Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1935 Nr. 4

Spalte:

68-69

Autor/Hrsg.:

Lortz, Joseph

Titel/Untertitel:

Geschichte der Kirche in ideengeschichtlicher Betrachtung 1935

Rezensent:

Lempp, Eduard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

67

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 4.

68

daß die Paulus-Briefe hiernach weit über der Länge der ■
sonstigen Briefe stehen, die meist nur ein Papyrusblatt
füllen. Als weitere Auffälligkeit gegenüber dem griechischen
Briefstil treten die Länge, in der Paulus sich und
seine Mitschreiber einführt, ferner die Vielheit der Adressaten
, die Erweiterung des Schlußgrußes u. a. m. Also
Paulus hält sich wohl an das übliche Schema des griechischen
Briefes nach Wesen und Anordnung, aber bildet
Eingangs- und Schlußformeln weit wortreicher um.
Wie bei den Griechen nicht Namensunterschrift, sondern
der eigenhändig zugesetzte Schlußgruß auch beim
diktierten Briefe Ende, Echtheit und Erkennbarkeit des j
Absenders anzeigt, so hält es auch der Apostel in allen
seinen Briefen. Der neutestamentliche Segensgruß „die I
Gnade ... sei mit Euch" war die paulinische Unterschrift
. — Das dritte Kapitel behandelt „Wandlungen
des paulinischen Formulars". Dabei beobachtet R. wie
Pauli apostolisches Selbstbewußtsein immer mehr wächst.
Auffallend ist die ziemliche Gleichförmigkeit der salu-
tatio, vielleicht ein Brauch auch beim mündlichen Vortrag
des Apostels. Im Schlußgruß hat Paulus eine vollere
und eine kürzere Formel; ähnliche gut getroffene
Feststellungen macht Verf. noch mehr. — Das vierte
Kapitel nimmt in einzelnen Exkursen Stellung zu häufig
aufgeworfenen Fragen, wie z. B. nach der Beteiligung
der Mitabsender am Briefinhalt, der Zugehörigkeit von
Kap. 16 zum Römerbrief, nach der Adresse des Ephe-
serbriefes.

Nur angedeutet kann der reiche Inhalt dieser Arbeit
werden, und man wird diesen Ergebnissen nur
dankbar zustimmen können. Wenn ich nun noch einige
Fragen aufwerfe und Fragezeichen setze, so mag das
nur ein Zeichen dafür sein, daß R.s Arbeit wie jede echte
wissenschaftliche Studie Lösungen gibt, um zu weiterer
Arbeit anzuregen. Legt man R.s Arbeit beiseite, dann
verfolgt einen die Frage: So gewiß die genannten Erweiterungen
auf des Apostels apostolisches Bewußtsein,
auf seine Auftragsautorität zurückgehen, — ist mancherlei
nicht aus dem hebräischen Briefstil zu erklären, überhaupt
aus Briefsitten der östlichen Länder? Hier sind
Untersuchungen, wie sie z. B. Schlatter und Lohmeyer
angestellt haben, noch fortzuführen. Ist wirklich das
Wachstum des apostolischen Bewußtseins aus den Inti- |
tulationes so einwandfrei festzustellen? Was R. auf >
S. 102 und 103 schreibt, spricht doch mehr dafür, daß I
dieses Stück des stereotypen Formulars gerade sich nach
den Situationen (cf. auch R. 145) ändert, so daß der j
vom Verf. aufgestellte Aufstieg, wie Philipper- und Phi-
lemonbrief zeigen, nicht stimmt. So richtig bei derartigen |
Untersuchungen die genaue Beobachtung all der rein |
äußeren Merkmale ist, man überspannt und überschätzt I
solche Methode, wenn man, wie z. B. S. 133 R. von I
Paulus aus verallgemeinernd, aus der Knappheit der j
Superscriptio, Adresse, Salutatio, und dem Schlußgruß
bei Jakobus auf dessen hohes Alter schließt. Über-
haupt überschätzt R. den äußeren Stilbefund für die Fra- i
ge der Echtheit. Die Stilentwicklung ist nicht so ganz |
ungebrochen; das zeigt sich neben dem oben Angeführ- j
ten noch in den Botenvermerken, die gerade bei den
Past. im Gegensatz zu anderen Briefen fehlen. Aber
auch von solchen Unebenheiten in dem von R. erkannten
Aufbau abgesehen, stellt R. doch selbst die Eigenarten
in den Past. auch in Titulatur, Adresse, Kontexteingänr
gen usw. fest. Nimmt man die ganzen anderen Bedenken j
gegen die Echtheit hinzu, so kann ich des Verf.s Ur- j
teil nicht zustimmen, „ist einer (Brief) echt, dann sind ;
sie es alle, ist einer gefälscht, dann ist das Urteil auch
für die andern 12 gegeben" (S. 124 u. ähnlich öfters). !
Eben weil auch in dem vom Verf. aufgestellten Stilent- j
Wicklungsschema die Pastoralbriefe eine ganz eigene <
Stellung als gesonderte Gruppe einnehmen, ist obiger i
Schluß R.s nicht zwingend. Gerade im stereotypen Formular
der Past. sind doch die Eigenarten nicht so gradlinig
in die Stilentwicklung einzuordnen. Die Frage nach
der Echtheit der Past. läßt sich auch auf diesem Wege !

nicht so glatt, wie Verf. es hinstellt, lösen. Aber das

alles ändert nichts an dem Wert der gründlichen, aufschlußreichen
Arbeit.

