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Ausgabe:

1935 Nr. 22

Spalte:

406-407

Autor/Hrsg.:

Weber, Otto

Titel/Untertitel:

Gottesdienst und evangelische Verkündigung 1935

Rezensent:

Meyer, J.

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405

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 22.

400

Dialektik von Natur und Gnade, von Bildung und Religion
empfinden.

Wie dem aber im einzelnen auch sein möge, man
wird im Zeitalter des Säkularismus dankbar zustimmen,
daß hier das Ewige in der Zeit und die Unmöglichkeit
des Verzichtes auf das Ewige auch in den Bezirken der
Wissenschaft, der Sittlichkeit und der Schönheit so überzeugend
vertreten wird. Die wesensmäßige Bezogenbeit
des Deutschtums auf das Christentum wird festgehalten
und als höchste Idealität der heilige deutsche Mensch i
gefordert, in dem Jesus Christus Gestalt gewonnen hat. )
Auch der Protestant stimmt — mit einem anderen Klang
in dem Wort „Kirche" — zu, wenn Rademacher schreibt: }

„Eine Bildung, die an Jesus Christus, dem edelsten Bilde der Menschheit
, vorbeigehen will, beraubt sich damit ihres höchsten Vorbildes und
der wertvollsten bildenden Kräfte. Dieser Jesus Christus ist aber nicht
blofi der Jesus von Nazareth der vergangenen Geschichte, an dessen
und vor dessen Bilde sich der einzelne formen lassen soll, um ein zweiter
Jesus zu werden, sondern auch der in der Kirche immerdar fortlebende
Christus als das Haupt der großen Glaubensgemeinschaft, „von dessen
Fülle wir alle empfangen haben."

Düsseldorf. Kurt Kesse 1 er.

Pfeiffer, Johannes: Existenzphilosophie. Eine Einführung in
Heideireer & laspers. Leipzig: Felix Meiner [1933] (64 S.) 8°.

Steif geh. RM 2.50.

Die kleine Schrift ist eigentlich keine Einführung,
sondern eine Hinausführung über Heidegger und Jaspers
. Wer beide nicht kennt, wird die Schrift schwer
verstehen, wer sie aber kennt, der wird auf das Entscheidende
in ihren Problemstellungen aufmerksam gemacht
und auf die Stellen, an denen das theologische
Denken über sie hinausgehen muß. Der Verfasser zeichnet
den Standort, den der existenzielle Realismus einnimmt
zwischen Naturalismus und Idealismus: er will
weder ins Idealistische ausweichen noch im Brutal-Faktischen
ersticken, sondern sich der verborgenen Tiefen
des Mensch-Seins vergewissern. Das tut Heidegger mit
der Existenzerhellung, die den bangenden Menschen
zwischen Geburt und Tod in der Verantwortung zeigt,
ob er in freier Entscheidung in den konkreten Situationen
des realen Lebens mehr sein will als bloß daseiende
Wirklichkeit, ob er inmitten der ins „Man" und in die
Durchschnittlichkeit verblasenen Alltäglichkeit die Entschlossenheit
zum Eigensein und zur Wesenhaftigkeit
findet.

Richtig empfindet der Verfasser, daß Heidegger zuviel
erhellt und damit an entscheidender Stelle ein beunruhigendes
Etwas, das in seiner Deutung nicht aufgehen
will, zurückdrängt. Es ist das die Stelle, wo
durch Heideggers Philosophie so etwas wie ein atheistischer
Hauch geht. Richtig sagt Pfeiffer, Heidegger
kenne nur zwei Dimensionen, die des Vorhandenen und
die des Existenten, es fehle das Transzendente, mindestens
bleibe es unsichtbar. Hier wird nun der Anschluß
an Jaspers gefunden. Erst von dieser dritten
Dimension aus, erst im Stehen des Menschen vor der
verborgenen, aber allgegenwärtigen Transzendenz wird
eine wirkliche Existenzerhellung an Geburt und Tod,
Schicksal und Freiheit, Schuld und Sorge usw. möglich.

Aber Pfeiffer ist zu sehr dialektischer Theologe, um
nicht zu spüren, daß diese Gedankenführung von der
Gefahr idealistischer Spekulation umwittert ist. Deshalb
biegt er von Jaspers hinüber in Gedankengänge Martin
Bubers, daß die Gegenwart des Transzendenten niemals
in der Wirklichkeit allgemeingültig erfaßt und objektiv
vergewissert werden kann, sondern daß sie immer nur
ein stets erneutes Wagnis bleibt, in dem der Mensch
allein im konkreten „Sein in der Welt" dem Anspruch
des Unbedingten gehorcht.

