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Ausgabe:

1935 Nr. 9

Spalte:

165-168

Autor/Hrsg.:

Schilling, Otto

Titel/Untertitel:

Katholische Wirtschaftsethik 1935

Rezensent:

Piper, Otto A.

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165 Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 9. Ifi6

Dabei behandelt Winter nur einen kleinen Teil, aber : sozialen Bewegung, und das kommt beinahe auf jeder

„das Herzstück des religionswissenschaftlichen Schaffens ' Seite des Buches zum Ausdruck. Aber neben ihm glau-

Bolzanos", seine Untersuchungen über Religion und : ben eben auch die Sozialkonservativen und die radi-

Offenbarung. Wie hier die Oedanken Bolzanos in ihrer j kaleren Solidaristen und Universa listen ein Recht zu

Tiefe klar wiedergegeben, die geistesgeschichtlichen Ver- i haben, sich auf die päpstlichen Kundgebungen zu be-

bindungslinien aufgezeigt und die Ergebnisse Bolzanos | rufen.

in ihrer Eigenart gekennzeichnet werden, ergibt sich | Der einleitende Teil des Buches (S. 1—38) sucht

zum Teil schon aus der Gliederung der Winterschen
Arbeit: I. Philosophische Grundbegriffe (S. 15 bis 31).
II. Geistesgeschichtliche Voraussetzungen (32—43). III

Wirtschaft und Ethik so zu verbinden, daß der Zweck
der Wirtschaft, nämlich die Sicherung des Existenzminimums
und der menschenwürdigen Bedürfnisbefriedigung

Der Beorif? der Religion (44—52). IV. Der Begriff der i aller Glieder der Gesellschaft (S. 9) als ein relativ

Offenbarung (53—60). V. Möglichkeit der Offenbarung ! letzter Zweck ausgegeben wird. Er wird dem absolut

(61—66). VI. Kennzeichen der Offenbarung (67—78). ! letzten Zwecke, der Verähnlichung mit Gott, unterge-

VII. Wunder und Weissagungen (79—88). VIII. Die j ordnet. Soziale Liebe, und ihre Voraussetzung, soziale

vollkommene Religion (89—102). IX. Das Bild in der Gerechtigkeit, haben daher die tragenden Kräfte des

Offenbarung (103—124). X. Bolzanos religionswissen- ; Wirtschaftslebens zu sein. Im Einzelnen baut sich Sch.s

schaftliche Methode (125—146). Als Anhänge sind beigegeben
:

A. die „112 irrigen und anstößigen Sätze", die Hof-
burgpfarrer Frint aus den Erbauungsreden Bolzanos
ausgezogen hat,

B. die in diesem Zusammenhange geschriebene Rechtfertigung
Bolzanos: „Mein Glaube".

Der im Vorwort angekündigte Band nachgelassener kleinerer
religionswissenschaftlicher Schriften Bolzanos und
Briefe relfgionswissenschaftlichen Inhalts sowie der auch
religionswfssenschaftlich wichtige Briefwechsel Bolzanos
mit Professor Franz Exner sind bisher noch nicht erschienen
, und damit ist, wie auch schon von anderer
Seite bemerkt wurde, eine bis ins einzelne gehende Nachprüfung
der Arbeit Winters noch nicht möglich. Das
Werk überzeugt aber durch seine Klarheit, Sachlichkeit
und das liebevolle Verständnis, das der Lehre Bolzanos
bei aller Erkenntnis ihrer Mängel und Grenzen entgegengebracht
wird. Der unmittelbare Vorläufer Winters als
Bolzanobiograph, H. Fels, hat auf Grund der vorliegenden
Untersuchung Winters seine Stellungnahme ausdrücklich
ganz wesentlich geändert; er hält nicht mehr
daran fest, daß Bolzano infolge ungerechter Anklagen
Katheder und Kanzel verlassen mußte, und an die Stelle
des Satzes: „Grundsätzlich steht Bolzano auf dem Standpunkt
katholischen Christentums" setzt er jetzt den
Satz: „Bolzano wollte katholisch sein" (Philos. Jahrbuch
der Görresgesellschaft 1933 S. 253 ff.).

Leipzig. Erwin J a c ob i.

Schilling, Prof. Dr. theol. Sc. pol. Otto: Katholische Wirtschaftsethik
. Nach den Richtlinien der Enziklika Qnadragcsimo
anno des Papstes Pius XI. München: M. Hueber 1933. (VI, 338 S.)
gr. 8°. RM 5.65 ; sreb. 7.65.

