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Ausgabe:

1935 Nr. 23

Spalte:

419-420

Autor/Hrsg.:

Braun, Friedrich

Titel/Untertitel:

Joh. Tennhardt 1935

Rezensent:

Schattenmann, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 23.

420

letzt, nachdem man das Büchlein, welches unermüdlich
Einblicke über Einblicke durch Stellenzitate aus Taulers
Predigten bereitet, gern gelesen hat, es nicht aus der
Hand, ohne Dankbarkeit für die Freude der Verfasserin
an der religiösen Gesundheit Taulers, die
ja hier nicht um Luthers willen, aber um so mehr für
Luther gewürdigt ist, zu empfinden, und nicht, ohne
selbst von neuem aus diesem Gesundheitsborn Taulers
gestärkt zu sein.

Im übrigen ermangelt aber die Arbeit einer festen
frömmigkeitsgeschichtlichen Methode, die uns zu einem
solchen Unternehmen, das doch wissenschaftlich Neues
schmieden wollte, unentbehrlich erscheint. In der Art
und Weise, wie immer wieder versucht wird, den
praktischen Tauler nicht nur von dem „philosophischen"
Eckhart (Seite 51), sondern eigentlich doch von der
gesamten Mystik abzusetzen (vergleiche auch Aufbau
und Kapitelüberschriften der Arbeit!), zeigt sich ein
methodisch-falscher Ausgangspunkt. Das Ziel der Verfasserin
koninte nur erreicht werden, das Ziel nämlich,
Tauler und die Mystik religionsgeschichtlich weil frömmigkeitsgeschichtlich
scharf gegen einander abzugrenzen
—, wenn erst einmal derselbe Befund bei sämtlichen
großen und auch einfacheren Mystikern des zunächst
nur deutschen Sprachrahmens gesucht wurde. Bei R u y s-
broeck wäre eine noch viel deutlicher hervortretende
Pro- und Contrastellung des erfahrenen Mystikers
zu seiner eigenen Sache aufzuzeigen gewesen, als es
hier bei Tauler geschieht. Wirklich durchgeführte Vergleiche
gehören methodisch an den Anfang solcher Untersuchungen
, nicht ans Ende. Hier fehlen sie ganz.
Ans Ende wäre ein möglichst detailliertes Vergleichsergebnis
und die daraus etwa gewonnenen neuen Tatsachen
einer Selbstgeschichtsschreibung der Mystik aus
dem Mund aller deutschen Mystiker zu setzen gewesen.
Nicht bei Tauler, bei Eckhart liegen doch — nicht
nur zeitgemäß — die größeren Arbeitsstoffe, gerade
auch frömmigkeitsgeschichtlich. Will man aber den
wundervollen Reichtum gerade Taulers neu erschließen,
so sollte man beachten, daß bei ihm, ebenso wie Frömmigkeit
und Literatur nicht gegeneinander, sondern
neben- und miteinander, so auch Christentum und
Mystik ineinander gekommen und uns überkommen
sind!

Auch unter Berücksichtigung dessen, daß die Taulerstudien
in den Leipziger „Kulturgeschichtlichen
Beiträgen" erschienen sind, darf die Kritik es nicht
unterlassen, den Hinweis darauf zu legen, daß doch sehr
wohl, anstatt der doch auch viel Bekanntes wiederholenden
theologisch so eifrig vorgetragenen Rekapitulationen
über Tauler und seine Seelsorge, in einer solchen Arbeit
der Versuch hätte gemacht werden können, zu dem zeitgeschichtlichen
und biographischen Bilde Johannes Taulers
einige gänzlich neue, wenn auch nur mit ebensoviel
Mühe, so doch aber sicher bei dem heutigen Stande der
allgemeinen historischen Forschung wohl erreichbare
Bausteine herbeizuschaffen. Unzweifelhaft würde solche
biographische Nachlese gerade auch frömmigkeitsge -
schichtlich ertragreich sein können. Macht es doch die
Verfasserin an Tauler selbst zu vielen Malen in ihrem
Buche so anschaulich, wie gerade die kleinen und einfachen
— und die praktischen Dinge es sind, mit denen
es Gott und seine rechten Diener zu tun haben.

Alles in allem hat es aber der Theologe aufs höchste
anzuerkennen, daß die Verfasserin neben das Thema
von der Mystik Taulers dasjenige von der Theologie
Taulers gestellt hat. Und zwar hat sie nicht eigentlich
die mystische, sondern nach ihrem eigenen Ausdruck
die „unmystische" Theologie desselben zu skizzieren
versucht. Möchte auch durch dieses Buch das Studium
des ganzen Tauler neue Freunde finden!

Kassel. Christof Schubart.

Braun, D. Friedrich: Johann Tennhardt. Ein Beitrag zur Geschichte
des Pietismus. München: Christian Kaiser 1934. (VIII, 164 S.). gr.

8°. = Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, herausgegeben
im Auftrag des Vereins für Bayer. Kirchengeschichte von K. Schornbaum
, 17. Band. RM 4—.

