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Ausgabe:

1935 Nr. 26

Spalte:

478-480

Titel/Untertitel:

Die Nation vor Gott 1935

Rezensent:

Eger, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 26.

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lieh hart eingriff, Martin Bu'tzer geheiratet. Die mutige
und umsichtige Entschlossenheit und die überlegene
Klugheit dieser eigenartigen Frau tritt in ihren Briefen
an Butzer sehr deutlich heraus, etwa in dem so bezeichnenden
Brief aus dem vorderösterreichischen Mineralbad
Hub von 1550 (Nr. 1006); vgl. zu ihr jetzt E. St ä heiin
, Frau Wibrandis. Bern, üotthelf-Vlg., 1934.

Auf den von Nr. 452 bis Nr. 1029 die Texte umfassenden
Teil des Bandes (S. 1—868) folgen Nachträge
und Berichtigungen (869—872) zu beiden Bänden; ihre
geringe Anzahl ist ein augenfälliges Zeugnis für die
Sorgfalt und Gründlichkeit der Bearbeitung der Texte
selbst. Ein umfangreiches Register (873—S97) beschließt
den stattlichen Band, zu dessen Vollendung man den
Bearbeiter ebenso wie die Reformationsgeschichtsschrci-
bung wirklich beglückwünschen darf.

Halle a. S. E. Wolf.

Herntrich, Volkmar: Neuheidentum und Christenglaube.

Gütersloh: C. Bertelsmann 1935. (126 S.) 8°. kart. RM 2.20.

In der Fülle der Schriften, welche heute von christlicher
Seite über die neuheidnischen deutschen Bewegungen
geschrieben werden, hat auch dies Buch seine Sondernote
und auch seinen Sonderwert. Der erste Wert
besteht darin, daß es scharf die Fronten herausarbeitet
und aufzeigt, daß es wirklich um ein Entweder-Oder
zwischen dem Neuheidentum und dem Christenglauben
geht. Der Inhalt beider, des Neuheidentums und des
Christenglaubens, wird gut und ohne Schiefzeichnung
dargelegt Der zweite Wert des Buches ist der Nachweis,
daß die prophetische Religion des Alten Testaments als
die Voroffenbarung üottes und daß die Christusbotschaft
im Gegensatz gestanden haben und stehen zu aller jüdischen
Religion des Volkes und der Priester. Paulus
selbst war den Juden und sogar den Juden Christen
ein Greuel. Und so kommt der Verfasser zu der prägnanten
Formulierung: „Deutschgläubige und Juden stehen
im Kampf gegen Christus in der gleichen Linie"
(S. 97). Der dritte Wert des Buches besteht in dem
Nachweis, daß der moderne „Deutsch"-Glaube kein
Recht hat, sich auf die Religion unserer vorchristlichen
Vorfahren zu berufen. Diese war viel ernster als der
Deutschglaube und hatte ein völlig anderes Gepräge.

Eine unnötige Belastung des Buches ist seine Polemik
ge°en die Deutschen Christen. Mag man an ihnen
viel auszusetzen haben, warum in dieser Schrift gegen
sie polemisiert werden muß, ist nicht einzusehen. Dabei
mag ganz dahingestellt bleiben, ob alles, was über
die Deutschen Christen gesagt ist, richtig ist oder nicht.
Hier handelt es sich nur um die Tatsache der Polemik
selbst, die nicht am Platze ist in einer solchen Schrift.
Berlin. Johannes Witte.

S c Ii 1 a u c k, Siegfried: Die Not der Konfirmationspraxis im
Lichte jugendpsychologischer Erkenntnisse. Berlin: W. de
Oruyter & Co. 1935. (96 S.) gr. 8°. = Studien z. Geistesgesehichte
u. Kultur. 3. H. RM 2.80.

Vor einigen Jahrzehnten wurde man auf die Mängel
und Gefahren der Konfirmationspraxis aufmerksam und
verhandelte lebhaft darüber. In letzter Zeit ist dieses
Problem etwas in den Hintergrund getreten, jedenfalls
ist man seiner Lösung nicht nähergekommen. So ist es
notwendig genug, daß es einmal im Zusammenhang j
durch dieses Buch aufgerollt wird, — wenn auch
zur Lösung nicht viel geboten wird. Schlauck stellt die
Ergebnisse der bisherigen Feststellungen und Untersuchungen
, soweit sie literarischen Niederschlag gefunden
haben, gut zusammen, wertet sie von einer maßvollen
Strukrurpsychologie her und sucht unter Zuhilfenahme
eigener Beobachtungen, die er im freien Verkehr
mit der Jugend gemacht hat, ein zusammenfassendes
Bild zu geben. Dem niederdrückenden Ernst dieses Gesamtbildes
darf sich der Pfarrer umso weniger entziehen
, als der Verfasser nicht etwa ein rein weltlicher Ex-

perimentalpsychologe., sondern ein bewußter, mit der
modernen Theologie vertrauter evangelischer Christ ist.
Doch sehen wir manches anders und einiges günstiger
. Das kann hier nicht im einzelnen begründet
werden, doch seien zwei Hauptgesichtspunkte erwähnt:
Erstens beschränkt sich der Verfasser auf die Betrachtung
des religiösen oder nicht religiösen Einzelindividuums
. Zweitens berücksichtigt er die durch den nationalen
Umschwung geschaffene Lage nicht; ein Buch über
Jugendliche, das die Jahreszahl 1935 trägt und weder
die HJ noch die aufs tiefste eingreifenden politischen
und weltanschaulichen Probleme noch Rosenberg und
Deutschglauben erwähnt, hat ein Manko; auch die Arbeiterjugend
wird so behandelt, als wenn sie marxistisch
wäre. Die Ergebnisse Schlaucks, die sich — im Gegensatz
zu den in den Untersuchungen sonst bevorzugten
geistig und seelisch Hervorragenden — auf den Durchschnitt
beziehen, sind u. a. die folgenden:

