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Ausgabe:

1936

Spalte:

225-227

Autor/Hrsg.:

Koch, Georg

Titel/Untertitel:

Die bäuerliche Seele 1936

Rezensent:

Vorwahl, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung

BEGRÜNDET VON EMIL SCHÜRER UND ADOLF VON HARNACK

unter Mitwirkung von Prof. D. HERMANN DÖRRIES, Güttingen und Prof. D. Dr. GEORG WOBBERMIN, Berlin

HERAUSGEGEBEN VON PROFESSOR D. WALTER BAUER, GÖTTINGEN

Mit Bibliographischem Beiblatt, bearbeitet von Bibliotheksrat Lic.Dr.phil. REICH, Bonn, und Bibliothekar Lic. E. STEINBORN, Berlin.

Jährlich 26 Nrn. — Bezugspreis: halbjährlich RM 22.50

Manuskripte und gelehrte Mitteilungen sind a u s b o h 1 i e £ I i ch an Professor D. BAUER in Göttingen, Düstere Eichenweg 14, zu senden,
Rezensionsexemplare ausschließlich an den Verlag. Gewähr für Besprechung von unverlangt gesandten Rezensionsexemplaren
, besonders noch bei Zusendung nach Göttingen, kann nicht übernommen werden.

Frinted in Germany.

VERLAG DER J. C. HTNRICHS'SCHEN BUCHHANDLUNG, LEIPZIG C 1

61. JAHRGANG, Nr. 13 20. JUNI 1936

Spalte Spalte

The Annual of the American Schools of
Oriental Research, Vol. XV (Meinhold) . . 228

Clemeti: Fontes historiae religiomim pri-
mitivarum, praeindogernianicanini minus
notarum (Witte)..............227

Die deutsche evangel. Heidenmission (Witte) 237

Guggisberg: Das Zwinglibild des Protestantismus
im Wandel der Zeiten (Strasser) 232

Hebrew Union College Annual X (Dalinan). 240

Heinze: Die Kulturauffassung Schleier -

machers (Schlemmer) ........... 234

Koch: Die bäuerliche Seele (Vorwahl). . . 225
K ü n k e 1 : Grundzüge der prakt. Seelenheilkunde
(Neumann)............. 238

Loewenich: Luther und das Johanneische

Christentum (Seesemann)......... 232

M a h 1 i n g : Die Innere Mission (Schian) . 238

Niemöller: Alles u. in allen Christus! (Schian) 237

Spalte

R e i s n e r : Die Christliche Botschaft im

Wandel der Epochen (Haun).......234

Schmidt: Die Bekehrung der Germanen

zum Christentum (Dörries)........229

Thiel: Luther (Haun)...........230

Tri 11h aas: Evangel. Predigtlehre (Schian) 235
Walterscheid: Heilige Deutsche Heimat

(Vorwahl)..................227

Winnig: Heimkehr (Vilmar).......239

Koch, Prof. Georg: Die bäuerliche Seele. Eine Einführung in die allem Gesetz, darum ist ihm auch ein gewisses Phari-

religiöse Volkskunde. Berlin: Furche-Verlag 1935. (275 S.) gr. 8°. säertum eigen. Wo immer der Gemeinsinn im Dorf ver-

RM 5.60; geb. 6.80. sage, begegnet uns nach Koch als Motiv, nicht als
Es gibt eine falsche Bauernromantik, die sich darin der Dumme gelten zu wollen. Doch sucht er ständig
gefällt, die Seele des Bauern in jeder Hinsicht so ganz wenigstens seine äußere Haltung dem Stil des Dorfes
anders zu sehen wie die der andern Menschen, etwa anzugleichen. Nicht nur unter dem Druck strenger
wegen ihrer stärkeren Unpersönlicfokeit sie „gerade- Herren, sondern noch viel mehr unter dem Druck des
zu von der Tierherde, dem Rudel" her zu verstehen engen Zusammenlebens mit den Nachbarn hat der
und für die Dorfgemeinschaft „bei Ameisen, Bienen, Bauer das Schweigen gelernt, so daß die Gefahr der
Affen und etwa in dem Leben und Treiben einer Biber- Enge, der Unaufrichtigkeit und Verstecktheit naheliegt,
kolonie ohne Scheu die Parallele" zu suchen. Koch und zwar auch dort, wo es nach städtischen Begriffen
lehnt diese mißverstandene Primitivität ab und zeigt, nichts zu verstecken gibt. Der Bauer fürchtet nämlich
daß der Bauer nicht ein „kollektiver", sondern ein : alle Öffentlichkeit, und wo er seine Gefühle einmal
typisierter Mensch ist, typisiert durch das gleiche Le- äußert, geschieht es nach Koch unter der keuschen Ver-
benswerk in gleicher oder ähnlicher Lage, eher zu ver- kleidung von Scherz und Neckerei. So deutet er Redensgleichen
den Angehörigen des Offizierskorps oder einer arten wie

