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Ausgabe:

1935 Nr. 22

Spalte:

398-401

Autor/Hrsg.:

Erdmann, Gottfried

Titel/Untertitel:

Die Vorgeschichten des Lukas- und Matthäus-Evangeliums und Vergils vierte Ekloge 1935

Rezensent:

Fridrichsen, Anton

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 22.

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dene Völker sind in sehr verschiedener Begriff ohne Weiteres mit einem biblischen decken soll
Weise fromm" (S. 21). Eine reiche Fülle von reli- („Freiheit"). Viele Einzelresultate sind an sich wohl
gionsgeschichtlichem Material (das freilich teilweise nur richtig gewonnen, aber sie erscheinen im modernen Gemittelbare
Beziehungen zum behandelten Thema hat) sichtswinkel schief oder verkürzt (nur ein Beispiel;
bereitet dann das Ergebnis vor: Jesus unterschei- 1. Kor. 9, 20—21 spricht nicht von der Notwendigkeit
det sich vom Judentum a) durch sein Verhältnis der missionarischen Anpassung an die Umgebung, son-
zu Gott; er lebt in einem Volk, dem der Gedanke an den dem von einem freiwilligen Verzicht der Liebe auf befernen
Gott besonders wichtig ist; Jesus predigt dage- stimmte Rechte! Wer unter dem Gesetze Christi steht,
gen die hilfreiche Nähe Gottes (S. 53); b) durch die ist kein Anpäßling!). Mir ist gerade in der Lektüre von
Begründung der sittlichen Forderung: Er bringt kein L.'s Schrift das Ungenügen aller religionsgeschichtlichen
neues Gesetz mit neuen Paragraphen, sondern er geht Ableitung und Auslegung deutlich geworden. Jede Schriftauf
die Grundforderung der rechten Gesinnung zurück auslegung, die sich nicht an den biblischen Offenba-

(S. 54). Aber auch mit der griechischen Art 1 rungsgedanken bindet, muß in den großen „Gegenwarts-
stimmt Jesus nicht überein. Verwandt ist Jesu fragen" der neutestamentlichen Wissenschaft zu falschen
Urteil mit dem Griechentum a) in seiner Aussage über Resultaten führen, die in Theologie und Kirche nicht be-
das Kind, b) in seiner Zurückhaltung gegenüber visio- friedigen. Um dieser Verantwortung willen sagt biblisch

nären Erlebnissen und Zaubervorstellungen, c) in dem i reformatorische Schriftauslegung zu dieser Arbeit (nicht

eigentümlichen Hoheitsbewußtsein („Er ist eher mit | zu ihrem Wollen) ein Nein.

