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Ausgabe:

1935 Nr. 1

Spalte:

22-23

Autor/Hrsg.:

Gutmann, Bruno

Titel/Untertitel:

Zurück auf die Gottesstraße 1935

Rezensent:

Witte, J.

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 1.

22

II bis V und VII zeigen die Fronten und deren Programme
, den gegenseitigen Kampf in den einzelnen
Phasen,'und den Eingriff des Staates durch Hindenburg
und Hi'tler. Ein kurzer Anhang vermittelt im genauen
Wortlaut „das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl
und dem Deutschen Reich", von Q. wohl als Schlußstrich
gedacht, um zu zeigen, wer bei diesem ganzen erbitterten
Ringen der wirkliche Gewinner ist! Hin und wieder
merkt man in Orabert's Dokumenten-Auswahl die Absicht
im Sinne der deutschen Glaubensbewegung. Meist
Bekanntes, oft unangenehm Bekanntes wird durch diese
Schrift noch einmal bekannt, auf der anderen Seite allerdings
auch manches bisher fast Unbekannte zur Klärung
mancher Fragen über die religiösen Kämpfe innerhalb
der deutschen evangelischen Kirche des letzten
Jahres in rechtem Lichte gezeigt.

2. Sucht die unter 3. besprochene Schrift von
Schwarz immer wieder die außerordentliche religions-
und christentumserneuernde Leistung des deutschen
Idealismus hervorzuheben, so ist Carl Pabst, der
Verfasser der Schrift „Volkskirche und Freikirche"
unermüdlich bemüht, diesen „synthetischen Idealismus
aufzuspüren, bloßzulegen und in jeder Weise
zu verneinen! P. hat die Zielangabe seines Buches
ausgesprochen in einem Satz: „Ob es aber möglich
ist daß eine Freiwilligkeitskirche überhaupt neben oder
in der Volkskirche besteht, das zu beantworten, soll der
Sinn unserer Untersuchung sein" (S. 25). Die Frage
„Volkskirche oder Freikirche" wird in ihrer Problematik
und Schwierigkeit an Luthers und Rietschis Kirchenbegriffen
verdeutlicht. Unter der Überschrift „Die" wahre

Kirche" wird von Luthers Aussagen über die Kirche
als Glaubensobjekt her (S. 31—48) Rietschl's Kirchenbegriff
in seiner religiös-dogmatischen (vergl. Zusammenfassung
S. 67/68) und zugleich ethischen Beschreibung
abgelehnt, weil er gerade in dem Angriff gegen
Luther, daß dieser die ethische Beschreibung der Kirche
nicht mit enthalte, darin idealistisch-synthetische Den-
kungsart verrate (S. 78). Unter dieses Urteil werden
Rade (S. 78), Troeltsch, Hilbert, Holl ohne weitere
Auseinandersetzungen (S. 21) mit einbegriffen. Im 2.
und 3. Abschnitt über die „gemachte" Kirche (S. 78 bis
94) und die „Sammlung" in der Volkskirche (S. 95—99)
werden lediglich Luthers Aussagen über diese Fragen
dargeboten und das viel erörterte Problem um den Sinn
des lutherischen Gedankens „derer, so mit Ernst Christen
sein wollen" aufgegriffen und dahin interpretiert,
daß Luther wohl den Gedanken einer „sonderlichen"
Gemeinde gehegt, aber um mancherlei (wohl idealistischen
!) Gefahren willen nicht verwirklicht habe. Zum
Schluß bringt P. einen Abschnitt über „unsere kirchliche
Lage", in dem er die Fragen um Recht oder Unrecht
der gegenwärtigen Praxis von Kindertaufe, Konfirmation,
Abendmahl und Bekenntnis von der Fragestellung Volksoder
Freikirche aus kurz streift, aber gleichzeitig alle
sektiererischen, idealistisch-synthetischen Regungen ausschaltet
, um der Freikirche jedes Argument irgendwelcher
Existenzberechtigung zu entziehen. Ganz im Geiste
der dialektischen Theologie geschrieben, will diese
Schrift, halb theologisch, halb praktisch, ein Beitrag zum
Neubau der Kirche sein. Ob sie es tatsächlich ist bei
ihrer stark polemischen allzu idealismusfeindlichen, und
darum oft nicht richtigen Beurteilung bleibt mein allerdings
sehr skeptisches Bedenken.