Breslau/(Frankfurt-Oder). Herbert Preisker.

Lortz, Prof. D. Dr. Joseph: Geschichte der Kirche in ideengeschichtlicher
Betrachtung. Eine Sitrodentung der christlichen Vergangenheit
in Qrundzfigeif. 3. Aufl. Münster i. W.: Aschendorff
1934. (XXIII, 434 S.) 8°. ,,,b. RM. 8.50.

Das Besondere an dem Buch ist neben dem, daß es
zunächst für we rde n de Abiturienten geschrieben
ist, namentlich das im Nebentitel angegebene, daß es eine
ideengeschichtliche Betrachtung, eine Sinndeutung
der christlichen Vergangenheit sein will. Aus
dem ersteren Grund seien die gewollt schulmäßigen Unterabteilungen
, der Kleindruck und da und dort der schul-
mäßige Ton zu erklären, diesem Grund verdankt wohl
auch das ausführliche Register seine Entstehung, das
in der Hauptsache Stichwortregister ist und dazu helfen
soll, den Ablauf der Geschichte nach selbstgewählten
Gesichtspunkten selbständig durchzuarbeiten, wozu freilich
jeder Literaturnachweis im Buche fehlt. Wichtiger
ist das andere, die ideengeschichtliche Betrachtung, was
der Verf. im Vorwort dahin auslegt, er wolle die Geschichte
selbst wiedergeben, aber so daß die Ideen als
die beherrschenden Kräfte hervortreten; er bestreitet,
daß das eine Art systematischer Theologie in historischer
Betrachtung, aber keine Geschichte sei. Aber indem die
oft nur ganz kurz berichteten, manchmal fast als bekannt
vorausgesetzten tatsächlichen Vorgänge sofort unter
die Beleuchtung der heutigen katholischen Dogma-
tik gestellt werden, drängt sich doch der Eindruck unwiderstehlich
auf, daß hier eine katholische Theologie
und Apologetik in historischer Betrachtung gegeben wird.
Dabei sei jedoch hervorgehoben, daß der Verfasser
sich durchaus bemüht, soweit seine katholische Brille
es ihm erlaubt, die Geschichte objektiv zu sehen; nirgends
verirrt er sich in verletzende Polemik, es fehlt
nicht an Anerkennung dessen, was von nichtkatholischer
Seite geschehen ist, das tritt besonders in der Beurteilung
Luthers und der Reformation hervor (Luther
wollte nicht Reformator werden, ein furchtbarer innerer
mit großem religiösem Ernst durchgehaltener Gewissenskampf
, den er um seines Seelenheilswillen kämpfte,
ließ ihn zum Reformator werden S. 245,3. Die Reformation
ist entstanden, weil die Deutschen das Bedürfnis
hatten und haben, fromm zu sein S. 240,7), auch
verschweigt er nicht die dunklen Flecken in der Geschichte
der katholischen Kirche (Inquisition unmenschliche
Anwendung brutaler Gewalt S. 279,1a Alexander
VI. die Schmach des Papsttums, der Papst der Simonie,
des Ehebruchs und des Giftes S. 223,4 b, die ruchlose
Tat der Batholomäusnacht S. 281,1b, Erzbischof Spie-
gel's zweideutige Behauptung S. 355,6), freilich hebt
er dabei immer die Entschuldigungsgründe und die
daneben bestehenden Lichtseiten stark hervor. Für den
Protestanten ist es ein interessantes Buch, das uns zeigt,
wie sich die Kirchengeschichte für einen sachkundigen,
wahrheitsliebenden Katholiken darstellt. Die Einteilung
der Kirchengeschichte ist die gewöhnliche in alte Zeit
bis zur Völkerwanderung, Mittelalter und Neuzeit,
die er nicht 1517, sondern 1450 mit dem Auftreten der
Renaissance und des Humanismus beginnen läßt und
bis 1929, in einem Nachtrag bis 1933 fortführt. Besonders
eingehend wird überall das Verhältnis der Kirche
zur Kultur besprochen und der Antipathie gegen allen
Liberalismus, Subjektivismus und Relativismus Ausdruck
gegeben. Das Ganze ist von dem Glauben an den sicheren
, wenn auch von Rückschlägen unterbrochenen Aufstieg
des Katholizismus getragen, wobei der Verf. namentlich
auf die Wiederaufraffung seiner Kirche im
16. und wieder im 19. Jahrhundert als Beweis ihrer
göttlichen Kraft und Sendung hinweist. Besonders interessant
ist der Nachtrag mit seiner vollen und freudigen
Zustimmung zum Nationalsozialismus Hitlers.