Der „Evangelischen Wirtschaftsethik" von Georg
Wünsch, die ja im einzelnen viele scharfe Angriffe auf
den Katholizismus enthält, sucht der Tübinger Professor
Schilling eine „Katholische Wirtschaftsethik" gegenüberzustellen
. Dazu liegt um so mehr Anlaß vor, als
Papst Pius XI. in seiner Enzvklika Quadragesimo anno
vom 15. Mai 1931 die katholischen Grundsätze der
Sozial- und Wirtschaftsethik erneut in feierlicher Weise
ausgesprochen hat. Auf dieser Enzyklika und ihren
Vorgängerinnen, Rerum novarum und Graves de com-
muni Leos XIII. baut denn auch Schilling auf. Den
volkswirtschaftlichen Unterbau liefern die Volkswirtschaftslehren
von Fr. Bülow und C. J. Fuchs, die Auseinandersetzung
mit Wünsch bestimmt weitgehend Problemstellung
und Entscheidung.

fc» ö

Schillings Werk ist weitangelegt und umfassend, es
entspricht seiner eigenen Forderung, nicht nur allgemeine

ethische Grundsätze aufzustellen, sondern Aufschlüsse j meinem Eigentume teilnehmen lasse, kein Recht auf

Wirtschaftsethik wesentlich auf dem christlichen Naturrecht
auf. Nicht nur biete das Evangelium wenig Normen
, die für das Wirtschaftsleben direkt verwendet werden
könnten (S. 27), der Verf. ist offenbar auch nicht
geneigt, in den ethischen Weisungen des Evangeliums
Normen zu sehen, die sachlich über das Naturrecht hinausgehen
. Da die Paradoxie des Evangeliums preisgegeben
ist, erscheint das ganze Buch dem gesunden Menschenverstände
so unmittelbar einleuchtend.

In einem ersten grundlegenden Teile (S. 39—88), der
das Verhältnis der Konfessionen zur Wirtschaft, die
wirtschaftlichen Grundbegriffe und die außerwirtschaftlichen
Voraussetzungen der Wirtschaftsethik behandelt,
macht Sch. die Reformation stark verantwortlich für
die Entstehung des Wirtschaftsliberalismus: das katholische
soziale System sei nicht ein opportunistisch gewählter
Mittelweg, es sei so einleuchtend und allseitig
befriedigend, weil es die Wahrheit sei (S. 53). Man
empfindet hier wie an vielen anderen Stellen des Buches
schmerzlich, daß von protestantischer Seite nichts unternommen
ist, um die einseitigen Aufstellungen der We-
ber-Troeltsch'schen Religionsoziologie endlich richtig zu
stellen.

Eines der Grundprinzipien Sch.s ist, daß man Selbstinteresse
und Freiheit nicht ohne Gefährdung der Wirtschaft
beseitigen könne (S. 67). Daher seine ständige
Polemik gegen Sozialismus und Staatskapitalismus. Das
Allheilmittel sieht er in einer berufsständischen Gliederung
der Wirtschaft unter Staatsaufsicht.

Das Hauptstück des Buches bilden die beiden Abschnitte
über „die moderne Volkswirtschaft im allgemeinen
", eingeteilt in die Kapitel Produktion, Güterumlauf
, Güterverteilung und Konsumtion (S. 89—219) und
„die einzelnen Wirtschaftszweige", nämlich Landwirtschaft
, Gewerbe, Handel, Finanzwirtschai't (S. 220 bis
292). Mit Rücksicht auf Leser, die mit der Volkswirtschaft
nicht vertraut sind, gibt Sch. eine Fülle von belehrenden
Tatsachen und Definitionen. Die führende
Stellung der Produktion im heutigen Wirtschaftsprozesse
wird als ethisch notwendig anerkannt, doch habe sich
die Produktion in den Dienst der Konsumtion zu stellen.
Freilich heißt das nur, daß sie nichts produzieren solle,
was dem Verbraucher leiblich oder moralisch schaden
könnte. Ebenso wird in dem Verhältnis von Kapital und
Arbeit der heute bestehende Vorrang des Kapitals als
sittlich gerechtfertigt anerkannt, dem Kapitalisten aber
Rücksicht auf den Arbeiter und Verzicht auf übermäßiges
Gewinnstreben nahegelegt. Interessant ist es zu sehen,
wie Sch. das Zinsnehmen trotz des altkirchlichen Zinsverbotes
(das freilich im CJC aufgehoben ist) zu rechtfertigen
unternimmt. Danach bestehe ratione mutui,
d. h. aufgrund der Tatsache, daß ich den Anderen an

und Entscheidungen zu geben, die so bestimmt und Zins. Hier erfülle ich nur meine Pflicht der Nächstengenau
sind, daß sie sich praktisch leicht verwerten liebe. Wohl aber gebe es einen äußeren Rechtstitel
lassen (S. 323). Freilich wird des Verf. Hoffnung, ratione boni communis: da das moderne Wirtschaftsleben
damit die autoritative katholische Wirtschäftsethik ge- j ohne Kredite nicht bestehen könne, bedeute Kreditgeben
geben zu haben, kaum in Erfüllung gehen. Schilling I eine soziale Dienstleistung, für die ein Recht auf Ver-
selbst ist Vertreter der mittelständlerisehen christlich- | gütung bestehe (S. 191).