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Ausgabe:

1935 Nr. 5

Spalte:

90-91

Autor/Hrsg.:

Benz, Ernst

Titel/Untertitel:

Ecclesia spiritualis 1935

Rezensent:

Lempp, Eduard

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89

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 5.

90

erfolgen. — Druckfehler finden sich wenig; S. 6 muß es BOü und Benz, Ernst: Ecclesia Spiritualls. Kirchenidee u. Geschichts-
nicht BSU heißen. S. 170 muß es heißen: H. (nicht L) Thiersch, theologie der franziskanischen Reformation. Stuttgart: W. Kohl-

ZATW 50, 1Q32, S. 73 ff. hammer 1934. (XV, 481 S.) gr. 8°. RM 21—.

Göttingen. H. Seesemann. Das Buch gibt nicht eine Geschichte des franziskani-

-— sehen Spiritualismus, deren Verlauf vielmehr offenbar

Magistri Eckardi: Opera Latina. Auspiciis Institut! Sanctae i ais bekannt vorausgesetzt ist, sondern eine ideeno-e-
Sabinae in urbe ad codicum fidem edita. I: Super Oratione domi- schichtliche Beleuchtung dieser Geschichte. Der eigene
~, WaK,na Klibansky. Leipzig: «JJ i Standpunkt des Verfassers wird deutlich durch dieWid-

(xvii, WS.) gr-.8. f + , ' „w ! ! munS »der kommenden Kirche" und durch die treffen-

Me.ster Eckeharts Nachwirken hat lange unter der den Zjtafe au,s Dostojewskij's Großinquisitor, die den
größeren Berühmtheit seiner Schuler gelitten. Und auch meisten der Abschnitte als Motto vorgesetzt sind B
die Entdeckung seiner deutschen Schriften durch die geht aus VQn der prophetischen Verkündigung des Abtes
römant.sche Philosophie im 19. Jh. ist nicht ihm selbst , Joachiin von Fiore Dessen Schriftauslegung und Ge-
und seiner geschichtlichen Erkenntnis zustatten gekom- | Schichtsauffassung, seine Weissagung von den drei Zei-
men. Denn von da an haben bis heute die verschiedensten i ten deg WeWaufs, von der kommenden Ablösung der
Richtungen ihn als ihren Gewährsmann für sich in An- papstkirch,e durch die Qeistkirche der dritten Zeit die
spruch genommen eine Umdeutung der die neuhochdeut- 1260 be innen wird sind das Fundament des franzis-
sche Übersetzung Büttners und ihre Verwe:ndung durch tno- kanischen Spiritualismus, wonach nicht eine Reform der
derne religiöse Strömungen nur Vorschub leistete. Umso , papstkirchie sondern eine Überwindung derselben durch
dringlicher ist die Aufgabe, die Eckehart-Forschungdurch die' beistehe zu erwarten ist (S. 47); damit schmS
e.ne kritische Ausgabe seiner Schriften auf gesicherten det joachim dner zukunftigen Spiritualenkirche die Waf-
Boden zu stellen Die angst ersehnte Edition der latei- ! fen Jzur BekampW der Papstkirche (S. 48) Die Er-
nischen Werke die seit 400 Jahren vergessen und erst m dieser Wefssagung beginnt mit de n neuen
neuerlich zum kleinen Teil wieder bekannt geworden MenscKhen« Franz von £ss& wf ß SinSendvS
sind, wird deshalb großenteils eine ed.tio prineeps dar- d€r iß richtigen Ansicht ausgeht: Nicht der FraT

stellen. So wird man den Beginn ihres Erscheinens
lebhaft begrüßen und ihr den raschesten Fortgang wünschen
, schon damit sie der Berliner längst vorbereiteten
schwierigen Ausgabe der deutschen und lateinischen
Schriften noch ihre Dienste bieten kann. Sie wird dieser
nicht im Wege stehen, wohl aber, mit ihrer Einordnung
M. E.s in seine scholastische Umwelt, sie aufs beste ergänzen
.

Die Grundlage des Drucks bildet die wohl in Koblenz
oder Mainz geschriebene Eckehart-Handschrift des Nicolaus
von Kues, die mit ihren zahlreichen Randbemerkungen
das eifrige Eckehartstudium des großen Kardinals
verrät. Aus dem Freundeskreis des Cusaners
stammt auch die 2. Handschrift, die für die die Opera
eröffnende Vaterunserauslegung allein noch zur Verfügung
steht. Die Textgestaltung ist danach einfach.
In der Schreibvveise ist die mittelalterliche Farbe möglichst
beibehalten, überhaupt vermieden, dem lebendigen
Kirchenlatein die Regelstrenge der klassischen Latinität
aufzuzwingen.

