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Ausgabe:

1935 Nr. 3

Spalte:

51-53

Autor/Hrsg.:

Stumpf, Johannes

Titel/Untertitel:

Chronica vom Leben und Wirken des Ulrich Zwingli 1935

Rezensent:

Muralt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 3.

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nie den Pharisäern ein Pharisäer geworden" (S. 77) —
vgl. Paulus I Cor. 9,20. Paulus scheint für den Verf.
ein Verfälscher der Christusbotschaft zu sein — wenn
es auch nicht offen gesagt ist. — Die Ethik Jesu wird
vom Verf. idealistisch gedeutet; es genügt, wenn ich dazu
anführe, daß er in Luc. 17, 7ff. Jesus als Vorläufer des
kategorischen Imperativs Kants feststellt. Man vergleiche
dazu Bultmanns Darstellung der Ethik Jesu. — Das
betrüblichste ist m. E. der letzte Abschnitt über Gott
als „der Richter des gerechten Ausgleichs". Ich möchte
hier nur die Titel der Unterabschnitte anführen: 1. Entschädigung
für die jetzt Benachteiligten. 2. Entschädigung
für freiwilliges Entsagen. 3. Vergeltung für Worte
und Taten. 4. Fluch und Segen. 5. Keine Sühne durch
Jesu Tod. — Vom Gerichtsernst bleibt damit nichts
übrig.

Abschließend muß festgestellt werden: das Gottesbild
Jesu, das uns in einer einmaligen Einzigartigkeit
und Größe im N.T. begegnet, ist im vorliegenden Buch
sowohl seiner Einzigartigkeit, als seiner Größe beraubt.

Göttingen. _H. Seesemann.

Bonner, Campbell: A Papyrus Codex of the Shepherd of
Hermas (Simibitudes 2 — 9). With a fragment of the mandates.
Ann Arbor Mich. U.S. A.: University of Michigan Press 1934. (XI,
137 S. u. 5 Taf.) Lex. 8". = University of Michigan Studies, Huma-
nistic Series, Vol. XXII.
Unter den zehn oder elf Papyrus- und Pergamentbruchstücken
aus dem Hirten des Hermas, die seit
1891 nach und nach ans Licht getreten sind, ragt der
Codex der Universität von Michigan an Umfang, Alter
und Güte hervor. Ihm gilt die vorliegende Ausgabe,
die alle Vorzüge ähnlicher in Amerika erscheinender
Veröffentlichungen zeigt und glänzende Ausstattung mit
gediegenem Inhalt verbindet.

Die Einleitung erzählt von der Erwerbung der Handschrift
und beschreibt ihren äußeren Zustand, wobei
lehrreiche Bemerkungen über die Art der Papyrusbücher
an sich abfallen. Der ganze Text ist von einer Hand
geschrieben, wenn auch später von anderer Seite an
verschiedenen Stellen verbessert. Die Schriftzüge weisen
ans Ende des dritten Jahrhunderts.

S. 18—22 handeln über Rechtschreibung, Satzzeichen
und Sp'rachform, S. 22—31 von dem Verhältnis unserer
Handschrift zu den anderen Zeugen für den Hermastext.
Dann folgt auf ein Verzeichnis der benützten Literatur
ein selten- und zeilenweise genauer Abdruck des Codex
mit Ergänzung der in Verlust geratenen Buchstaben.
Unter dem Strich fügen Noten den textkritischen Apparat
sowie das Nötigste zum Verständnis bei. Das Ende
bildet ein Wortindex, und auf vier Tafeln erscheinen einzelne
Seiten in photomechanischer Wiedergabe.

Heute umfaßt die Handschrift nur noch Sim. 2,8
bis 9,5. Aber wir stehen vor der interessanten Tatsache
, daß sie ursprünglich keineswegs den ganzen Hirten
enthalten hat, sondern nur Mandata und Similitu-
dines, dazu als Einleitung die 5. Visio. Dieser Teil des
Ganzen ist offenbar im 3. Jahrhundert in Ägypten als
selbständiges Werk umgelaufen.

Es ist zu bedauern, daß auch dieser Fund den fehlenden
Schluß des griechischen Hermas nicht wieder
zu Tage gefördert hat. Aber die Hoffnung, daß wir
ihn noch einmal erhalten werden, belebt sich angesichts
der schönen Ausgabe aufs neue.

Göttingen. W.Bauer.

Stumpf, Johann: Chronica vom Leben und Wirken des
Ulrich Zwingli. 2., stark erweit. Aufl. Hrsg. von L. Weisz.
Zürich: Reformierte Bücherstube 1932. (222 S. m. 4 Taf.) 8°. =
Quellen u. Stud. z. Gesch. d. helvetischen Kirche, 1. RM 4,80 ; geb. 6 —.

Sprüngli, Bernhard: Beschreibung der Kapellerkriege. Auf
Grund des 1532 verfaßten Originals erstmals hrsg. von Dr. Leo
Weisz. Ebda. 1932. (64 S.) 8". = Quellen u. Stud. z. Gesch. d. helvetischen
Kirche, 2. RM 2.80.

