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Ausgabe:

1936 Nr. 11

Spalte:

199-201

Autor/Hrsg.:

Löwith, Karl

Titel/Untertitel:

Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen 1936

Rezensent:

Zeltner, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 11.

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machendes Werk im J. 1935 in der Presse seiner
Heimat kaum erwähnt wurde; ein Schweizer Anonymus
stellte „das Leben Zwingiis und das Leben Jesu von D.
F. Strauß" einander gegenüber und suchte nach der
Straußschen Methode die Existenz und das Werk Zwing-
lis zu bestreiten. Derselbe teilt dann vier „Lateinische
Sprüche über Zwingli" aus dem 16. und 17. Jh. mit.
Stuttgart-Berg. G. Bossert.

Erdmann, Dr. Karl Dietrich: Das Verhältnis von Staat und
Religion nach der Sozialphilosophie Rousseaus (Der Begriff i
der »religion civile«). Berlin: Dr. Emil Ebering 1935. (91 S.) gr. 8°.
= Historische Studien. H. 271. RM 3.60. |

War es ein oft festzustellender Fehler der Rousseau-
Literatur, daß sie sich den Zugang zu ihrem Gegenstand
durch eine philosophische Begrii'fsschematik verbaute,
so will E. Rousseau von seiner eigenen Problematik her
entwickeln und in vorsichtiger Analyse der einzelnen
Schriften das sich oft in widersprechenden Formen be- I
wegende Ringen Rousseaus um das Verstehen von Staat j
und Religion erhellen, um so gleichzeitig seine geschichtliche
Beziehung zur französischen Religion zu unter- |
suchen. Diese Aufgabe ist in der vorliegenden Abhandlung
mit gründlicher Sachkenntnis und tiefdringendem
Verständnis ausgeführt. Es wird ausgezeichnet illu- j
striert, wie weder Staat noch Religion ihre Bestimmung
erfüllen können, wenn sie zu Angelegenheiten
des Menschen allein gemacht werden, wenn sie von
dem unbedingten Grund gelöst werden, von dem sie
ihre eigentliche Aufgabe empfangen. Auch wenn der i
Staat dämonisiert wird, wenn die Wahrheit der Religion
seinem Nützlichlkeitsprinzip geopfert wird, ist eine
praktisch zuträgliche Lösung des Problems Staat—Religion
nicht möglich. Der Versuch einer fruchtbaren j
Synthese beider Mächte muß auf dieser Grundlage
scheitern. Das Problem, um das Rousseau sein Leben j
lang gerungen hat, bleibt zuletzt ungelöst. — Wertvoll !
ist der Hinweis des Verfassers auf den anthropologischen
Hintergrund der Problemgestaltung bei Rousseau j
und das daraus folgende Resultat, daß der souveräne
Mensch, der von Natur „gut" ist — die anthropolo- j
gische Voraussetzung auch des nachfolgenden Marxismus
— eine Utopie ist, die an der Wirklichkeit immer
wieder zerbricht. — Auch in dem gegenwärtigen Ringen
um ein neues Verstehen von Staat und Kirche ist die
Abhandlung E.'s Theologen und Nicht-Theologen als
befruchtende und klärende Lektüre sehr zu empfehlen.
Kiel. Werner Schultz. ;

Löwith, Karl: Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkunft
des Gleichen. Berlin: Verlag Die Runde 1935. (183 S.)
gr. 8°. Geb. RM 7.50.

In der Lehre von der ewigen Wiederkunft des
Gleichen sieht L. den eigentlichen Kern der Nietz-
scheschen Philosophie. Diese These ist an sich nicht j
neu, aber es ist wertvoll, sie gegenüber modernen
Deutungsversuchen (vor allem A. Bäumlers) durch eine '
Interpretation von geradezu philologischer Exaktheit mit
solcher Evidenz bewiesen zu sehen. (Z. B. weist L.
(114 ff.) die ersten Spuren jener Lehre bereits in zwei
Schüleraufsätzen des 18jährigen N. nach.) Wesentlich
ist an L.'s Darstellung ein Dreifaches: sie zeigt N.'s i
Stellung in der geistigen Situation des 19. Jahrh.; in
diesem historischen Zusammenhang sieht sie N.'s Besonderheit
in dem Bemühen um eine Erneuerung der
Geisteshaltung der Vorsökratiker (vor allem Heraklits),
und es gelingt ihr damit auch ein neues Verständnis
für N.'s literarische Form zu begründen; und endlich
weist sie geistesgeschichtliche und systematische Gesichtspunkte
auf, an denen eine immanente Kritik der ;
N.'sehen Lehre ansetzen kann. Das alles stellt einen !
genuinen Versuch philosophischen Verständnisses dar,
verdienstlich vor allem einem Denker gegenüber, der i
selbst immer wieder zu einem nur ästhetischen Mißver- |

ständnis seiner Philosophie verführt, und es ist nur zu
bedauern, daß L. sich dabei gelegentlich mit einer gewissen
Maniriertheit existenzphilosophischer Redewendungen
bedient, die obendrein meist geradezu irreführend
wirken (z. B. 61. 77. 78).

