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Ausgabe:

1935 Nr. 6

Spalte:

107

Autor/Hrsg.:

Stutzer, Gustav

Titel/Untertitel:

Meine Therese 1935

Rezensent:

Lerche, Otto

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107

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 6.

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berg konnte, wenn es sich mit anderen Städten in die
Linie der Union begab — wobei schon von allem Anfang
an ein Bedauern darüber mitschwang, daß nicht
ohne Unterschied der Konfession alle Städte des Reichs
mit von der Partie sein konnten —, diese freilich oft
lediglich dem Namen nach evangelische Politik nur
dann mitmachen, wenn städtische, das heißt allgemeine
reichsstädtische Interessen berücksichtigt wurden, wenn
also Wiederholungen eines Falles Donauwörth unmöglich
waren. Weiter mußte Nürnberg darauf Wert legen,
daß seine Integrität als Reichsstadt nicht angetastet
wurde, daß also keine Zettelung mit dem Auslande eingeleitet
und daß gegen den Kaiser nur auf verfassungsmäßigem
Wege notfalls vorgegangen werden sollte.

Zunächst hat Nürnberg durchweg Enttäuschungen
erlebt: der Fall Donauwörth wiederholte sich in Aachen
und schien sich weiterhin wiederholen zu sollen. Die Union
und ihre Mittel wurden von den um Jülich-Kleve streitenden
Fürsten in Anspruch genommen, und die Abhängigkeit
aller Unternehmungen vom Auslande — zunächst
von Frankreich, dann durch den Pfalzgrafen-Kurfürsten
Friedrich V. von England — war unbestritten. Nur mit
großem Geschick wurde offenes Vorgehen gegen die
Kaiser Rudolf II. und Matthias, die freilich ihrerseits
auf das Entgegenkommen der Städte rechnen mußten,
vermieden. Von diesen vielseitigen Verwicklungen aus
betrachtet ist die Nürnberger Politik nicht ohne einen
gewissen großen und geraden Zug im Sinne einer nationalen
Reichspolitik. Die „Sonderart der Nürnbergischen
Politik vor dem großen Kriege ging stets darauf aus,
für die Wahrung evangelischer Macht im Reiche die
gesamten Kräfte der evangelischen Territorien zu einer
verfassungsmäßig einwandfreien, unpersönlichen Gesamtkraft
zusammenzuziehen" (S. 80). Aber technisch wertvoll
war der Reichsstadt daneben allezeit das geschlossene
Auftreten der „legitimen Städtezusammengehörigkeit
insgemein".

Alles in allem haben wir es hier mit einer außerordentlich
wertvollen, ein weitschichtiges, z. T. ungedrucktes
Quellenmaterial geschickt und sparsam verwertenden
Arbeit zu tun, deren eigentlich kirchengeschichtlicher Ertrag
allerdings bescheiden zu nennen sein dürfte. Schließlich
und irgendwo muß doch auch einmal der kirchen-,
konfessions- und religionsgeschichtliche Charakter der
Union zu Tage kommen. Reichsgeschichtlich geht die
vorliegende Studie, wenn auch nur in einem Teilgebiet,
über die Arbeiten von M. Ritter (1867, 1873, 1880) weit
hinaus und beträchtlich in die Tiefe.

Berlin. Otto Lerche.

Stutzer, Gustav: Meine Therese. Aus dem bewegten Leben einer
Frau. [2. Aufl.] Braunschweig: H. Wollermann [19321- (214 S. m.
1 Bildn.) kl. 8°. geb. RM 2.7S

Die neue Auflage dieses vielgelcsenen Buches gestattet, mit allem
Nachdruck auf die Lebensarbeit Stutzers in Brasilien hinzuweisen und
seiner verschiedenen Bücher „In Deutschland und Brasilien", „Reiseerinnerungen
eines alten Mannes", „Am Rande des brasilischen Urwaldes",
„Der deutsche Ansiedler in Südbrasilien" zu gedenken. Daß Stutzer auch
innerhalb der Inneren Mission auf dem Gebiete der Gefährdeten- und
Verwahrlostenfürsorge viel leistete — Erkerode, Veltheim, Neuerkerode,
Theresienhof — ist vielfach nur möglich gewesen, weil er in seiner Frau
eine Helferin von Rang und besonderer Befähigung hatte. Aber das
Büchlein ist mehr als eine Biographie einer Frau, die auf solchen Wegen
viel gearbeitet und durchgemacht hat. Bei aller Schlichtheit und Anspruchslosigkeit
der Erzählung haben wir es doch zu tun mit der Darstellung
eines Schreitens auf Gottes Wegen. Da Therese Stutzer in Gott
ihre Heimat gefunden hatte, so hatte sie auch die Kraft, die Fremde zur
Heimat zu gestalten.

Berlin. Otto Lerche.

Sacks, Wolfgang: Der Anglo-Katholizismus im englischen
Nachkriegsroman. Inaugural-Diss. Halle a. S.: [Dissertation] 1934.
(96 S.) 8°.