In der Richtung, die Pfeiffer zeigt, wird die syste-
matisebe Theologie gehen müssen: Strenge existenzielle
philosophische Besinnung, die ebenso den Unglauben
wie den Aberglauben bekämpft, den Unglauben, der
nicht zur dritten Dimension durchstößt, und den Aberglauben
, der das ganz andere hand-greiflich machen

will. Vor dieser Besinnung aber muß stehen die Vor-
Entscheidung, die allein aus dem Glauben stammt und
die erst die philosophische Besinnung ernsthaft in Gang
zu bringen vermag.

Düsseldorf. Kurt Kesseler.

Köberle, Prof. Dr. Adolf: Wort, Sakrament und Kirche im

Luthertum. Gütersloh: C. Bertelsmann 1934. (45 S.) gr. 8°.

RM 1.40

Drei durch die im- Titel genannten Größen gekennzeichnete
Fragenkreise sind es, die der bekannte Basler
Systematiker in der an ihm immer wieder zu lobenden
Klarheit und Wärme uns beantwortet. Über allen Ausführungen
steht als entscheidendes Kriterium das Kriterium
reformatorischer Glaubens- und Lebenshaltung: ein
tiefes Erschrockensein vor der unheimlich verschuldenden
und knechtenden Gewalt des Bösen in der Welt.
Das ist gleichsam das Moment, das es verhindert, daß
in der Sohrift alles auf bloße Antithesen zur römischen
Auffassung der genannten Größen hinauskommt. Wort
und Sakrament werden etwas völlig Neues durch das,
was sie vermitteln, durch das Angebot der Gnade Gottes.
Auch die Kirche hat hier ihr Wesen. Sie ist nicht ein
Produkt menschlicher Freude am Organisieren. Sie ist
auch nicht ein Verein, der kraft menschlicher Zusammenschlüsse
entsteht und besteht. Die Kirche ist Schöpfung
Gottes; sie ist Werk Gottes, das er in Christus gesetzt
und zu bauen begonnen hat. Diese Kirche wird von Gott
gesendet und beauftragt, das Wort von der Versöhnung,
von der Erlösung und von der Hoffnung einer verlorenen
Welt als frohe Verheißung auszurichten.

Das alles sind rein und unverfälscht lutherische
Gedanken. Nur im Einzelnen könnte ich nicht alles
in der Form, in der Köberle es sagt, schreiben. So halte
ich z. B. die Ablehnung der Formel: „die evangelische
Kirche ist die Kirche des Wortes, die katholische Kirche
ist die Kirche der Sakramente" nicht für richtig. Köberle
nennt diese Formel eine zugespitzte Gegenüberstellung,
die einfach falsch und von der lutherischen Theologie
her jedenfalls leidenschaftlich abzulehnen sei. Ich verstehe
die Tendenz wohl, die Köberle leitet. Aber darum
kann ich seine Sätze doch nicht unterschreiben. Indessen
sind es immer nur Einzelheiten, die ich mit einem Fragezeichen
versehen möchte. Die Schrift als Ganzes begrüße
ich aufs Lebhafteste als eine sehr wertvolle Einführung
in die Materie, die sie behandelt.
Heidelberg. Robert Jelke.

Weber, Otto, Direktor der Thcol. Schule Elberfeld (jetzt: ord. Prof.
in Göttingen): Gottesdienst u. evangelische Verkündigung. Eine
Auseinandersetzung mit den liturgischen Reformbestrebungen der
Gegenwart. (131 S.) 8°. Neukirchen, Kr. Mörs, Buchhandl. des Er-
ziehungsver. 1933. rm 2.40.

Frisch, geschickt, tapfer und in systematischem Aufbau
greift hier der Vf. die ganze neuere evangelische
„liturgische Bewegung" an durch ein „aus dem reformierten
Bekenntnis kommendes Wort". Sein Ergebnis
ist, daß alle ihre Hauptformen in den individualistischen
und subjektivistischen Irrwegen der Theologie des 19.
Jahrhunderts irgendwie stecken bleiben, sowohl die ältere
Bewegung von Spitta und Stuend mit ihrer Pflege des
Schönen und der Kunst, als der Marburger Kreis um
Otto mit den mystischen Tendenzen, sowohl die Hochkirche
mit ihrer die Konfessionen überbrückenden Katho-
lizität, als die Berneuchener mit ihrer Symbolsprache.
Alle suchten aus menschlicher Frömmigkeit heraus mit
psychologischen Erwägungen auf Menschen zu wirken,
brächten aber die im 20. Jahrhundert neu betonte Größe
des Wortes Gottes nicht zu entscheidender Geltung. Hier
geht Weber vielfach parallel mit Fezer (Das Wort
Gottes und die Predigt); aber, so viel Wahres und
Treffendes gesagt ist: der Hauptbegriff des kultischen
Wortes Gottes bleibt ungeklärt. Der Vf. stellt Wort
Gottes und psychologisch orientierte Einwirkung auf
Menschen gegenüber: „Soll hier etwas bestimmtes am