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Ausgabe:

1935 Nr. 5

Spalte:

93-94

Autor/Hrsg.:

Storz, Hermann

Titel/Untertitel:

Staat und katholische Kirche in Deutschland im Lichte der Würzburger Bischofsdenkschrift von 1848 1935

Rezensent:

Lerche, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 5.

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sich selber weitergebildet. Kein protestantischer Historiker
wird ferner die ernsthaften Reformversuche in
der Kirche am Ende des Mittelalters bestreiten, nur
wird er die Auffassung vertreten, daß sie gerade die
Notwendigkeit einer Erneuerung der Kirche zeigen.

Ein Verzeichnis der Studenten der Diözese Chur an
den auswärtigen Universitäten vom ausgehenden; 13.
Jahrhundert bis 1530, nicht nur die Matrikeleinträge,
sondern oft ausführliche Personalnotizen enthaltend, sowie
ein Register erschließen das von V. mühsam gesammelte
Material, insbesondere zur Personengeschichte
. Die Arbeit als Ganzes ist umso beachtenswerter, als
sie ein noch wenig bearbeitetes Feld erschließt.
Zürich. L. v. Mural t.

Storz, Dr. theol. Hermann : Staat und katholische Kirche in
Deutschland im Lichte der Würzburger Bischofsdenkschrift
von 1848. Bonn: L. Röhrscheid 1934. (XVI, 163 S.) gr. 8°. =
Kanonistische Studien u. Texte hrsg. von Albers M. Koeniger.

Bd 8. RM6—.

Der Verfasser behandelt ein etwas ausgedehnteres
Thema als der Titel ahnen läßt. Er behandelt das
Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland überhaupt
von 1848 bis 1919, und geht bei seiner Betrachtung
aus von der Denkschrift, die namens der von
dem Kölner Erzbischof Geißel nach Würzburg zusammengerufenen
Bischofsversammlung M. Lieber 1848 verfaßt
hatte. Diese „Denkschrift der in Würzburg versammelten
Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands" ist
ein besonders auffälliges Denkmal der Laientheologie
Deutschlands im 19. Jahrhundert. Der nassauische Legationsrat
Dr. Moriz Lieber, dem wir diese Denkschrift
verdanken, ist in der Geschichte der deutschen katholischen
Bewegung bekannt als Präsident der Katholikenversammlungen
von Breslau (1849) und Salzburg (1857):
er hat mit dem wenig angesehenen Zentrumsabgeordneten
Lieber der neunziger Jahre wohl nicht allzuviel zu
tun. Gewiß nahm Liebers Denkschrift in vieler Hinsicht
die in der Zeit liegenden Forderungen einer Nationalkirche
wieder auf. Aber seit den Tagen von Hontheim
, Wessenberg und Dalberg war die Welt eine andere
geworden; in den 65 Jahren, die zwischen den
Bischofsversammlungen von Ems und Würzburg liegen
, war ein völliger Wandel dessen, was man katho-
lischerseits unter Nationalkirche verstanden wissen wollte
, eingetreten. Man hielt jetzt einen nationalen Zusammenschluß
unter einem deutschen Primas — jedoch unter
uneingeschränkter Oberherrschaft des Papstes für
durchaus möglich.

Die Liebersche Denkschrift fordert koordinierte Stellung
der Kirche neben dem Staate und sodann volle
Freiheit im Verkehr mit dem Papste, in der Ausgestaltung
der Metropolitanverfassung, in der Besetzung der
kirchlichen Ämter und Stellen, im Kultus, in der Tätigkeit
der Orden, in der Erziehung und Vorbildung des
Klerus, in der Verwaltung des Kirchenvermögens und
in der bischöflichen Gerichtsbarkeit. Der Verf. stellt die
Entwicklung und folgerichtige Aufstellung dieser Forderungen
dar und weist nach, daß sie im Wesentlichen erst
im Zeitalter des josephinischen Staatskirchentums dringlich
geworden seien, als die Kirche ihre alten Freiheiten
immer mehr und mehr verloren habe.— In einem zweiten
Teile berichtet St. sodann, wie weit diese Forderungen in
den der Würzburger Versammlung folgenden Jahren und
im Kaiserreich erfüllt wurden. Es ist recht erfreulich
für die objektive Betrachtung, wenn der Verf. feststellen
muß, daß die Hauptforderungen dieser Denkschrift
im Wesentlichen erfüllt worden seien. Zumal
Preußen wird als das Land bezeichnet, in dem es die
katholische Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
so gut gehabt habe, wie in den besten Zeiten
des Mittelalters kaum. Gewiß schließt der Verfasser
die Jahre des Kulturkampfes aus, und auch sonst sind
diese und jene Wünsche unerfüllt geblieben, so hinsichtlich
der Schule: aber aufs Ganze gesehen war die Lage
der katholischen Kirche im evangelischen Preußen so

übel nicht. Diese Feststellung lassen wir uns gern gefallen
!