Die körperliche Entwicklung gelangt in das Stadium der sexuellen
Reifimg und behindert oft sehr stark das religiöse Werden. Die intellektuelle
Entwicklung erfährt eine starke Verminderung ihrer Schnelligkeit,
beim Landkinde ist sie gegenüber dem Stadtkinde noch weiter zurück.
Der Intellekt hat gegenüber der religiösen Reifung aber einen Vorsprung
und hindert sie nicht selten. Das religiöse Werden wird durch den
Mangel an geeigneter persönlicher Führung, durch eine vielfach auftretende
Verhärtung des Gemütslebens gegenüber religiösen Eindrücken,
durch die unzulängliche Möglichkeit innerer Beteiligung am Gottesdienst
der Gemeinde an kontinuierlicher Entfaltung gehindert. Der Legalismus
und Eudämonismus, die mangelnde Sündenerkenntnis infolge starker
Selbstgerechtigkeit und das geringe Verständnis für Gemeinschaft und
Kirche und inneres Widerstreben gegenüber dem Leben in der Heiligung
bieten innere Schwierigkeiten und hindern ihrerseits die Kontinuität.
Die Umgebung versagt in den allermeisten Fällen in der Förderung
religiöser und kirchlicher Erziehung. Die ethische Reifung ist meistens
autonom vorgeschritten und nicht religiös fundierte Sittlichkeit, sondern
Moral geworden, es fehlt ihr die bestimmte Prägung, und sehr oft ist
sie nicht imstande, dem ins Leben Tretenden einen genügend starken
inneren Halt zu geben. Aber schon im Konfirmandenalter treten die
Konflikte mit der Außenwelt und den erlernten Malistäben hervor und
bedeuten eine Gefahr in der Zeit zwischen Niederbruch und Neubau.
Die kirchliche Unterweisung im Konfirmandenunterricht hat also in
jeder Hinsicht mit sehr bedeutenden Hindernissen zu kämpfen, und es
ist bei der Verwurzelung aller inneren Hemmnisse in der Reifung des
jungen Menschen, also der Naturnotwendigkeit und Unausweichlichkeit
dieser Erscheinungen, nach menschlichem Ermessen in den allermeisten
Fällen überhaupt nicht mit einem größeren positiven Erfolge der Unterweisung
und scelsorgerlichen Beeinflussung zu rechnen; die Annahme,
daß es sich um die Erreichung eines gewissen Abschlusses der religiösen
Entwicklung handeln könne, erweist sich als durchaus irrig. Das religiöse
Werden befindet sich vielmehr bei den allermeisten erst in den Anfangsstadien
. Bei einem großen Teil der Konfirmanden findet sich überhaupt
kein Bewußtsein für den inneren Wert von Konfirmation und Erstkommunion,
sie hinterlassen überhaupt keine Spur religiöser Beeindruckung oder
seelischer Beeinflussung. Auch selbst dann, wenn unter besonderen Verhältnissen
eine Erinnerung an die Konfirmation auftaucht, ist durchaus
noch keine Gewähr für eine heilvolle Beeinflussung durch das Konfir-
mationserleben gegeben. Durch den Kampf um innere Wahrhaftigkeit
gegenüber den Forderungen der Konfirmation entsteht bei ernsten Charakteren
ein innerlicher Bruch, der Ansätze zur religiösen Reifung leicht
vernichten kann. So bleibt nur ein kleiner Teil von Konfirmanden in
der glücklichen Lage, von der Einsegnung eine Förderung der religiösen
Entwicklung zu erfahren ; für die allermeisten bedeutet die heutige Konfirmationspraxis
eine große Gefahr für ihr religiöses Wachstum.

Den Ausweg oder wenigstens die Linderung der Not sieht Schlauck
in der Rückwandlung in die katechetische Form ; das bindende Versprechen
müsse fallen ; die Vorbereitung dürfe nicht zu seelischer Erschütterung
führen, sondern habe stark und freudig zum Bekenntnis der Väter und
zur Gliedschaft an der Kirche der Reformation zu machen. Besonders —
und darin wird ihm jeder zustimmen — müsse eine religiöse Weiter-
führung der Konfirmierten erfolgen.

Heidelberg. Wilhelm Knevels.

Künneth, Priv.-Doz. Lic. Dr. Walter, und Prof. D. Dr. Helmuth
Schreiner: Die Nation vor Gott. Zur Botschaft der Kirche
im Dritten Reich. 4.,veränd. Aufl. Berlin : Wichcrn-Verl. 1934. (550 S.)
8°. Studienausg. kart. RM 6 - ; geb. 7.20.

Das Buch hat bei seinem Erscheinen einem starken
Bedürfnis entsprochen; von Pfingsten 1933 bis September
1934 sind 4 Auflagen notwendig geworden. Begonnen
schon vor dem politischen Umbruch ist es darum