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Ausgabe:

1935 Nr. 3

Spalte:

55-56

Autor/Hrsg.:

Heimsoeth, Heinz

Titel/Untertitel:

Die sechs großen Themen der abendländischen Metaphysik und der Ausgang des Mittelalters 1935

Rezensent:

Konrad, J.

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 3.

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finden. Hier hätte die Verfasserin durch Kritik an Schi,
das Problem der Lösung näher führen sollen. Schi, ist
wohl auf dem Wege, die richtige Lösung zu finden.
Aber jenes „Gegenr-einander-halten" führt schließlich
doch nur zu einem Neben-einander einer rationalen Be-
griffskonstru'ktion und der empirischen Forschung, die
sich jener Konstruktion nicht fügen will. Die richtige
Methode würde erst gefunden sein, wenn die einen Geschichtsverlauf
erhellenden Ideen und Kräfte in immer
erneutem Ringen mit dem Stoff aus diesem selbst gefunden
würden. Die Verf., die Wehrungs zahlreiche Arbeiten
über Schi, mit Nutzen heranzieht, hätte hier W.s-
Arbeit über „die Haupttypen theol. Denkens in der
neueren Theologie" (Zeitsehr. f. syst. Theol. II, 1, 1924)
noch berücksichtigen sollen, besonders S. 76—94, zumal
sie die Schl.-Literatur in umfassender Weise kennt.
Hier ist der Hinweis auf die angedeutete Lösung gegeben
.

2. Schi, kennt keine supranaturalen Einbrüche in die
Geschichte; auch die Person Jesu setzt nach ihm das
durch, was Gott ursprünglich durch die Schöpfung als
eine Entwicklungskraft in die menschliche Gattung hineingelegt
hat. Dennoch durchbricht Schl.s Christusfrömmigkeit
häufig dies bei ihm deutlich ausgesprochene
rein immanente Schema seiner Geschichtsbetrachtung.

3. Das Problem, ob große Männer oder die „Masse"
die Geschichte bilden, löst er dahin, daß wohl die
großen Männer die Masse gestalten („organisieren"),
daß sie aber ihrerseits aus dem „allgemeinen Lebensquell
" befruchtet sind, so daß „in der Wechselwirkung
zwischen dem einzelnen und den allgemeinen Lebensbewegungen
" der „Geist der Geschichte" besteht. Auch
hiermit dürfte das Problem mehr aufgeworfen als gelöst
sein.

4. Das Ziel der Geschichte ist nach Schi, philosophisch
ausgedrückt der Triumph des Geistes über die
Natur, wenn die Natur Organ und Symbol des Geistes
geworden ist; in christlicher Formulierung „Durchdringung
des Lebens und der Lehre mit dem Geist Christi"
„mit dem Ziel einer völligen Verchristlichung der Welt"
(S. 64). Schi, hat einen optimistischen Glauben an einen
Fortschritt der Geschichte. — Er behandelt die Kirchengeschichte
durchaus als Teil der Weltgeschichte und
will sie nach derselben Methode wie diese bearbeitet
wissen. Aber inhaltlich weist die christliche Kirche das
Ziel der ganzen Menschheitsgeschichte auf. Eine Verderbnis
des Christentums entsteht nach Schi, aus dem
Fortwirken des Jüdischen und Heidnischen in das Christentum
hinein. — Auch hier könnte die Kritik weitergeführt
werden. Vielmehr ist es intellektuelle Schwäche
und besonders egoistische Verkehrung, aus der dauernd
von Neuem Trübungen des Christentums hervorgehen.
Schl.s Urteil, daß neue „Häresien" nicht mehr entstehen
, stellt sich angesichts der heutigen Strömungen in
Deutschland als ein geradezu ungeheuerlicher Irrrum
heraus.

Vielleicht beabsichtigte die Verf. am Schluß des
2. Teiles der Arbeit eine von Schi, aus weiter- und über
ihn hinausführende Kritik seiner Geschichtstheorie zu
bieten. Als gerechte Darstellung und als zuverlässiger
Führer in die Probleme hinein darf die vorliegende Arbeit
gelten.

Basel._J. Wendland.

Heiinsoeth, Prof. Dr. Heinz: Die sechs großen Themen der
abendländischen Metaphysik und der Ausgang des Mittelalters
. 2. durchges. Aufl. Berlin: Junker u. Dünnhaupt 1934. (XX,
310 S.) gr. 8°. RM 8—.

