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Ausgabe:

1936 Nr. 10

Spalte:

180-181

Autor/Hrsg.:

Dehn, Günther

Titel/Untertitel:

Gesetz oder Evangelium? 1936

Rezensent:

Seesemann, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 10.

180

ältere Formulierung steht. Je lebendiger man sich die
Geschichte der Übersetzung vorstellt, desto weniger
wird man sich diesen Fragen gegenüber auf bestimmte
einseitige Antworten festlegen. Der Vergleich der im
griechischen Text sich berührenden Stellen ist für die
Beurteilung jeder einzelnen Stelle wichtig und ermöglicht
ein einheitliches Verständnis der ganzen Übersetzung
. In diesem Gemeinsamen des griechischen A.T.
prägt sich der Geist der LXX aus, und hier hat vor
allem die religionsgeschichtliche Erforschung des griechischen
A.T. einzusetzen. So haben offenbar dogmatische
Bedenken den Übersetzer veranlaßt, in 6, 10 psy-
chologisierend und ethisierend die Verstockung des Volkes
als Grund der Erfolglosigkeit der Predigt des
Propheten anzugeben, während nach Mas ja der Prophet
mit seiner Predigt Verstecken soll. Aber für den LXX-
Übersetzer 'kann Gott unmöglich so selbst die Verstockung
des Volkes veranlaßt haben (vgl. zum Ausdruck
Dt. 32,15). Ebenso erscheint in 43, 28 beim Griechen
nicht Gott als der Zerstörer seines Heiligtums wie
in Mas, sondern die führenden Schichten, vgl. 47,6
und Zeph 3,4. Jes. 13,22 ist von Hab. 2,3 abhängig.
Von da her erhalten die Worte auch einen der Mas
fremden, messianischen oder soteriologisehen Klang.
Ähnlich erscheint in 41,25 nach Joel 2,20 der „Nördliche
" als eine apokalyptische Figur. Für die Benutzung
sinnverwandter Stellen aus Jes. selbst durch den Griechen
sei auf Folgendes verwiesen: 9, 6 „ich bringe Frieden
über deine Fürsten" erklärt sich ungezwungen als
durch 60,17 beeinflußte Wiedergabe des HT. Vor allem
sind es bestimmte Stichwörter, die immer wiederkehren
und den Inhalt verschiedenartiger Stellen einander angleichen
. Bestimmte Gedanken dringen auf diese Weise
überall in den Text ein, so z. B. die der Erniedrigung,
des Restes, des Hoffens der Völker, des Ratschlusses
Gottes gegen die Völker, des Richterseins Gottes, des
Schauens der Herrlichkeit Gottes usw. In 44,28 ist
durch Verwechslung von D und R im Hebräischen eine
Form vom Stamme rwi von jtp abgeleitet worden. Die
Wiedergabe mit cpoovgTv scheint auch sachlich durch
44,18 bestimmt zu sein. Damit ist von LXX doch
wohl absichtlich die Bezeichnung des Kyros als Hirte
Jahwes vermieden, wie sie auch in 45,1 unter dem
Gesalbten Gottes nicht Kyros, sondern den messianischen
Kyrios versteht (Verf. beachtet in der Auseinandersetzung
mit Fischer nicht die Lesart Kyrios bei S
und das im Urchristentum häufig bezeugte entsprechende
Verständnis der Stelle, vgl. Swete, Introduction
469. und Windisch zu Barn 12,11). Wenn Xwreiv in
57, 17 für eintritt, so geschieht das offenbar nicht
unter dem Einfluß anderer Stellen, sondern um die
anthropopathische Vorstellung vom Zorne Gottes zu
vermeiden. LXX spricht dafür von der .Betrübnis zur
Buße' (2. Kor. 7,9 f.), die Gott dem Menschen zur
Strafe für seine Sünde sendet. Gelegentlich, wie z. B.
60,18, wird auf die anderen griechischen Übersetzungen
zum Verständnis der LXX verwiesen, die ja z. T. altes
Gut enthalten.

Besondere Aufmerksamkeit beansprucht das 8.
Schlußkapitel. Hier begibt sich der Verf. auf noch
wenig erforschtes Gelände, wenn er den alexandrinisch-
ägyptischen Hintergrund der Jes-LXX mit Hilfe der
literarischen Quellen und der unliterarischen Zeugnisse,
die den Charakter von Überresten haben, zu zeichnen
sucht. Offenbar bedient sich der Übersetzer, wo es um
bestimmte kulturelle oder natürliche Verhältnisse geht,
ohne viel auf die hebräischen Vokabeln zu achten, seiner
Kenntnis der ägyptischen Umwelt und der dafür
geprägten und in den Papyri erhaltenen griechischägyptischen
Volkssprache. So entwirft er von den ägyptischen
Verhältnissen aus die Bilder vom Weinberg und
vom Landleben. Er kennt in technischer, wirtschaftlicher
, geographischer, politischer und verwaltungsmäßiger
Beziehung die Verhältnisse des hellenistischen

