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Ausgabe:

1935 Nr. 4

Spalte:

74-76

Autor/Hrsg.:

Stapel, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Volkskirche oder Sekte? 1935

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 4.

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Kein Zweifel: wir haben ein Werk von hohem
Wert vor uns. Daß der englische Priester es mit großem
Nutzen brauchen wird, ist sicher. Für uns ist es nicht
bloß als gründliche Einführung in alle Einzelheiten des
anglikanischen Gottesdienstes wichtig, sondern auch als
weitreichendes und tiefgreifendes Material zum Studium
anglikanischer Liturgik in jedem Sinn des Wortes. Dabei
sind die oben genannten Erörterungen über moderne
Probleme besonders wertvoll; wie z. B. H. Harris das
„liturgische Schweigen" behandelt, ist sehr interessant.
Er erwähnt R. Otto, kommt auch auf die Quäker, aber
inhaltlich geht er an den in Deutschland erörterten einschlägigen
Fragen nahezu vorbei, weil er fast alle Aufmerksamkeit
auf das eucharistische Schweigen lenkt.
Das ist charakteristisch; die maßgebenden Gesichtspunkte
sind aber ganz andere als diejenigen unserer deutschen
evangelischen Liturgik; in vielen Beziehungen begegnen
sie sich viel mehr mit denen der katholischen
Liturgik. Der deutsche evangelische Gottesdienst bleibt
ja nicht völlig unbeachtet; z. B. der geschichtliche Überblick
über das CPB geht auch auf die kontinentale Reform
ein; neben Luther, Straßburg-Genf, Zürich wird
Köln gestellt. Aber daß dieses Eingehen tiefer griffe,
kann nicht behauptet werden; es fehlen die entscheidenden
großen Linien; und so bleibt das betreffende Stück
mehr" eine Materialsammlung. Leider eine nicht sehr
zuverlässige; bei der Wiedergabe von Luthers Reformen
(S. 140f.) sind den Verfassern mehrere recht peinliche
Irrtümer unterlaufen, z. B. wird gesagt, daß in
Luthers Deutscher Messe das Apostolikum an die Stelle
des Nicaenums getreten sei! Die weitere Entwicklung
des deutschen Gottesdienstes bleibt in der Hauptsache
draußen, wenngleich auch in anderen Kapp, von deutschen
Gottesdienstordnungen die Rede ist. Sehr umfassend
ist der Versuch, das Luthertum irgendwie für
die Reservation einzuspannen (S. 574 ff.). Übrigens beschränkt
sich die Beobachtung, daß mehr liturgisches
Material geboten wird, als daß die liturgische Entwicklung
mit ihren Problemen an der Wurzel angefaßt wird,
nicht auf die Darstellung kontinentaler Verhältnisse.
Sie trifft zwar nicht gleichmäßig auf das ganze Buch zu,
das ja nicht aus einem Guß ist; aber sie drängt sich,
abgesehen von den geschichtlichen Partien, doch auch
sonst auf. Sogar die überaus ausführlichen und gründlichen
Ausführungen über die Kommunion der Kranken
lassen gegenüber der riesengroßen Fülle des von allen
denkbaren Gesichtspunkten her zusammengetragenen
Stoffs die großen grundsätzlichen Fragen mehr zurücktreten
, als sachlich richtig erscheint.

Zu dem unerschöpflich weiten Inhalt des Werks
wäre natürlich noch sehr viel zu sagen, was um des
Raumes willen hier fortbleiben muß. Wir können es
selbstverständlich in keiner Weise in unsere deutsche
liturgische Diskussion einreihen, auch nicht eigentlich
(abgesehen von einigen hochkirchlichen Vorschlägen)
für sie ausnutzen. Zur allgemeinen Geschichte des Gottesdienstes
gibt es nichts Neues. Aber für die Kenntnis
der gottesdienstlichen Verhältnisse, Stimmungen und
Strömungen in der Kirche von England ist es außerordentlich
wichtig und fruchtbringend.

Breslau-Sibyllenort. • M. Schian.

Jahrbuch für Liturgiewissenschaft. In Verbind!?, m. Prof. Dr. A.
Baumstarku. Prof. Dr. A. L. M a y e r hrsg. von D. Dr. Odo C a s e 1
O S B. 12. Bd. 1932. Münster i. W.: Aschendorff 1934. (V, 480 S.)
gr. 8°. = Veröff. d. Vereins z. Pflege d. Liturgiewiss. E. V. (Sitz: Maria
Laach). Liturgiegeschichtliche Quellen u. Forschgn.

RM 22.65; geb. 24.50.