Empedokles zu vergleichen als mit Bar Kochba" S. 58). | Halle a.s. O. Michel

Wenn aber Jesus gerade zu denen geht, die von der Ge

Seilschaft verachtet oder ausgeschlossen sind, wenn Jesus , Erdmann( Qottfried. Die Vorgeschichten des Lukas- und
die sittliche Forderung vom frommen Brauch unterschei- i Matthäus-Evangeliums und Vergils vierte Ekloge. Göttingen •
det, dann überbietet er sowohl das Judentum als auch Vandenhoeck & Ruprecht 1932. (147 s.) gr. s°. = Forschgn. z.
das Griechentum. Jesus ist sich bewußt, etwas i Religion u. Literatur d. A. T. hrsg. v. R. Bultmann u. H. Gunkel,
Neues zu bringen, und man kann nicht sa- j Neue Folge, 30 H. Der ganzen Reihe 48. H. rm 7.50.
gen, daß in der Art Jesu ein bestimm-1 Die Besprechung dieser ideenreichen, scharfsinnigen
tes Volkstum sich vorherrschend geltend j und methodisch gut durchgeführten Arbeit ist ungebührmacht
(S. 63). Die Frage nach der Artgemäßheit des lieh verspätet worden, und zwar durch die Schuld des
Christentums ist für den Verfasser die Frage nach der Art- ! Ref., der zu seiner Entschuldigung nur anführen kann,
gemäßheit der Religion überhaupt. Der Buddhismus Cey- daß es ihm nicht ganz leicht war, zu den hier vorge-
lons ist anders als der Buddhismus Japans; die altägyp- ! tragenen Anschauungen Stellung zu nehmen. Inzwi-
tische Isis ist anders als die Isis auf griechischem Boden. I sehen wird diese Studie bei vielen Fachgenossen eine
Auch das Judentum kann sich artgemäßer Umgestaltung i gute Aufnahme gefunden haben; denn sie ist lehrreich
nicht entziehen (Philo). Wenn auch das Christentum j und anregend, auch wenn man nicht allen Ergebnissen
die Wahrheitsfrage besonders ernst nimmt, hat es seine . beizutreten vermag. Die Arbeit von Dibelius über das-
eigene artgemäße Ausprägung im apostolischen Zeit- ; selbe Thema konnte Vf. nicht voll berücksichtigen, da
alter, in der Kirchengeschichte und in der Gegenwart. 1 seine eigene Untersuchung damals schon im Druck war,
Die Judenchristen könnte man vom jüdischen Stand- nur gelegentliche Hinweise in den Anmerkungen und
punkt aus als artgemäß bezeichnen, weil sie einer be- eine kurze Auseinandersetzung S. 50 ff. waren noch mögstimmten
Richtung innerhalb der jüdischen Gemeinde i lieh. — Im ersten Teil analysiert E. die Vorgeschichten
angehören. Die Heidenchristen dagegen fühlen sich als ; bei Lk. und Mt. und die 4. Ekloge Vergils, jedesmal
Vertreter einer neuen Religion und zeigen sich auch man- , zunächst literäre Analyse, dann Motivgeschichte. Im
chen philosophischen und volkstümlichen Einflüssen of- | zweiten Teil, der nur zwei Seiten umfaßt, vergleicht er
fen (S. 87—88). Artgemäßes griechisches Christentum die Weihnachtsgeschichten und die Ekloge. Eine Überist
kein Besitz eines einzelnen Predigers, sondern eine setzung der letzteren, Bibliographie und zwei Register
allgemeine Erscheinung von innerer Notwendigkeit (S, ! machen den Schluß. — Was zunächst Lk. betrifft, ist
102). Jedes christliche Volk bemüht sich, die Gestalt ; E. (mit Streeter) der Ansicht, daß der Evangelist in
des Christentums zu finden, die ihm angemessen ist. Vollziehung seiner (in antikem Sinne) biographischen
Die katholische Kirche ist nicht einfach artgemaßes ; Tendenz, nach Fertigstellung der Apg. seinem Evano-e-
griechisches Christentum, sondern ein Gebilde, das auch j lium die Vorgeschichte vorbaute. Dabei hat er nur sehr
jüdische und morgenländische Denkart aufgenommen wenig auf christlicher Tradition bauen können, in der
hat (S. 116). Es gibt nicht nur das Gesetz der liturgi- Hauptsache hat er die Vorgeschichte Jesu als höheres
sehen Erbfolge, sondern auch das Gesetz der Erbfolge | Gegenstück zu den damals schon existierenden Täufer-
der Religionen (eine neue Religion übernimmt wertvolles ; geschienten gestaltet. Die Geburts-, Kindheits- und Ju-
religiöses und kirchliches Gut von der alten). Welt- gendgeschichte Jesu ist also der — im LXX-Stil gehal-
religionen müssen sich deshalb artgemäß tenen — des Johannes nachgebildet, unter Heranziehung
gestalten, weil sie sich überall mitderLie- typischer Heilandsmotive, die Lk. fast alle aus dem
be zum Vaterland verbinden (S.126). Aller- LXX schöpft (gegen Ed. Norden), nur in ganz wenigen
dings kann eine Religion die von Anfang an zu stark an Fällen haben rein hellenistische Motive Aufnahme ge-
ein Volk und ein Land gekettet ist, niemals Weltreligion funden. So erklärt sich die auffallenden Ähnlichkeiten
werden (S. 128). Die kleine Studie L.'s zeugt wie die ' und anderseits auch bedeutenden Unterschiede zwischen
sonstigen Arbeiten des Verf. von einem reichen reli- den Lk. 1—2 vereinigten Johannes- und Jesusgeschich-
gionsgeschichtlichen Wissen; und doch genügt sie nicht ten. — Mt. 1—2 will Vf. (abgesehen vom Stammbaum
zur Beantwortung der wichtigen „Gegenwartsfragen", : am Anfang) nur in 2,1 — 18 (Magier, Flucht und Kinder-
die hier zur Diskussion gestellt werden. Ehe wir Aus- mord) eine Vorlage finden; die „Ursprungso-eschichte"
legung treiben, fallen immer schon bestimmte Entschei- l,18ff. ist reflektierende Arbeit des Redaktors und
düngen, die den Sinn unserer Auslegung bestimmen. Ge- [ 2,19ff. (Rückkehr aus Ägypten) ist Klammer zwischen
rade dann, wenn man unbefangen an den Text heran- der Legende (Bethlehem, Ägypten) und der synopt. Tragehen
will, ist man in besonderer Weise an Begriffe dition (Nazareth). Hinter 2,1 — 18 dagegen' liegt eine
und Kategorien seiner Zeit gebunden. Unser Verf. über- jüdische Moses-Legende, die auf Exod. 2 fußt: Pharao,
nimmt ganz selbstverständlich die Begriffe, Vorstellun- von seinen Astrologen gewarnt, will den neugeborenen
gen und Anschauungen unserer Zeit und deutet sie in , Erlöser Israels durch einen umfassenden Kindermord
das Urchristentum zurück („Führertum", demokratische austilgen; diese Legende ist schon in vorchristlicher Zeit
Neigungen, Antisemitismus, Sozialismus). Besonders ge- ; auf Herodes übertragen worden, wodurch die Astro-
fährlich ist diese Übertragung, wenn sich ein moderner | logen von auswärts kommen müssen, und Messias, des-