Die sechs großen Themen lauten: Gott und Welt:
Die Einheit der Gegensätze — Unendlichkeit im Endlichen
— Seele und Außenwelt — Sein und Lebendigkeit
— Das Individuum — Verstand und Wille. Warum sind
es gerade sechs? Warum gerade diese Themen? Was
bindet diese Themen zur Einheit des Begriffes „abendländische
Metaphysik" zusammen? Es ist schade, daß
H. darüber schweigt und uns diese philosophiege-

' schichtlich allerdings weitgehend berechtigte Auswahl
einfach als Tatsache unbegründet vorsetzt. H. begibt
sich damit zugleich einer systematischen Auswertung
seiner bedeutungsvollen und wichtigen Arbeit. Ja er
treibt damit nicht in dem strengen Sinne .Problemgeschichte
', wie dieser Begriff in der Gegenwart etwa
durch Cassirer oder Hönigswald gefordert wird, und
ja bereits bei Leibniz und Hegel vorhanden war. H.
treibt also nicht Philosophiegeschichte als Philosophie,
sondern er beschränkt sich darauf, an durchgängigen

' Problemen die geistesgeschichtlichen Wandlungen der

; abendländischen Metaphysik darzulegen. Er ist wesentlich
historisch am Strukturwandel dieser Probleme und
ihrer Lösungen interessiert, ohne dem gegenständlichen

1 Sinn dieser Wandlung nachzugehen.

Der Zusatz zum Haupttitel ,und der Ausgang des
Mittelalters' bestätigt das historische Interesse des Verfassers
an der richtigen und bedeutungsentsprechenden
Konstruktion der geistesgeschichtlichen Entwicklung der
abendländischen Metaphysik. In der Überschätzung der
italienischen Renaissancephilosophen für die Entwicklung
der neueren Philosophie, und in der Unterschätzung
der als ,Verfallszeit' voreilig charakterisierten Spätscholastik
sieht H. ein Vorurteil der Aufklärung, das endlich

! überwunden werden muß. Eckehart, Duns Scotus, Oc-
cam, Nikolaus von Kues werden in ihrer Bedeutung für
die metaphysische Entwicklung der Neuzeit einer wesentlich
positiveren Wertung unterworfen. In den wenig

j klar durchschauten Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit
fällt neues Licht. „Sucht man den Ursprung für

j das Neue in den metaphysischen Systemen der Neuzeit,
so darf man über den Propheten des 15. und 16. Jahrhunderts
nicht die Meister des 14. und der Wende vom
13. zum 14. und ihre wahren Nachfolger vergessen"

i (S. 10). H. redet auch gelegentlich von einer spezifisch

; deutschen mystisch metaphysischen Tradition, die von
Eckehart über den Cusaner und Paracelsus bis zu Leibniz
, Weigel und Böhme reichen soll, auch wenn sie sich

; nicht streng ,literarisch' nachweisen lasse. Den Beleg
für das Recht der Neuwertung des ausgehenden Mittel-

: alters erbringt die bereicherte Entwicklung der meta-

> physischen Probleme dieser Zeit.

Das theologisch bedeutsamste Ergebnis dieses Werkes
besteht wohl darin, von neuem dargelegt zu haben,

: wie in den metaphysischen Grundproblemen Mittelalter
und Neuzeit gegenüber der weitgehenden Andersartigkeit
der Antike zusammenstehen und damit der fundamentale
Einfluß des Christentums auf die geistige Haltung
einer fast zweitausendjährigen Geistesgeschichte
offenbar wird. Es ist interessant zu sehen, wie auch
christentumsfeindliche Philosophen wie Schopenhauer

i und Nietzsche der mächtigen Tradition dieser christlichen
Metaphysik sich nicht zu entziehen vermochten.

H.s Buch ist in einem klaren durchsichtigen Stil
geschrieben. Jeder Quellen- und Literarurverweis ist
vermieden. Das erhöht die Lesbarkeit, erschwert aber
auch die Nachprüfung des Behaupteten und ist für ein
wissenschaftliches Werk wie das vorliegende doch bedenklich
. Der Verfasser fordert viel Vertrauen vom Leser
: er wählt die Themen aus, ebenso wie die Philosophen
, die sie behandelt haben, bezw. die er behandeln
will. Natürlich, die Geschichte belegt das Recht dieser
Auswahl, wenigstens in den meisten Fällen; aber wenn
von solchen Belegen bei H. selbst so gut wie nichts
gegeben wird, wird man das Gefühl einer gewissen Willkür
nicht los.

Diese Anmerkung soll den Wert dieser gründlichen

j und klaren Durchblicke durch die Hauptprobleme unserer
abendländischen Metaphysik nicht schmälern. Es

i ist eine Arbeit umfassenden historischen Wissens und
tiefgründigen Beherrschens der Probleme, und wird gerade
in ihrer systematischen Ungebundenheit der üe-

; schichte und der Systematik sehr bedeutsame Dienste
leisten können.

Breslau. J. Konrad.