Gesamthaltung und Anlage des Jahrbuchs sind die
gleichen geblieben; die Redaktion zeigt dieselbe sachkundige
Gediegenheit wie sonst. Von den großen Aufsätzen
beschäftigen sich diesmal zwei mit Fragen der christlichen
Kunst. O. Ca sei selbst schreibt (S. 1—86) über
die älteste christliche Kunst und das Christusmysterium
; er bringt beide in engste Verbindung und leitet

seine These sowohl aus der geistigen Haltung des
Christentums ab wie aus der tatsächlichen Kunstbetä-

j tigung der ältesten Christen. Dabei setzt er sich sehr

| sachlich mit anderen Ansichten, auch denen evangelischer
Forscher, auseinander. Die Formulierung „Chri-

j stusmysterium" verträgt große inhaltliche Ausweitung;
wie mir scheint, räumen sich gerade dadurch manche
Schwierigkeiten aus dem Wege. Dennoch würde ich
eine noch weitere Formel vorziehen. Und ob nicht doch
das Wort „Mysterium" eine Nüance hineinbringt, die
den Tatsachen nicht voll gerecht wird? Aber das kann
hier nicht erörtert werden. — Hans Weigert bespricht
das Sakrale in der christlichen Baukunst (S.178—193);
daß alle wesentlichen Fragen, die das Thema anregt,
behandelt würden, wird man nicht sagen können; aber
Vf. gibt mancherlei eigene und gute Gedanken zur Sache
und erläutert sie an Beispielen. — Besonders interessant
ist eine Studie von H. Frank OSB zur Geschichte von
Weihnachten und Epiphanie. Sie sucht scharfsinnig nachzuweisen
, daß Ambrosius das Weihnachtsfest des 25.
Dezember in Mailand nicht erst eingeführt, sondern
schon vorgefunden hat. — Spezialabhandlungen gelten
der Textgestalt der nicht dem Psalter entnommenen Meßgesangstücke
(P. Pietschmann OSB), liturgischen Fragmenten
aus einem unbekannten gelasianischen Sakramen-
tar (Alban Dold OSB) und bestimmten, recht interessanten
Besonderheiten beim Kommunionempfang im MA
(vor Schlachten, bei Schiffsreisen usw.). Die großen
Aufsätze stammen von 4 Benediktinern, einem Jesuiten
und einem Nichtordensmann. — Zu dem Literaturbericht
sei nur bemerkt, daß das Bestreben, alles zu registrieren
, was zur Liturgie irgend in Beziehung steht, doch
wohl allmählich gar zu weit ausgedehnt wird. Es ist
schön, daß das Buch eines evangelischen Gelehrten:
H.-D. Wendland, Die Eschatologie des Reiches Gottes
bei Jesus, eine ausführliche Besprechung erfährt; aber
die Beziehung zur Liturgie ist sehr weit hergeholt.
Schließlich müßte die gesamte neutestamentliche Theologie
mitberücksichtigt werden. Auch Schriften wie
Petrich, Adolf und Henriette von Thadden, gehören
nicht in ein liturgisches Jahrbuch. Hier könnte stärker
gesichtet und dafür noch größerer Raum für sachliche
Darlegungen freigemacht werden. Das ausgezeichnete

I Jahrbuch würde dadurch an innerer Geschlossenheit

j gewinnen.

Zum Schluß eine Bemerkung. Weil auch die evan-
i gelische Literatur verzeichnet ist, wird sehr eindrücklich,
i daß in letzter Zeit, aber schon seit Jahren, auf evang.
i Seite in der Geschichte des Gottesdienstes wenig gearbeitet
worden ist. Nun ist gewiß die Lage der evang.
S Liturgie anders als die der katholischen; aber es ist
doch schmerzlich, daß nicht wenigstens die Geschichte
des Gottesdienstes seit der Reformation in stärkerem
Maß durchforscht wird — von den früheren Zeiten
I ganz zu schweigen. Einst war das anders!

Breslau-Sibyllenort. M. S c h i a n.

, Stapel, Wilhelm: Volkskirche oder Sekte? Hamburg: Hanse-

l atische Verlagsanstalt 1934. (72 S.) 8°. RM 1.50.

Stapels Ausführungen ragen ohne Frage in ihrem
tieferen Gehalt über die akuten kirchlichen Auseinandersetzungen
hinaus, wenn sie ihnen auch, zumal in der
Ausdrucksweise, manchen Tribut zollen. In der Erörterung
über „Die Verdammendenund die Verdammten
" stellt Stapel in der neuesten theologischen
und kirchlichen Entwicklung eine bedenkliche Wendung
von der Liebe des Herzens zur Wahrheit des Kopfes
fest und verurteilt die vielfache Aufstellung von „Bekenntnissen
", nach denen kein Bedürfnis vorliege und

J die zu statuieren nur die „Kirche", nicht aber Privatpersonen
und „Bekenntnissynoden" ein Recht hätten. Die
Frage ist, ob die auf das Bekenntnis gerichtete Bewegung
so intellektualistisch gefaßt werden darf, und
vor allem: wer denn die „Kirche" in Stapels Sinn ist.

| Ferner sucht Stapel seine bekannte Auffassung von den