Die Verhältnisse in Bayern und in der oberrheinischen
Kirchenprovinz — in den Diözesen Freiburg,
Rottenburg, Mainz, Limburg und Fulda — waren von
allem Anfang an andre; die kirchenpolitische Lage war
eine schwierigere, undurchsichtigere, so daß erst nach
und nach und nicht gleichmäßig die ganze Reihe der
Forderungen erfüllt werden konnte. Vor allem aber

: — das stellt jedoch St. nicht fest — war Preußen ein
überwiegend evangelischer Staat, der politisch nicht übermäßig
an katholische Verpflichtungen gebunden war,
wie etwa Bayern, Baden, Württemberg, Hessen usw.,
die alle mehr oder weniger schwierige Auseinandersetzungen
mit ihren katholischen Ständen hatten. Preußen
hatte keine katholischen Ambitionen und wollte nach
Möglichkeit ehrliche Parität walten lassen. Daß der
preußischen Regierung das gelungen ist und daß sie
nun — mit Ausnahme des Kulturkampfes — ein rundes
sachliches Lob dafür aus katholischer Feder bezieht, ist

, sehr erfreulich und lediglich darauf zurückzuführen, daß

. die preußische Regierung in jenen Jahren cum grano

I salis evangelisch war.

St. stellt eine Reihe von Behauptungen auf, die gewiß

I an sich bestechend sind, die aber hier nicht genügend
belegt sind und vielleicht doch einer Nachprüfung wert
wären. In welchem Umfange war z. B. tatsächlich das
Preußische Allgemeine Landrecht II 11 die Grundlage
des Verhältnisses von Staat und Kirche in Deutschland
überhaupt? — Gewiß war Erzbischof Geißel von Köln
die Seele der Würzburger Versammlung, er war darüber
hinaus auch ein geschickter Parlamentarier und Politiker,
der diese gefährlichen Mittel in die kirchliche Sphäre
hineingezogen hat. Gerade Geißel war es, der den Wert
des Schlagworts im parlaments-politischen Kampfe erkannte
. Wenn St. dabei von dem Vernichtungskampfe
spricht, den der linksradikale Liberalismus gegen die
Kirche eröffnet hatte, so sagt demgegenüber sehr richtig
Joseph Schmidlin (Papstgescluchte der neuesten
Zeit II, 1934 S. 162) „... fochten die katholischen
Abgeordneten teils im Kampfe, teils im Bunde
mit der liberalen und demokratischen Linken . . . auch
für die kirchliche Unabhängigkeit!" — Für die Schulaufsicht
der Kirche tritt St. als für eine gottgesetzte
Ordnung ein. — Mehrfach betont St. die der katholischen
Kirche wohlwollende Regierung Friedrich Wilhelms
IV. von Preußen. Das ist außerordentlich einseitig gesehen
und — abgesehen von der notwendigen Beilegung
des Kampfes und der Einrichtung einer katholischen
Abteilung im Unterrichtsministerium — im Ganzen wohl
nicht richtig: wo und wann und in welcher Form suchte
sich Friedrich Wilhelm IV. allen Ernstes des landesherrlichen
Summepiskopats zu entledigen? Schon Treitsch-
ke hat bekanntlich nach den „rechten Händen" gefragt,
in die der König das Summepiskopat legen wollte; die
Frage ist bis beute nicht beantwortet. — Ist die
staatliche Regelung der Mischehenordnung als ein Eingriff
in den kirchlichen Kultus zu werten? — Hat
Geißel tatsächlich — wie St. mit Pülf wiederholt — das
Verdienst, für die Aufnahme der deutschen Grundrechte
in die oktroyierte preußische Verfassung vom 5. Dezember
1848 gesorgt zu haben? — Der Hinweis S. 87
auf das einträchtige Zusammenwirken von Nationalverein
, Protestantenverein und der Masse des unkirchlichen
protestantischen Bürgertums für die Schaffung
einer romfreien deutschen Nationalkirche ist richtig und
sehr zeitgemäß: auch heute setzen sich in erster Linie
unkirchliche Kreise, die dem Namen nach Protestanten
sind, für die Nationalkirche ein.

Berlin. Otto Lerche.

Mü n ck e r, Theodor: Die psychologischen Grundlagen der
katholischen Sittenlehre. Düsseldorf: I.. Schwann 1934. (VI,
340 S.) gr. 8°. = Handbuch d. kath. Sittenlehre unt. Mitarbeit v!
Prof. Dr. Steinbüchel u. Prof. Dr. Müncker hrsg. von Prof. Dr. F.
Tillmann. Bd. 2. RM 10.80; geb. 12.80.