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Ausgabe:

1935

Spalte:

31-32

Autor/Hrsg.:

Byloff, Fritz

Titel/Untertitel:

Hexenglaube und Hexenverfolgung in den österreichischen Alpenländern 1935

Rezensent:

Vorwahl, Heinrich

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3]

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 2.

32

gänzliche Abschaffung des kath. Gottesdienstes zu erzielen
von Erfolg begleitet waren. Den Bemühungen der
Evangelischen aber, nach dem Passauer Vertrag, das
ev. Kirchenwesen neu aufzubauen, war dadurch schon
eine große Stoßkraft genommen, weil der Rat keine geeignete
Persönlichkeit fand, der dies Werk anvertraut
werden konnte, weil im evangelischen Teile des Rates
keine Geschlossenheit herrschte. Erst 1556 fand sich
im Straßburger Prediger Ludwig Rabus aus Memmingen
ein geeigneter Mann. Er hatte mit großen Schwierigkeiten
zu kämpfen. Denn einerseits waren die Vollmachten,
die ihm der Rat gab, beschränkt genug. Wie in andern
Reichsstädten wollte der Rat auch hier die letzte Entscheidung
sich vorbehalten. Andrerseits waren die oberdeutsch
-schweizerischen Einflüsse — hatte doch einst j
Sam hier gewirkt —, noch stark genug, war Ulm das
refugium der Wiedertäufer und Schwenkfelder lange
Zeit. Nicht umsonst war Seb. Frank 1534 Bürger von
Ulm geworden. Es ist ein gutes Zeichen für die Energie
des Superintendenten Ludwig Rabus, wenn es ihm gelang
nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Haltung der
Gemeinde den Anschluß an das Luthertum zu finden
und dieses Leben wie der Verfasser zeigt, sich kräftig
bewies bis zum Beginne der Neuzeit. Wenn auch dabei
das Württembergische Vorbild maßgebend war, das
Ziel, das sich Rabus stellte, ward erreicht. Möge die ;
schöne Gabe heimatlicher Forschung überall die ihr ge- !
bührende Achtung finden.

Nürnberg. K. Schornbaum.

Byloff, Prof. Dr. Fritz: Hexenglaube und Hexenverfolgung in
den österreichischen Alpenländern. Berlin: W. de Gruyter& Co.
1934. (XIV, 194 S.)gr. 8°. = Quellen z. deutschen Volkskunde. Hrsg.
von V. v. Geramb u. L Mackensen. 6. H RM 13—.

Wenn man bei so modernen Verkehrsmitteln wie Automobil
und Flugzeug kaum ein Fahrzeug ohne einen
grotesken Fetisch findet, wird deutlich, daß die seit Ur- j
zeiten im Volke lebende Zaubergläubigkeit bis in die j
Gegenwart hinein lebendig ist. Durch Riezlers bahn- i
brechende Geschichte der Hexenprozesse in Bayern aber !
ist von diesem volklichen Glaubensbestand der Zau-
berei der Hexen-Teufelsglauben unterschieden, dessen
Lehre von der eiskalten Natur des Teufels zeigt, daß
sie nichts Bodenständiges ist. Hatte noch Grimm im
Fortwirken alter heidnischer Feste die Erklärung für
die Sabbatgeständnisse der Hexen gesehen, so wird
hier die einleuchtende Vermutung ausgesprochen, daß
die Kultformen der Spriiigersekte die Sabbatvorstellung
in Untersteiermark volkstümlich gemacht haben. Wenn
man heute gern die Kirche mit dem Odium des Hexenglaubens
belastet, ist hier die wiederholte Beobachtung
von Interesse, daß gerade die Beichtväter auf Grund
ihrer psychologischen Erfahrung die Richtigkeit der von
den Juristen erpreßten Geständnisse bezweifeln. Mehrfach
sind Pfarrer selbst wegen Mißbrauchs der Messe
hingerichtet oder geben der Klage Raum, daß sie bei i
Predigten gegen das Hexenwesen persönlich an Leben
und Gesundheit gefährdet sind. Ja, der Fürstbischof
Georg Golser von Brixen schaffte den Inquisitor Insti-
toris zum Lande hinaus und schrieb von ihm 1486: „er
bedunckt mich propter Senium gantz chindisch sein worden
." Die Ähnlichkeit der Anwürfe gegen die Hexen
mit den angeblichen Greueln der Juden bei ihren Gottesdiensten
legt dem Verf. die massenpsychologische Erklärung
nahe, daß die Hexenverfolgungen eine bequeme
Ableitung der Volkswut bei Unglücksfällen aller Art
waren. Zu ihren Voraussetzungen gehörte allerdings
auch ein Richterstand, für dessen Handein nicht mißleiteter
Gerechtigkeitssinn die Triebfeder war, sondern Gedankenarmut
und nicht zuletzt der Erwerbsbetrieb, der
bei karger Besoldung die Verdienstinöglichkeiten zu steigern
suchte.

