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Ausgabe:

1936 Nr. 11

Spalte:

198-199

Autor/Hrsg.:

Zwingliana; Bd. VI, Heft 4

Titel/Untertitel:

1935 1936

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 11.

198

sehr starke Unterschiede bestehen. T. meint freilich,
daß die farbigeren, längeren Berichte der historischen
Wirklichkeit näher stünden, weil die Überlieferung die
Tendenz zur Kürzung habe; und er führt zur Stützung
dieser Behauptung in einem 2. Anhang ein Experiment
vor, das er mit der mündlichen Weitergabe einer Erzählung
angestellt hat. Aber dabei wird weder das Einwirken
zeitgenössischer Erzählungstypen in Rechnung
gestellt, noch wird beachtet, daß die rein formale Kategorie
„Wundergeschichten" die eigentlichen sachlichen
Unterschiede nur verdeckt. Das Hauptinteresse des Verf.
liegt denn hier auch ganz deutlich nicht auf der Klarstellung
der Tendenzen und Triebkräfte der Tradition,
sondern auf der Frage, wieviel von diesen Erzählungen
als historisch gehalten werden kann, und darum kommt
es nicht zu einem wirklichen Verständnis des verschiedenen
Charakters der synoptischen Erzählungen (Mk. 2,
1 — 12 teilt z. B. auch Taylor mit Wrede und Andern
in eine Wundergeschichte und eine Pronouncement-Story
auf). Ein weiteres Kapitel behandelt die Geschichten
über Jesus. Es wird mit Recht festgehalten, daß in der
mündlichen Überlieferung das biographische Interesse an
Jesus fehlte. Im übrigen wird hier aber sehr heterogenes
Material zusammengestellt, sodaß eine paradigmatische
Erzählung wie die von der Syro-Phönizierin
(Mk. 7, 24 ff.) und der mit Einzelnachrichten vermischte
Sammelbericht Mk. 1,35—39 unter dieselbe formgeschichtliche
Rubrik fallen sollen. Es rächt sich hier, daß
Taylor die formgeschichtliche Arbeit allzusehr als Klassifizierung
nach dem formalen Aufbau und allzuwenig als
Aufdeckung der bildenden Kräfte einer Erzählung verstanden
hat.

Recht gut gelungen ist dagegen das Abschlußkapitel,
das die Entstehung der Evangelien schildert. Es werden
dabei die mündliche Periode, die nur Einzelgeschichten
erzählte, die Zeit der mündlichen Zusammenstellung
von sachlich bedingten Zyklen und die Zeit der Entstehung
der schriftlichen Evangelien unterschieden. Daß
die Spruchquelle (Q) eine wachsende Sammlung gewesen
sein muß, wird mit Recht betont. Die Darstellung der
literarischen Entwicklung setzt den nach wie vor sehr
problematischen „Protolukas" an die Spitze, läßt Mk.
folgen, aus dem Lk. sein Evangelium ergänzt habe, und
stellt an den Schluß Mt. mit seinem katechetischen Interesse
. —

Taylors Buch darf als eine gute Darstellung und
besonnene Kritik der neueren Forschung an der synoptischen
Tradition bezeichnet werden, und das Buch
wird dem englischen Leser sicherlich von großem Nutzen
sein. Der deutsche Leser wird daraus nicht viel Neues
lernen, wohl aber sich freuen dürfen, daß auch ein
durchaus literarkritisch interessierter Forscher wie Taylor
den Weg der formgeschichtlichen Analyse als förderlich
und notwendig erkannt hat.

Zürich. Werner Georg Kümmel.

Kraft, Rudolf: Das Reichsgut im Wormsgau. Darmstadt: Hessischer
Staatsverlag 1934. (V, 313 S. m. 3 Karten.) gr. 8°. = Quellen
u. Forschungen zur hess. Geschichte, hrsg. v. d. Histor. Kommiss. f.
d. Volksstaat Hessen, 16. Bd. RM 12—.

Ungefähr gleichzeitig mit diesem Buch erschien der
Vortrag von K. Glöckner, Das Reichsgut im Rhein-Maingebiet
(Archiv f. hess. Gesch. u. Altertumskunde, n.
F. 18. Darmstadt 1934. S. 195—216), der in großen
Zügen die Schichtung des Reichsgutes in diesem mit
Reichsbesitz besonders stark durchsetzten Raum am
Untennain dargestellt und deshalb für die allgemeine
Entwicklung sehr lehrreich ist.

K. bringt gleichfalls einleitend eine Übersicht über
die Schicksale des Reichsbesitzes in dem von ihm behandelten
Gebiete, also dem heutigen Rheinhessen und der
angrenzenden Pfalz, wie er in der nachkarolingischen
Zeit zu Gunsten der Kirche zusammenschmolz, in der
Salierzeit durch königliches Hausgut wieder zunahm,
bis der Rest des Königsgutes im 14. Jahrhundert als

Pfandbesitz in pfälzische Hände kam und dadurch die
Ausbildung des pfälzischen Territoriums ermöglicht
wurde. Bei der Besprechung der Quellen ist bemerkenswert
, daß K. an der Datierung des Tafelgüterverzeichnisses
mit 1064/65 (Heusinger) entgegen der Annahme
von Haller, der es der Zeit Friedrichs I. zuweist, festhält
.

