und zur Geltung

zu bringen versteht."
Riga. H. Seesemann.

| Guggisberg, Pfr. Dr. theol.: Das Zwinglibild des Protestantismus
im Wandel der Zeiten. Leipzig: M. Heinsius 1934. (VII,
245 S.) 8°. = Quellen u. Abhandlgn. z. Schweiz. Reformationsgeschichte
. Bd. VIII. RM 9.60.
Reichlich spät besprechen wir hier eine bedeutende

j Veröffentlichung zur Zwingliforschung, die Doktorar-