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Ausgabe:

1935 Nr. 9

Spalte:

157-158

Autor/Hrsg.:

Betcke, Werner

Titel/Untertitel:

Luthers Sozialethik 1935

Rezensent:

Herz, Johannes

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Seite 1

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157

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 9.

158

sammengestellt (S. 87—91), denen die Namen der Ge-
burts- und Primizorte (S. 92—104) und eine Übersicht
über die Zahl der Primizianten in den einzelnen Jahren
und ihre Hochschulbildung angefügt ist (S. 105). Personen
-, Orts- und Sachregister für die Darstellung und
das Primiziantenregister beschließen das Heft. Das erste
Kapitel unterrichtet über die Quellen, aus dem
hervorgeht, mit welchen Schwierigkeiten der Herausgeber
bei den verderbten Vorlagen zu kämpfen hatte.
Dem Primiziantenregister ist ein Kapitel über das Studium
und die Primizfeier vorausgeschickt. Daraus ergibt sich,
daß fast die Hälfte der Anwärter Hochschulen, meist
Ingolstadt, besucht hatte. Manche erreichten akademische
Grade, zwei wurden Weihbischöfe von Regensburg
und Freising; aber auch das Eindringen des Luthertums
in ihren Reihen läßt sich gut verfolgen. Über die Pri-
mizfeiern und ihren manchmal recht weltlichen Ausklang
bei feucht-fröhlichem Schmause sind wir gut unterrichtet
. Diese „kulturgeschichtlichen Ergebnisse" werden
dann noch einmal gesondert im vierten Kapitel der Arbeit
zusammengefaßt. Die Dauer des akademischen Studiums
ist sehr verschieden und erstreckt sich bei manchen
bis zu 10—18 Jahren. Gleich den wandernden
Humanisten zogen die Kleriker von einer Hochschule
zur andern. Konkubinat und sonstige Ausschreitungen
pflichtvergessener Priester kommen auch hier vor. Unter
den Primizianten des Jahres 1520 befindet sich Andreas
Osiander aus Günzenhausen.

Breslau. Wilhelm Der sc h.

B e t c k e , Dr. Werner: Luthers Sozialethik. Ein Beitrag zu Luthers
Verhältnis zum Individualismus. Gütersloh: C. Bertelsmann 1934.
(175S.) 8°. RM 4 —

Die Schrift, die aus einer ungedruckten Wiener
Dissertation des Verfassers über „Luthers Anschauung
von dem Staate und der Wirtschaft" hervorgegangen ist,
bringt in einem kurzen 1. Teil — im Wesentlichen auf
Othmar Spanns Gesellschaftslehre fußend — allgemeine
Ausführungen über Individualismus und Universalismus,
über den Universalismus des Mittelalters und über das
Werden des Individualismus, der sich nach dem Urteil
des Verfassers in den drei geistigen Bewegungen des
Nominalismus, der Mystik und der Renaissance anbahnt
. In dem weit ausführlicheren 2. Teil wird dann
zunächst untersucht, wie diese individualistischen Strömungen
des ausgehenden Mittelalters auf den jungen
Luther eingewirkt und seinen religiösen Individualismus
mit bestimmt haben. „Auch Luther gehört wie
die Nominalisten und wie die Humanisten nicht mehr
zum Mittelalter." Er macht sein Erlebnis von der Rechtfertigung
als ganz persönliche Lebenserfahrung und
betont fortgesetzt aufs stärkste die Selbstverantwortung
des Einzelnen in allen Glaubenssachen. Aber diese unbedingte
„Personhaftigkeit" des lutherischen Glaubens
ist nur ein allerdings sehr wesentlicher Grundzug seiner
Haltung, der nach der Meinung des Verfassers der Ergänzung
bedarf. „Das wirklich Große an Luther ist
nämlich, daß er diesen scheinbaren Individualismus sofort
wieder überwindet durch die bewußte und völlige
Hineinstellung des Menschen in die Gemeinschaft des
Glaubens und Handelns. Gewiß ist ihm diese Gemeinschaft
nichts Selbstverständliches mehr — und damit
steht er jenseits des Mittelalters, aber er empfängt sie
von Gott als Geschenk und Aufgabe zugleich — und damit
steht er jenseits des Individualismus! Alle, die in
Luther den Individualisten sehen wollen, übersehen,
daß die Frage nach der persönlichen Gottesgewißheit
noch nichts über Inhalt und Zielsetzung des Glaubens
aussagt."