Am umfangreichsten und wertvollsten ist die Dar-
I Stellung der einzelnen Besitzungen, die topographisch
und verfassungsgeschichtlich, namentlich hinsichtlich
der Einkünfte, untersucht und um 10 Mittelpunkte
| gruppiert werden. 1) Alzey, der spätere pfalzgräfliche
Besitz. 2) Kaiserslautern, das Reichsland und der Besitz
| der Reichsministerialen bis zur Verpfändung an Kurpfalz
. 3) Worms. 4) Königshof Gernsheim. Hierbei
wird Guntersblum mit seinen dem Xantener Viktor-
Stift gehörigen Gütern erwähnt. Es sei daher auf B.
| Vollmer, Das Viktor- und Siegfriedproblem in den An-
I nalen d. Hist. Ver. f. d. Niederrhein 113 (Köln 1928),
S. 10 ff. hingewiesen. 5) Nierstein. 6) Gauodernheim
und Weinolsheim. 7) Das Reichsgut im mittleren und
südwestlichen Rheinhessen um den Königshof Wörrstadt
. 8) Mainz. 9) Das Ingelheimer Reich. Zum Ingel-
heimer Saal ist jetzt noch zu vergleichen A. Zeller, Forschungen
an karolingischen Bauten im Rheingau und
in Rheinhessen 1,1, Berlin 1935, und der Bericht über
i den Vortrag v. Chr. Rauch in d. Vjbll. d. Histor. Ver-
f. Hessen I (Darmstadt 1935), 120 ff.; zum Augustinerchorherrenstift
daselbst die Urkunden in d. Monunienta
Vatiicana res gestas Bohemiae ill. 2, 259 und 938
und [. Zibermayr, Zur Gesch. d. Raudnitzer Reform,
j in d. MOelG, Ergbd. 11 (1929), 329. 10) Bingen. —
: Beigegeben sind die Urkunde des Bischofs Burchard II.
] v. Worms a. d. J. 1141 über die Bestätigung der Güter
| des Klosters Nonnenmünster vor Worms aus dem ungedruckten
Monasticon Wormatiense Würdtweins in der
Heidelberger Universitätsbibliothek und das Weistum
| des pfalzgräflichen Hofes in Alzey sowie ein Register.
| 3 Karten veranschaulichen den Bestand des Königsgutes
| zur Zeit Karls d. Gr., um 1000 und um 1190. — Der
ungeheure Stoff, der für einen großen Gau hier zusammengetragen
ist, wird sicher erneut zu siedlungs- und
ortsgeschichtlichen Untersuchungen anregen, manche Behauptungen
auch berichtigen. Einzelnes hat bereits A.
Dopsch in seiner Anzeige in der Hist. Zsch. 153 (1935),
S. 123 ff. angemerkt.

Koblenz. Wilhelm Dersch.

Zwingliana, Beiträge z. Gesch. Zwingiis, der Reformation u. des Protestantismus
in der Schweiz. Hrsg. vom Zwingliverein. Bd. VI, H. 4.
1935. Nr. 2. Zürich: Berichthaus 1935. <S. 193—240 u. 1 Bild) gr. 8".
Den Versuch, die Familienforschung für die Reformationsgeschichte
auszuwerten, macht H. G. Wirz,
„Zürcher Familienschicksale im Zeitalter Zwingiis". Das
I ist zu begrüßen, weil so die Teilnahme der Laien am
j großen Geisteskampf in den Vordergrund tritt. Nicht
I bloß führende Männer wie L. Spengler und G. Besserer,
| sondern auch kleinere Geister mußten durch schwere
| Entscheidungen gehen und ganze Familien wurden mit-
| unter für immer gespalten. Das zeigt W. an dem
Schicksal seiner Vorfahren, die mit den beiden Grebel
verwandt waren. Die ganze Tragik des Grebelschen
Hauses entrollt sich dem Blick; lange mit heißer Scham
getragene Schuld wird schwer gebüßt. O. E. Strasser
sucht drei „Antworten A. Vinets auf kirchliche Fragestellungen
unserer Zeit" zu formulieren in Bezug auf
Wesen, theologische Grundlage und Handeln der Kirche.
| Die Kirche wird verständlich gemacht als Assoziation,
I nicht als Organisation und zwar auf Grund lebendiger
i persönlicher Frömmigkeit. Scharf wird unterschieden
I zwischen der verantwortungsbewußten Individualität und
dem Individualismus, dem die Gefahr des in der römi-
| sehen Kirche ausgeprägten Sozietätskults gegenübersteht.

K. Guggisberg erinnert in den Miszellen an eine
I kuriose Polemik gegen D. Frd. Strauß, dessen epochc-