Nach wenigen Worten über die Geisteshaltung der
Nachkriegszeit (Pessimismus, „Disillusion", Neue Gläubigkeit
) und einer kurzen Darstellung der Geschichte
des Anglo-Katholizismus von der Oxforder Bewegung

an entwirft Verfasser ein interessantes und lebendiges
Bild von der Anteilnahme des Romans an dem Vordringen
des Anglo-Katholizismus in den Jahren 1919
bis 1930. Die literarische Hauptrichtung ist anderweitig
orientiert, aber neben Thesen- und Problem-Romanen
beschäftigen sich auch Unterhaltungsromane mit diesen

: offensichtlich einen größeren Leserkreis interessierenden
Fragen. Als Verfasser sind Geistliche, Frauen und
Konvertiten hervorragend beteiligt.

Es ergibt sich das folgende Bild: Die erfolgreichen
Bestrebungen des Anglo-Katholizismus, in Rückwendung
auf die Vorreformationszeit die dreifache Sukzession der

| Lehre, Personen und Sakramente wie die ursprünglichen
Formen in Liturgie und Ritual wieder herzustellen, ver-
anlaßten die Staatskirche bei allem prinzipiellen Kampf
zu einer Kompromißhaltung, deren Ergebnis eine „Freiheit
ohne Ordnung" ist. Ausführliche Schilderungen
kirchlicher Handlungen bekunden, welch weitgehende
Reformen erstrebt werden. Dem Vorwurf eines schwärmerischen
Ästhetenturns begegnet man mit dem Hinweis
auf die Notwendigkeit, die Schönheit der Wahrheit (Dogma
) zum Ausdruck zu bringen. Die Dorfgemeinde ist
den Neuerungen schwer zugänglich, der anglo-katho-

j lische Geistliche versucht es mit vorsichtigen Kompromissen
, scheitert aber durchweg. Die elegante Stadtgemeinde
greift das Dargebotene begierig auf und drängt
immer weiter auf dem neuen Wege. Schlimmster Individualismus
und Congregationalismus ist die Folge. Bedeutende
, ernst zu nehmende Erfolge bringt die soziale
Arbeit in den Elendsvierteln (slums) und die kluge
Organisation der Laienkräfte. Die Einrichtung von. Klö-

| stern findet zwar große Anteilnahme, aber sie bleibt
doch in reiner Verteidigungsstellung. Interessant ist,

| daß dem Verfasser keine Romanstelle bekannt wurde,
in der ein charakterforrnender Einfluß des Anglo-Katholizismus
behandelt oder dargestellt wurde.

Aus vielen Einzelzügen, die fünfzig Romanen entnommen
sind, läßt Verfasser ein lebendiges Bild von

1 den Zielen, Kämpfen, Erfolgen und Gefahren vor un-

! seren Augen entstehen und liefert eine glückliche, wider-

I spruchsfreie Ergänzung zu den rein sachlichen Darstellungen
.

Göttingen. C. A. Weber.

Koren, Dr. Hans: Volksbrauch im Kirchenjahr. Ein Handbuch.
Salzburg: A. Pustet 1934. (205 S. m. zahlr. Abb. i. Text u. a. Taf.) 8°.

geb. RM 4.80.

Das schmuck ausgestattete Büchlein sollte nicht „die weite, reiche
Vielfalt des religiösen Jahrlaufbrauchtums in seinen tausend Einzelheiten
statistisch genau aufführen und schildern. Es sollte „vielmehr die grollen
Grundlinien, die Quellströme und Einflüsse aufdecken, aus denen
Brauchtum sich erhebt und Leben erhält". Es will zeigen, „wie sich
das rein volksmäfiige Fest- und Glaubensleben mifden kirchlich gefällten
und erfüllten Zeiten abfindet, sich von ihnen gestalten und beeinflussen
läßt und umgekehrt zurückwirkt und Gedanken und Formen den Händen
der Kirche anvertraut, die sie veredeln, segnen und bewahren." Es ist
darum eingehender auf das Brauchtum des österreichisch-deutschen

i Alpengebiets abgestellt, weil es den österreichischen Religionslehrern als
Handbuch beim — katholischen — Religionsunterricht dienen soll. Es
ist aber so wenig ein Schulbuch wie eine wissenschaftlich systematische

, Darstellung.

So anmutig das Büchlein als beiläufiges Sammelergebnis erscheint,
' so schwach ist es eben doch wissenschaftlich begründet. Wer etwa nur
i das Glossar von Grotefends Zeitrechnung — Handbuch, aber auch
Taschenbuch — heranzieht, der wird im Handumdrehen den Jahreslauf
um eine Fülle verschiedensten Brauchtums ergänzen können. Das zwar
von K. angeführte gelehrte Werk von Adolph Franz (Die kirchlichen
Benediktionen im Mittelalter, 1909, 2 Bde) ist nicht entfernt ausgeschöpft,
' ebenso wenig die anderen hierher gehörigen Werke von Franz. Auch
! St. Beißel, Geschichte der Verehrung Marias in Deutschland während
des Mittelalters, bezw. während des 16. u. 17. Jahrhunderts (1909. 1910)
wäre eine Fundgrube voll reicher Ausbeute. Daß ebenso der deutsche
Norden, namentlich Niedersachsen, eine lebendige Verbindung von Brauchtum
und Kirchenleben aufweist, will man in Oberdeutschland, zumal in
katholischen Kreisen nicht gern gelten lassen. Allerdings darf man auf
! evangelischer Seite auch auf diesem Gebiete die Mahnung [tri ctuvöxt|-
j mxiQeiv töj cütövi toutö> nicht bagatellisieren!
I Berlin. Otto Lerche.