So hat der Verfasser aus dem in langjähriger Forscherarbeit
zusammengetragenen Material öffentlicher

und privater Archive ganz neue Gesichtspunkte gewonnen
. Abgesehen von der wichtigen Bedeutung der Prozeßakten
als Fundgrube für volkliche Anschauungen
über Zauberei und Medizin erhalten wir zum ersten Mal
eine historisch begründete Statistik der Prozesse und
ihrer Opfer, die Byloff unter Einbeziehung der durch
Aktenverlust unbekannt gebliebenen Fälle auf rund 5000
für die österreichischen Alpenländer berechnet, gab es
doch in dem Riesenprozeß von 1675 allein 140 Todesopfer
! Er zeigt ferner, daß die geistige Seuche aus dem
geschlossenen deutschen Stammesgebiet von Westen und
Norden in die Bergländer gelangt ist. Eine Kurve über
ihr Wüten während dreier Jahrhunderte verdeutlicht das
ungeheure Anschwellen von 1670 bis 90 und den plötzlichen
Abfall unter dem Einfluß der Aufklärung. So ergänzt
die neue Arbeit des um die Volkskunde0 verdienten
Juristen nicht nur die Ergebnisse Riezlers, sondern
kann als eine mustergültige abschließende Darstellung
dieses dunklen Kapitels schlechthin bezeichnet werden.

Quakenbrück. H. Vorwahl.

Zoepfl, Prof. Dr. Friedrich: Dr. Benedikt Peuger (Poiger). Ein

Beitrag zur Geschichte der kirchlichen Aufklärung. München: J.
Kösel&F. Pustet 1933. (X, 70 S.) gr. 8°. = Münchener Stud. z. hist.
Theologie. Hrsg. in Verbindg. m. E. Eichmann, M. Grabmann u. E.
Weigl von G. Pfeilschifter. Fortführg. d. „Veröff. a. d. Kirchenhistor.
Seminar München". H. 11. RM 2.60.

Verfasser dieser kleinen, aber für die noch zu schreibende
Geschichte der Aufklärung in der katholischen
Kirche wertvollen, Studie ist weiteren Kreisen durch seine
deutsche Kulturgeschichte (I, 1927; II, 1930), den
Reformationshistorikern besonders durch seine Monographie
über Joh. Altenstaig (1918) bekannt; durch
seine Eustathios-Forschungen ist er auch den Lesern
dieser Zeitschrift bereits bekannt (1929, 591). Er macht
hier aufmerksam auf einen bisher unbekannten kathol.
Gelehrten und Pfarrer, der bei aller scharfen Kritik an
der Lehre und Praxis seiner Kirche auf dem Boden des
Dogmas bleiben wollte und auch schließlich blieb, den
man also in neuerer Sprache einen katholischen Reformer
, nicht Modernisten, nennen würde; einen literarisch
und seelsorgerlich überaus fleißigen Theologen, der nicht
in verneinender Kritik sich erschöpfte, sondern immer
auch positive Vorschläge zur Behebung von Mißständen
machte.

Peuger, geb. 1755 in Kossen (Bezirk Kitzbühel, Tirol), Student in
Salzburg u. Innsbruck, 1777 Mitglied des Chorherrenstifts St. Zeno in
Reichenhall u. Polling, 1778 Priester, Dozent und Bibliothekar, 1781
auch noch Klosterpfarrer von St. Zeno, Ende 1791 Prof. am Lyzeum
in München, resignierte 1794, trat aus dem Stifte aus, wurde Weltgeistlicher
in Kirchdorf (Tirol), bald darauf in seinem Heimatort Kossen,
1800 wieder in Kirchdorf, 1813 Pfarrer von St. Anna bei München,
1818 Dr. theol , 1825 im Ruhestand, f 1832 in München. — Peuger,
so lautet am Ende der Lebensbeschreibung (1. Abschnitt) das Urteil über
seinen Charakter, war kein in sich gefestigter Charakter; er ließ sich
von den Zeitströmungen um ihn und von Gefühlen in ihm leiten ; unausgeglichene
Gegensätzlichkeiten walteten in ihm, weshalb er in seinen
späteren Jahren manches gelobt und gefördert hat, was er früher
aufs schärfste bekämpft hatte. Auch in seiner sozialen und politischen
Einstellung war er sehr wandlungsfähig. Seine Stärke lag nicht im
Charakter, sondern in seinem rastlosen, ehrgeizigen Schaffensdrang und
in seinem weltoffenen Sinn fürs Praktische. — Der 2. Abschnitt zählt
seine überaus zahlreichen Schriften auf, die fast alle ins Gebiet der
praktischen Theologie, der religiösen Volkskunde und der Übersetzertätigkeit
fallen. Er hatte eine förmliche „Publikationswut" und griff
darin schließlich ebenfalls zu bedenklichen Mitteln. Der größte Teil
seines handschriftlichen Nachlasses und seiner Bücherei ist leider beim
Kriegsbrand seines Pfarrhofes in Kirchdorf zerstört worden. — Der Dritte
(Schluß-) Abschnitt zeichnet fesselnd, sachlich und gerecht, Peugers
Stellung im Geisteskampf der Aufklärungseit. P- war kein Bahnbrecher
seiner Bewegung, aber ein feuereifriger Praktiker dieser Bewegung.
Einen „ausgesprochenen Rationalisten" (S. 53) möchte ich ihn nicht
nennen, aber einen vielfach einseitig rationalisierenden Reformer. — Von
den wenigen Druckfehlern sei hervorgehoben : Der S. 59 (66) genannte
Jesuit hieß Busembaum ; S. 62, Anm. 262 lies „Erschlagenen".
Tettnang, Württ. Wilhelm Koch.