Studentenverbindung. Im Anschluß an W. Wundt zwi- Weiwersterwe kaan Verderwe,

sehen primitiv = armselig-erstarrt und primär == ur- ; Viehverrecke großer Schrecke,

sprünglich-lebendig scheidend hält er nur den letzten die wohl stärker mit der nüchternen Auffassung der

Begriff für den ursprungsnahen Menschen passend, Ehe zusammenhängen dürften, wie auch unter der nüclv

den das assoziative, träumende Denken kennzeichnet, ternen Sachlichkeit die Schätzung der Alten notleiden

so wie in der israelitischen Prophetie ein Ursprüng- muß, die sich nicht mehr nützlich machen können,

liches durchbricht, die niemals als Kind der Primitivi- Die Haltung des Bauern wird am deutlichsten durch

tat bezeichnet werden kann. ; ihren radikalen Widerspruch, wie ihn Nietzsches ver-

Die Urverbundenheit mit „seim Sach" verleiht der j zweifelter Versuch darstellt, das Menschenleben auf

Seele des Bauern nach Koch die Kraft des Beharrens, [ das Selbstgefühl des Ich allein zu gründen. Die Norm

wobei diese Sachverbundenheit ihn so sehr den Boden ' ist aber beim typischen Bauer bis auf unsere Tage die

als reines Privateigentum auffassen läßt, daß sie kei- i christliche, und die gegenwärtige Tatsache des Wieder-

nerlei Verpflichtung gegen die Gemeinschaft mehr in durchbruchs von Kräften des Integralen war nur mög-

sich schließt. In dieser Hinsicht sei das römische Recht, lieh, indem die Arbeit der christlichen Kirche in langen

das der Bauer bei seinem Eindringen zunächst so schroff Menschenaltern ihm den Boden bereiten half. Wenn

ablehnte, inzwischen tief in seine Seele gedrungen, i heute nun damit ein Deutschglaube verbunden wird,

B. Gutmann hat gezeigt, daß in afrikanischen Bauern!- 1 wie sich an die Reformation das Schwärmertum an-

dörfern die seelische Verbundenheit mit dem Volksgan- schloß, sieht Koch die Aussichten dieser „artgemäßen"

zen noch enger ist als die mit dem Boden, weshalb mit ] Religioin der Mystik als recht dürftig an. Denn der

der Rede von der Schollenverbundenheit noch nicht Bauer ist der typisch unmystische Mensch, in seinem

das letzte Wort über den Bauern gesprochen sei. Koch Wesen geprägt von den ihr entgegenstehenden Kräften

sieht das rationale Zeitalter der Menschheit nicht erst der sinnlichen Anschauung und Rationalität. Der Bauer

mit der Maschine angebrochen; es ist der Bauer, der ; will ferner feste Begriffe, will Gebot und Verbot, aber

zuerst den Kopf beständig voller Zwecke getragen habe, j keine ästhetische Schau von Macht und Größe, die in

Darum sei der Rationalismus die Theologie des ratio- der Stadtkultur der Renaissance ihre Wurzel hat. Dem

nalen Menschen, wie der typische Bauer ihn darstelle. 1 optimistischen Blutglauben endlich mit seinen jugend-

Es sei eine Religion der Ordnung, der gehorsamen Einr bewegten Klängen steht der nüchterne Wirklichkeitssinn

Ordnung und Unterordnung, die man nicht unrichtig der : des Bauern gegenüber, dem die Schwäche des „Flei-

alttestamentlichen verglichen habe. Dem typischen Bauer I sches" und die Tatsache des Erdenleids nicht verborgen

ist Religion grundlegend religiöse Siitte, die Bibel vor j blieb und daher dem Liede „Aus tiefer Not" nä,her

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TllD