Leo Weisz eröffnet durch die beiden Publikationen
eine Sammlung, die für die Geschichte der reformierten
Kirche in der Schweiz nützlich zu werden verspricht,

! da sie fühlbare Lücken ausfüllen möchte. Von der
i reichen zürcherischen Historiographie der Reformationszeit
waren bisher nur die Reformationschroniken von
Heinrich Bullinger, Bernhard Wyss und Laurencius Bosshart
veröffentlicht. Da aber gerade die ausführliche
Darstellung Bullingers erst dreißig Jahre nach den Ereignissen
auf Grund der Akten, Briefe und älterer Aufzeichnungen
niedergeschrieben worden war, war es für
; die schweizerische reformationsgeschichtliche Forschung
notwendig geworden, die handschriftlichen Chroniken
und chronikalischen Aufzeichnungen heranzuziehen, ganz
besonders das große Werk von Johannes Stumpf, das
unmittelbar nach dem Tode Zwingiis geschrieben worden
war. Anläßlich der Katalogisierung der Handschriften
der Zentralbibliothek Zürich hatte E. Gagliardi erneut
darauf aufmerksam gemacht. Eine Ausgabe dieses
Werkes war also sehr erwünscht. Leider liegt aber eine
wissenschaftliche Edition noch nicht vor. W. stellt in
seiner Ausgabe die Abschnitte der Handschrift A 2 zusammen
, welche über das Leben und Wirken Zwingiis
| handeln. Als Rahmen verwendet er die kurze biblio-
! graphische Biographie, welche Stumpf nach seinem auf-
' schlußreichen Bericht über die Schlacht bei Kappel und
! Zwinglis Tod seinem Werk eingefügt hat. Damit wird
| der gedruckten Ausgabe von Stumpfs Werk der Charak-
! ter der allgemeinen Reformationschronik genommen. Im-
| merhin ist die Auswahl insofern berechtigt, als Stumpf
[ selber das Leben Zwinglis als roten Faden seiner Darstellung
im Auge hat. W. hat allerdings den dafür entscheidenden
Passus weggelassen:

„Da man zalt 1519 jar in anfang diss jars ist Huldrich Zwinglin
(ein meyster der geschrifft vom Wildenhuss uss der Graffschafft Dockenburg
pürtig, der hievor zu Glariss und Einsidlen pfarer gewesen was)
gon Zürich zu eym pfarrer zum großen münster berueft und angenommen
worden. Und uff den ersten tag januarij an dem nüwen jars tag
ist er angestanden, hat angefangen den euangelisten Matheum nach Ordnung
zu predigen, hart sich glych uff des Luthers meynung begeben
und mit im angefangen wider das bapstumb zu leren, predigen und
schryben als fast als der Luther. Er hatt anfencklich ein Truckery zu
Zürich durch besonderen flyss Christoffel Froschowers eynes burgers und
truckers uffgebracht, vil buecher geschriben, welche du hernach im nün-
den buch am 627 blat in eyner Ordnung gemeldet finden wirst. Syn
ler und anhangk ward ouch lutherisch genempt. Es erwuchs daruss gross
uneynikeit in der Eidgnoschafft, darvon du hernach hören wirst, unnd
diewyl dises manns leer, predig, handlung, leben, schryben und end
nach der lenge erzelt wirt, jeglichs an synem ort, so will ich hie allein
syn ankunfft gon Zürich angezeugt habenn. . ."

Dagegen hätte W. ruhig den Bericht über die Disputation
von Ilanz'oder den Sacco di Roma innerhalb des
von ihm vorgenommenen Rahmens weglassen dürfen.
Der Druck ist wortgetreu, in der Orthographie jedoch
etwas modernisiert. Die Anmerkungen geben reichliche
Literaturnachweise.

W. übersieht, daß Stumpf S. 137 irrtümlich den Speyrer Reichstagsabschied
von 1526 unter dem Jahre 1529 erwähnt, dagegen von der
Protestation nichts berichtet. Anm. 85 ist ungenau, es sollte heißen Neff
statt Naef, 1925 statt 1924.

Die Beschreibung der Kappelerkriege von Sprüngli
wurde ebenfalls von E. Gagliardi entdeckt. Die Darstellung
ist vor allem wertvoll durch die genauen Angaben
über das militärische Versagen der Zürcher bei Kappel
am 11. Oktober 1531. Daneben nehmen aber die abschritten
der offiziellen Dokumente — die beiden Landfrieden
u. a., die längst in den Eidg. Abschieden zugänglich
sind — einen breiten Raum ein. Ein scharfes
Schlaglicht in die kritische Situation Zürichs nach dem
Tode Zwinglis wirft die mutige Predigt Leo Juds, welche
die reformationsfeindlichen Tendenzen gewisser politischer
Kreise aufdeckt.

Inzwischen hat L. Weisz weitere bisher ungedruckte
Quellen zur schweizerischen Reformationsgeschichte herausgegeben
. Da sie in Zeitschriften versteckt sind, möchten
wir sie hier verzeichnen:

Die Geschichte der schweizerischen Glaubenskämpfe nach Ludwig
Edlibach. (Neue Heidelberger Jahrbücher 1932, S. 64—81).

Die Geschichte der Kappelerkriege nach Hans Edlibach. (Zeitschrift
für Schweiz. Kirchengeschichte 1933, S. 82—108, 270-287).