Der 1688 aus Sachsen nach Nürnberg eingewanderte
| Perückenmacher Johann Tennhardt (geb. 1661, gestorben
1720 auf der Reise) ist in dieser auf reiches
I Quellenmaterial sich stützenden Untersuchung wohl zum
ersten Mal erschöpfend gewürdigt. T. ist ja eine der
t merkwürdigsten Erscheinungen am Rande des deutschen
Pietismus. Er ist weder reiner Mystiker, noch Pietist
oder Inspirierter, sondern an der Grenze von Kirche
I und Sekte ein sonderbares Gemisch der verschiedensten
I seelischen und geistigen Strömungen: „auf der Unter-
| läge einer pathologisch perversen Existenz schuf er aus
j Reststücken lutherischen Kirchenglaubens zusammen mit
mirakulösem Enthusiasmus, romanisierender Mystik und
mönchischer Asketik ein Gebilde, das als „Offenbarung"
j unter den Mängeln des Kirchenlebens leidende, nach
| religiöser Führung suchende Seelen gefangennahm, in
gewissem Sinn auch religiös-sittlich anregte, tatsächlich
j aber unter die Linie lutherischer Frömmigkeit und Kirchlichkeit
herabdrückte." Was T. von Männern wie Gich-
tel, Rock und Rosenbach unterschied, war sein besonderes
Berufsbewußtsein, das sich mit einer zuchtvollen
sittlichen Gesamthaltung verband. Daraus erklärt es
sich, daß sich die Nachwirkungen dieser Persönlichkeit
in besonderen Kreisen bis hinein in das IQ. Jahrhundert
erstreckten, ohne daß es je zu einer eigentlichen Gemeindegründung
gekommen wäre. So fällt von dieser
gründlichen Untersuchung manches neue Licht auf die
I Zeit des deutschen Pietismus. Der offiziellen Kirche gelang
es merkwürdigerweise nur in geringem Maße, sich
in wirklicher Vollmacht mit diesem Manne auseinanderzusetzen
.

München. Paul Schattenmann.

Hübner, Superintendent Heinrich: Jugenderinnerungen eines

Altlutheraners. Bilder a. d. Ev.-luther. Kirche Altpreußcns. Breslau:
Vlg. des Luther. Büchervereins 1934. (197 S.) 8°. RM 3—; geb. 3.80.
Diese Jugenderinnerungen eines noch unter uns Weilenden gehen
' bis in die Zeit der deutschen Hinigungskriege zurück. Aber was aus den
j frühesten Jugendtagen hier berichtet wird, das mag für weitere Kreise
I kaum einige Bedeutung haben. Die Gestalten der lutherischen Prediger
Lasius-Berlin und Besser-Waldenburg wie auch die Lehrer des Walden-
I burger Gymnasiums werden vom Verf. mit dankbarer Liebe gezeichnet.
Wertvoll sind die Erinnerungen an die Studienzeit, die im Glanz
des eben gefeierten Luthenubiläums von 1883 begann, in Breslau an
das lutherische Seminar (Greve, Rocholl), an die Universität (Lemme
Weber), an den Freitisch (Huschke), an die Bekanntschaft mit dem gali-
| zischen Judenmissionar Faber—die in Leipzig später erneuert wurde —
| und an den Wingolf — in Leipzig an Kahnis, Luthardt, Delitzsch, an
l Anton Springer, an die Philadelphia. Es will uns scheinen, als ob die
Leipziger Einwirkungen den Entwicklungsgang des Verfassers stärker
I gestalten halfen als die Breslauer. Insbesondre haben schon auf den
I Studenten die Veranstaltungen der Leipziger Mission, namentlich die
| grofiaufgezogenen Missionskonferenzen nachhaltigen Eindruck gemacht.
Als Senior der Philadelphia hatte H. auch die Pflicht, einen wissenschaftlichen
Vortrag zu halten: er fiel da auf das Thema,, Protestantenverein
". Diese kurze Erinnerung und das Gespräch mit dem Philosophieprofessor
Dr. Rudolf Seydel über den Protestantenverein (S. 11 f.) sind
nicht ohne theologiegeschichtliche Bedeutung und für die Beurteilung
mancher Zeiterscheinungen nicht wertlos.

S. 98 rühmt sich der Verf. in liebenswürdiger Weise, dall er vielleicht
der einzige Mensch sei, der den Verf. des Liedes „Ein Sträußel am
Hute" wisse. Das ist aber ein Irrtum, denn in Max Schneiders „Deut-
! schem Tittelbuch" (2. Aufl. 1927 S. 145) steht, daß Konr. Rotter das
Lied 1825 gedichtet und vertont habe.

Berlin. Otto Lerche.

Meyer, Arnold Oskar: Bismarcks Glaube. Nach neuen Quellen a.

d. Familienarchiv. 3. Aufl. München: C. H. Beck 1933. (IV, 73 S.u.

2 Abb.) 8°. RM 1.60; Pp. 2.20.

Das ist ein Büchlein, in geschmackvollster Ausstattung, das in einer
Zeit, in der man sich nicht genug tun kann, biblisches Christentum und
„nordische heroische" Weltanschauung in unvereinbaren Gegensatz zu
bringen, zur rechten Stunde kommt. Ueber Bismarcks Religiosität und
Christenglaube ist schon viel geschrieben worden, so namentlich von
Erich Mareks und Otto Baumgarten, und manches, von dem, was das