Ägypten genau. Die Rechtssprache ist ihm vertraut,
und eine Anzahl von Begriffen aus diesem Bereich
wie r'iTTüv, dMcxefffrai, jt«<>ttÖiö6vai werden von ihm mit
Vorliebe verwendet und erhalten durch ihn ihre bedeutsame
Stellung in der Sprache der Bibel. Auch die
Modepredigt in Jes. 3 ist nicht wörtlich übersetzt sondern
auf ägyptische Verhältnisse übertragen. So ist die
Jes-LXX auf dem Boden des ägyptischen hellenistischen
Judentums gewachsen und zunächst für Leser in dieser
Sphäre bestimmt und verständlich. Die Einzelnachweise,

j die die Untersuchung für all die genannten Punkte gibt,
lassen den Text als kulturgeschichtliches Zeugnis leben-

j dig werden und zeigen damit die kulturgeschichtliche

I Bedingtheit der LXX durch ihre Umwelt.

Wenn durch die Untersuchung dieses einen Buches
Jes. natürlich auch keineswegs die vorliegenden Probleme
für die ganze LXX als gelöst betrachtet werden
können, so bedeutet doch die Durchführung der an
i sich ja nicht neuen Erkenntnis an einem Buche der
j griechischen Bibel einen wichtigen Schritt vorwärts in
! der Erforschung der griechischen Bibel des A.T. Die
Untersuchung zeigt, zu wie reichen Erkenntnissen eine
solche Betrachtung führen kann und ermutigt gerade
damit zu weiteren kultur- und darüber hinaus religionsgeschichtlichen
Arbeiten, die schließlich die Religion der
Septuaginta, die Umprägung der alttestamentlichen
Offenbarung in griechischer Sprache und in griechischem
Geist zum Gegenstand haben.
Gießen. Georg Bertram.

D ehn , Prof. D. Günther: Gesetz oder Evangelium? Eine Einführung
in den Galaterbrief. Berlin: Furche-Verlag [1934]. (204 S.)
! 8°. = Die urchristliche Botschaft. Eine Einführung in die Schriften
! des Neuen Testaments. 9. Abt. RM 3.90; geb. 4.80.

j Der Kommentar bietet im großen und ganzen eine
treffende Einführung in den Gal.brief. Der Verf. ver-
steht es, dem Anliegen, das Paulus hier erfüllt, Aus-
! druck zu geben. Besonders erfreulich ist die häufige
! Zitierung der Erklärung Luthers. Über einige Stel-
: len geht der Vf. etwas zu schnell hinweg; so befriedigt
die Erklärung zu 2,19 „mit Christus bin ich
i gekreuzigt" oder zu 6,17 „ich trage die Malzeichen
Jesu an meinem Leibe" nicht recht. — Etwas anderes
ist jedoch noch in diesem Kommentar enthalten, dem
eine Zustimmung versagt werden muß: das ist das
Bemühen, die Auslegung in bes. Abschnitten und
einzelnen Sätzen zu aktualisieren; es liegt doch so,
daß eine Auslegung durch sich selbst aktuell sein muß,
: und nicht erst durch Anhänge aktualisiert werden darf.
Mir ist es bei der Lektüre des Buches so gegangen,
daß bei diesen Sätzen und Abschnitten immer wieder
! ein Nein laut wurde, und daß ich durch sie vom Gedankengang
des Gal.br. abgelenkt wurde. So findet sich
zu Gal. 2,1 ff. ein Exkurs: vom Rücksichtnehmen auf
die Person des Menschen; hier lesen wir in einer Über-
; legung über die Bischofs- und Führerfrage in der Kirche
auf S. 73 den Satz: „Wie weit sind nicht nur der Apostel
Paulus, sondern auch die Urapostel davon entfernt gewesen
, als unfehlbare Führer in geistlichen Dingen
aufzutreten, die ohne weiteres gültige Entscheidungen
treffen könnten". Mir scheint es überhaupt bedenklich,
! den Begriff Führer irgendwie auf Paulus anzuwenden.
Tut man es aber, so muß man auf Grund von Gal. 1, 8f.
anerkennen, daß Pls. gerade in geistlichen Dingen ein
unerhörtes Führerrecht — und zwar der Unfehlbarkeit
— beansprucht hat. Und worum streitet Pls. denn
z. B. mit der Gemeinde in Korinth, als um sein Führerrecht
? Besonders an dieser Stelle des Kommentars
wurde es mir klar, daß die aktuellen Sätze des Verf.
der gegenwärtigen Situation entsprungen sind — und
nicht dem Gal.br.; aber das geht nicht, dadurch kommt
Pls. zu kurz. Ebensowenig dient folgender Satz zur
Klärung des Gal.br., S. 86: „So ist es nichts als Werk-