Der geistesgeschichtliche Blickpunkt von L.'s Interpretation
ist hier wie schon in seinen früheren Arbeiten
(vgl. bes. Kierkegaard und Nietzsche 1933) der abendländische
Nihilismus. Das Bewußtsein von einer Krise
des christlichen Geistes und damit des abendländischen
Kulturbewußtseins, die Hegel als eine Einheit verstehen
gelehrt hatte, verbindet einander zunächst so heterogene
Denker wie Schopenhauer, Feuerbach, Kierkegaard und
Nietzsche. Mit dem „Tode Gottes", d. h. mit dem durch
die spekulative Interpretation der idealistischen Philosophie
mitverschuldeten Schwinden des lebendigen Gottesverhältnisses
verliert der Mensch seine bisherige Stellung
im Kosmos zwischen Tier und Gott (44), und
das Problem vom Werte des Daseins taucht auf (49).
So entstehen die Weltanschauungen des Pessimismus
Schopenhauers und des Positivismus Feuerbachs (51 ff.).
Als letzte Konsequenz fordert Nietzsche die Selbstüberwindung
des Menschen in seiner bisherigen Verfassung
, die sich als Umwertung aller Werte in dem
Sinne vollziehen soll, daß der Mensch sich von aller
Wertung überhaupt lossagt und das Dasein in seiner
ehernen Notwendigkeit nimmt wie es ist. Diese extremste
Form des Nihilismus findet ihren Niederschlag
in der Lehre von der ewigen Wiederkunft. Aber diese
Lehre gilt N. zugleich als die Selbstüberwindung des
Nihilismus und trägt so wesentlich zweideutigen Charakter
. Darin bzw. in der Doppelbewegung des Fortschritts
zum Nichts, der zugleich ein Rückschritt zum
ewig wiederkehrenden Sein ist, erkennt L. einen Wesenszug
all der prinzipiellen Versuche, die von den genannten
Denkern zur Wiedererlangung einer verlorenen
Welt unternommen worden sind: er sieht sie alle als
Abarten einer in einem ausgezeichneten Sinne „experimentellen
" Philosophie, deren Prinzip der gedankliche
Umschlag aus extremer Negation in extreme Position
ist (94). Wie etwa Kierkegaard so will auch Nietzsche
das Sein der Ewigkeit, worin die Zeit als solche
gleichgültig wird, erreichen, indem er sich in das zeitliche
Nichts hineinhält (53 f.). Original ist N.'s Lösung
in der Forderung des amor fati, des radikalen Willens
zum Sein genau so wie es ist, war und sein wird.
Er will damit Heraklits Position wiederholen. Die
Scheidung von wahrer und scheinbarer Welt, die seit
Plato das menschliche Denken verwirrt hat, soll rückgängig
gemacht werden. Aber hinter dieser „Wiederholung
der Antike auf der Spitze der Modernität"
(101) steckt ein Betrug: bei Heraklit ist der Mensch
einfach hineingemischt in das allgemeine Gesetz des
Kosmos, N. dagegen setzt die Ausweglosigkeit und
Ziellosigkeit des modernen Daseins bei der Begründung
seinet Ansatzes voraus (113). Und darum ist seine
Metaphysik in Wirklichkeit nur „ein gräzisierendes Gespenst
" (106). Analog steht es mit der Wiederbelebung
der Formen der alten Philosophie in Aphorismus und
Gleichnisrede. N. will nicht als Dichterphilosoph genommen
sein, er versteht sich als moderner Erneuerer
der alten philosophischen Sprache (18). Der Aphorismus
gilt ihm als eine Form der Ewigkeit, in der die
ursprüngliche Einheit von Wahrheit und Dichtung wiederhergestellt
ist (11 ff.)- Aber N. verfügt nicht über
die unfehlbare Sicherheit der dichterischen Kraft, die
das Gleichnis erfordert, und auch der angeblich aus
notwendigem Zufall geborene Zusammenhang seiner
Aphorismen ist in Wirklichkeit höchst raffinierter Reflexion
entsprungen. Gerade die Einheit, die das Gleichnis
der ewigen Wiederkunft stiften sollte, bricht so
auseinander: der menschliche Wille ist immer auf ein
Ziel gerichtet und läßt sich nicht in eins denken mit
dem ziellosen Kreisen der Welt (63). Und während
N. dem Verhältnis des Menschen zur Welt Mitte und