Ob das ,iam dudum', mit dem der Johanneskonimen-
tar darauf zurückblickt, ausreicht, die kleine Schrift
,super oratione dominica' zu einem Jugendwerk zu stempeln
? Inhaltlich zeigt der Traktat mit seiner neuplatonischen
Modifikation thomistischer Gedankengänge gut
eckehartisches Gepräge. Neben der Verwendung mittelalterlicher
Schulautoren führen die Verweise des Apparats
deutlich die ständige Benutzung Cassians vor Augen.
Die kleine Schrift vermittelt so zugleich einen Eindruck
davon, wie tief ihr Verfasser im kirchlichen Denken
seiner Zeit wurzelt und wie sehr er Mönch war: Nichtigkeit
des Zeitlichen p. 2 I. 4; horror vitae praesentis
4,13; Ausdeutung der 4. Bitte, ,ne quaeramus in hoc
saeculo diu manere' 13, 5; Gerichtsfurcht 7, 2; Verdienstgedanke
16,7; nur dem Feind zu vergeben, nicht auch
ihn zu lieben ist geboten 15,13.

Man mag fragen, ob das Heranziehen von Eckehartzitaten
späterer Autoren den Apparat nicht zu sehr
belastet, und ob es notwendig ist, so häufig M. E. durch
sich selbst zu kommentieren. Anders steht es um die
Parallelstellen aus den deutschen Schriften: das Nebeneinander
von deutschen und lateinischen Stellen erleichtert
das Verständnis seiner oft selbstgeschaffencn
deutschen und der nicht selten umgeprägten lateinischen
Terminologie. Auch könnte der schon sehr nützliche
Nachweis der von M. E. benutzten Schriften vielleicht
noch auf die arabisch-jüdischen Mystiker und
Philosophen ausgedehnt werden, bei denen er in die
Schule gegangen ist und ohne die er nicht verstanden
werden kann!

Göttingen. H. Dörries.

wie er wirklich war, sondern der Franz, wie er von
seiner Umwelt, seinen Freunden, von der Kirche aufgefaßt
und dargestellt wird, der gedeutete Franz, der Franz
der Legenden, der Heilige, der neue Moses, Elias, der
Prophet, der Gottesgesandte, der Morgenstern war wirksam
für die Folgezeit. Deshalb unterscheidet B. in der
weiteren Darstellung des h. Franz, seines Ordens, seiner
Regel, seiner Stellung zur Kirche, seiner endgeschichtlichen
Erwartung, immer zwischen Franzens eigener
Anschauung und der Deutung seiner Schüler und
Nachfolger (S. 57). Dabei zeigt B., wie schon vom
Testament des Heiligen an zwei Grundgedanken mit
einander im Kampf lagen, der Gedanke der Wiedergeburt
und der der Entwicklung der Kirche (S. 72); durch
kirchliche Beeinflussung kam letzterer zum Sieg (Franz
erneuert nicht, sondern er stützt die Kirche S. 155). Mit
dem Einbruch des Joachitismus in den Franziskanerorden
im Jahr 1241 und dem Bekanntwerden des pseudo-
joachitischen Jeremiaskommentars entsteht die Deutung
des Franziskaiierordens als Erfüllung der Weissagungen
Joachims und das führt zum Konflikt mit dem rivalisierenden
Dominikanerorden, zum Zusammenprall mit
der politischen Reichsidee Friedrichs II. und schließlich
zum Kampf mit der katholischen Kirche, und dieses
führt zu einer Katastrophe, „die für die katholische
Kirche mit dem Verlust jeder endzeitlich orientierten
Frömmigkeit und damit mit dem Verlust der ursprünglichen
Impulse der christlichen Kirche, für die Spiritualenkirche
mit der völligen Ausrottung endet" (S. 236).
' Ausführlich wird sodann das Ringen des Petrus Olivi
um die Katholizität der Spiritualenkirche geschildert
und endlich die Verwandlung der Geistkirche zur Sekte
bei Ubertino da Casall, Angelo Clareno, Fra Dolcino,
Arnaldo von Villanova und Cola di Rienzo. Den Abschluß
bildet die Darlegung des endgiltigen Urteils der
katholischen Kirche und des Geschichtsbildes von Au-
reoli. Die offizielle Kirche unterscheidet nicht drei,
sondern nur zwei Zeiten (vor und nach Christus), ele-
miniert jede Eschatologie aus der Geschichte, wählt die
Stellen der Bibel aus, die ihre gegenwärtigen Ordnungen
begründen, rekonstruiert die Vergangenheit, so wie sie
auf Grund der eigenen gegenwärtigen Ansprüche hätte
sein müssen; es gibt keine Geistkirche, es gibt keinen
Verfall, es gibt nur Fortschritt in der Kirche, und das
Wesen dieser Geschichtskonstruktionen, dieser Korrekturen
der Vergangenheit an der eigenen Gegenwart ist,
„daß sie zwar von positivistischen Historikern widerlegt
werden können, daß sie aber eine realere und konkretere
Geltung und Macht haben als die Widerlegungen
dieser Historiker, solange die Institution, von der diese
Geschichtskonstruktionen ausgehen, noch besteht... Hier