Es ist verdienstlich, daß der Verfasser in den folgenden
Abschnitten seines Buches diese bewußte Hineinstellung
des Menschen in die Gemeinschaft bei Luther
, die oft übersehen worden ist, an einzelnen Beispielen
(dem Gemeindegedanken, der Stellung zum Staat,
zum Recht, zu Beruf, Stand und Arbeit, zu Armut und

Liebestätigkeit, zu Ehe und Familie und zur Wirtschaft)
aufzeigt und eine Übersicht über die soziale Gedankenwelt
Luthers zu geben versucht. Als Material hierfür
werden nicht nur die bekannten Abschnitte aus den
Schriften „An den christlichen Adel", „Von der welt-

i liehen Obrigkeit", „Von Kaufhandlung und Wucher"
und „Sermon vom Wucher" herangezogen, sondern auch
viele Predigtstellen und sonstige abliegende Einzeläuße-

] rungen aus Luthers Schrifttum. Schon diese Material-

j Sammlung macht das Buch wertvoll und gerade auch
für die gegenwärtige Diskussion brauchbar. Sie zeigt,
daß sich gewiß bei Luther keine abgeschlossene Sozialethik
findet, daß er aber keineswegs ein einseitiger
„Individualist" gewesen ist oder gar einen die Gemein-

i schaff zerstörenden Individualismus vertreten hat, sondern
daß er gerade auch in seinem seelsorgerlichen

I Wirken als Prediger immer wieder den Einzelnen in die
Gemeinschaft hineinstellt und an seine Pflichten gegenüber
der Gemeinschaft erinnert, so daß sich bei Luther
auch für das soziale Denken und Handeln der Gegenwart
manche fruchtbare, leider bisher viel zu wenig beachtete
Hinweise und Anregungen finden. Eine noch
umfassendere Bearbeitung und systematischere Durchdringung
des gesamten Stoffes vermöchte das vielleicht
noch deutlicher herauszustellen. Über manche Fragen
und Probleme wird vom Verfasser doch zu rasch und
zu leicht hinweggegangen. Daß Seite 134 von der „Leipziger
" statt von der „Leisniger" Kastenordnung geredet
wird, ist wohl nur ein stehen gebliebener, aber recht
störender Druckfehler.

Leipzig. Johannes Herz.

Zwingliana. Beiträge zur Gesch. Zwingiis, der Reformation u. des
Protestantismus in der Schweiz. Hrsg. vom Zwingliverein. Bd VI, 2
1934 Nr. 2. Zürich, Berichthaus (S. 67—128.) gr. 8°.

L. von Muralt äußert „Zum Problem: Reformation
und Täuferrum" sein Urteil über mennonitische Arbeiten
aus Amerika und der Schweiz, besonders von dem
eifrigen John Horsch in the Mennonite Quarterly Review
und begrüßt die Veröffentlichung von 9 Briefen Konrad
Grebels durch E. Yoder. Er verlangt statt der Apologetik
Horschs eine systematische Darstellung der Täuferlehre
, wie sie in populärer Art der Schweizer S. Geiser
gibt. O. Netoliczka schreibt über „Hontems und
Zürich" und die Bedeutung des Froschauerschen Verlags
für die Kosmographie des Kronstädter Reformators
. H. M. Stückel berger würdigt in „Calvin und
Servet" des ersteren Gerechtigkeit gegenüber dem ihm
I entgegentretenden Pantheismus Servets. Für weitere Kreise
teilt H. Escher einen im Gorp. Ref. 98,641f. er-
I scheinenden Brief Zwingiis zur „Rechtfertigung wegen
| übler Nachrede gegen Bern" mit. O. Frei stellt eine
I „Bibliographie der poetischen Zwingliliteratur" in Ge-
i dichten, Erzählungen und dramatischen Darbietungen
aus dem 19. und 20. Jh. zusammen. P. Leemann-van
Eick veröffentlicht einen „Beichtzettel für Einsiedeln in
Zürich gedruckt" von 1516.

Horb. G. Bossert.

Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus
im ehemaligen und im neuen Österreich. 52.-55.
Jahrgang, hrsg. von Dr. Karl Völker. Wien: Manz 1931. 1932.
1933. 1934. (182, 162, 176, 201 S.) 8°.

Es ist ein deutliches Zeichen der Lebenskraft des
österreichischen Protestantismus, daß er trotz aller
Schwierigkeiten seine Geschichte zu pflegen vermag,
i Die Namen G. Loesche und J. Loserth sind unlöslich
[ damit verbunden. K. Völker gibt in „Georg Loesche,
j Ein Beitrag zur Geschichte der Wiener evang.-theol.
Fakultät" in 54, 3—56 ein Lebensbild und eine Bibliographie
des 1932 Heimgegangenen. Auch Frdr. Seile
T 1931 erhält 53, 152 f. einen seine Arbeit würdigenden
! Nachruf. Die Reformation und Gegenreformation fand
, die meisten Bearbeiter. P. Dedic bringt seine Arbeit
über „die evang. Prediger Judenburgs in der Ref.zeit"