3. Im diametralen Gegensatz zu den Dokumenten von
Grabert, wie der Schrift von Pabst steht die kleine Abhandlung
von Herrmann Schwarz „Christentum, Nationalismus
und deutsche Glaubensbewegung". Aufs Ganze
gesehen ist das kleine Werk weder ein objektives Dokument
, noch eine theologische Besinnung, sondern ein ein-
gK glühendes Bekenntnis zum Nationalsozialismus,
^chw. will das für ihn gewaltig Große irgendwie gedanklich
erfassen und versucht, ihm mit dem Instrument
des „transzendentalen Nationalsozialismus" verbunden
mit Rosenberg's „Methodik der Rassenseele"

(S. 22) Ausdruck zu verleihen. Die 6 innerlich eng mit
einander verknüpften Kapitel sind im Grunde genommen
Variationen über das überall durchscheinende Grundthema
, daß das gewaltige Erleben der Volkheit in den
letzten Monaten nur als überpersönliches Erleben sich
gezeitigt habe, und nur als überpersönliches Gotterlebnis
; religiös vertieft werden könne. Um diese Behauptung
| durchführen zu können, müssen deutsche Mystik und
deutscher Idealismus, müssen Ekkehart und Fichte Pate
stehen (vergl. besonders Kapitel 3). Der größte Teil
i der Schwarzachen Schrift spricht ganz im Sinne der
I deutschen Glaubensbewegung, einer „tätigen Mystik"
das Wort, die von der griechischen Mystik („die Augen
i schließen in Vergottungsverrückung") als spezifisch deutsche
Mystik („die Augen öffnen für überpersönliche
! Gotteserlebnisse" vergl. S. 24) unterschieden wird. Es
j ist wohl kaum zu bestreiten, daß hier viel weniger die
: Wirklichkeit Ekkehart'scher Mystik als der Wunsch der
! deutschen Glaubensbewegung Vater dieser willkürlichen
Definitionen von griechischer und deutscher Mystik ist.
Ganz schematisch wird das Christentum in zwei Strö-
i mungen aufgeteilt, als das Christentum des Sündenbewußtseins
im Angesicht des alttestamentlichen Jahwe
und dann als das Christentum „evangelischen Glaubens
, evangelischer Freiheit, evangelischer Liebe" (Kap.
1). Wird die erste Linie selbstverständlich radikal abgelehnt
, so die zweite als von der Mystik und dem Idea-
i lismus wieder erweckt, als einzig berechtigte betont.
Allerdings bleibt es eigentümlich, daß Schwarz sowohl
mit diesen drei Begriffen, wie auch der Dreibeziehung
des Du-, Es- und Wirerlebens eine „dreifache Gottesgestalt
" (S. 38) herauskristallisieren möchte! Doch wohl
nicht in Analogie des christlichen persönlichen Tri-
nitätsglaubens? Ist denn überhaupt eine Gottesgestalt
im überpersönlichen Gotteserleben möglich? Und
ist die ungeheure Gestaltungskraft des Nationalsozialis-
mus in ihrem Erlebtwerden doch nicht immer wieder
ganz persönlich (nicht überpersönlich) gebunden
an die gewaltige Persönlichkeit des Führers selbst?
(vergl. Dr. Goebbels: Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei
, 1934). Das sind meine Fragen an den Verfasser
dieser, den deutschen Leser zu tiefst packenden Gedanken
, Fragen, die im Falle der Bejahung die ganze Behauptung
, daß nur ein überpersönliches — wie ich meine
allerdings keineswegs mehr christliches Gotterlebnis religiöse
Erneuerung im neugewordenen Staat zu schaffen
vermag, als schöne aber unwirkliche Konstruktion er-
j weist.

Leipzig- Gottlob Hees.

O u t m a n n, Bruno: Zurück auf die Gottesstraße. Kassel: Bären-
I reiter-Verlag 1934. (107 S.) 8°. kart. RM 2.85; geb. 4—.

Der bekannte Missionar der Leipziger Mission im
früheren Deutsch-Ostafrika ist von Erlangen und Würzburg
ehrenhalber zum D. theol. und Dr. jur. ernannt
worden. Das ist für einen Missionar eine ungewöhnliche
Auszeichnung, die seine Tüchtigkeit beweist, die er in
zahlreichen guten Büchern über das Leben der Dschagga
bezeugt hat. Auch dies ist ein gutes Buch. Es behandelt
in ansprechender Form, wenn auch in der ihm eigenen,
etwas schwerfälligen Sprache, sein altes Thema, daß der
Mensch nicht in Isoliertheit sein kann, was er sein soll,
sondern nur in gliedhafter Verbundenheit mit den Ordnungen
, in die er hineingestellt ist. Er schildert, wie das
alte Leben der Dschagga solch verbundenes Leben war
■ in Sippe, Nachbarschaft und Alterklasse und Schildschaft
[ und, wie die westliche Zivilisation mit ihrem Indivi-
I dualismus und ihrer Formlosigkeit das Alles zu zer-
stören droht. Zugleich erzählt er von seiner Arbeit,
1 wie er in den jungen Christengemeinden darum ringt,
! statt der alten neue, christliche Gliedschaften zu bilden.

Hier gewinnen Patenschaft, Konfirmandenklassen und
I Ältestenamt wieder ihren ursprünglichen Sinn, den sie
1 ja bei uns nur noch schattenhaft zeigen. In Gutmanns
| Wirken liegt etwas dem Nationalsozialismus Verwandtes,