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Ausgabe: | 1935 Nr. 19 |
Spalte: | 350-352 |
Titel/Untertitel: | Die Kirche und das Staatsproblem in der Gegenwart 1935 |
Rezensent: | Usener, Wilhelm |
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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 19.
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lichkeiten. Doch gerade die Neuheit und der Gegensatz
gegen die schamhafte, gehaltene und zusammengefaßte
kultische Art des Deutschen hat sie bei der dafür
empfänglichen Menschenart „populär" gemacht. „Popularität
" aber bedeutet noch nicht echte Volkstümlichkeit
. Auch die Vertonung scheut nicht das Plane und
Platte, das ins Ohr Fallende und Aufreizende der Straße
und der Masse. Das ältere deutsche Kirchenlied hat
Melodien aus dem Volksgesang aufgenommen, es konnte
das, weil dem älteren deutschen Volkslied eine eigentümliche
Schwere innewohnt und weil der aus der Seele
geborene Ton deutbar ist. An dem christlichen Ernst
des Übersetzers Gebhardt ist nicht zu zweifeln, aber
seine Übersetzungen leisten dem Vordringen eben dieses
Fremden Vorschub und können, soweit ihre Wirkung
reichen mag, nichts Gemeingültiges bringen.
Den Formcharakter der Gebhardtschen Lieder kennzeichnet
der Verf. richtig als „Predigtrhetorik" (S.143L),
es sind gereimte Ansprachen. Aber weil es so bei ihm
und vielen anderen ist, wäre es nicht verfrüht, wenn der
Hymnologe auf seinem Gebiet die Unterscheidung sich
gegenwärtig halten wollte, die auf weltlichem Gebiet
längst üblich ist, die Unterscheidung zwischen Schriftsteller
und Dichter, zwischen den Verfassern von Be-
reimungen und den Schöpfern echter Lieder, die einen
unersetzlichen Erdgeruch mit sich führen und aus geheimnisvoll
dunklem Grunde aufleuchten. Daß es jenen
Verfassern nicht auf künstlerische Zwecke ankommt, ist
selbstverständlich; nicht selbstverständlich ist, daß das
Heilige, wie es dem uralten Bund zwischen Religion
und Lied entspricht, dauernd nur in edlem Gewand erscheinen
will. Eine „Bereicherung" des Gesangbuchs
in diesem Sinne sind daher die Gebhardtlieder nicht,
geistige Bereicherung entsteht überhaupt nicht durch
Addition und Summierung, sondern durch Anregung latenter
, noch unentfalteter Kräfte zu lebendigem Erwachen
. Eine solche ist vielleicht auf die kirchlichen Bemühungen
um die Wiedergewinnung des rhythmischen
Chorals ausgegangen, dagegen haben die Texte der Gebhardtlieder
aus begreiflichen Gründen auf kirchlichem
Boden keine Nachfolge gefunden — immer abgesehen
von den Sonderkreisen, deren Ansprüche vom Reichsliederbuch
befriedigt werden und deren Beeinflussung im
Gesang durch den angelsächsischen Methodismus der
Verf. kundig illustriert hat.
Marburg (Lahn). Rudolf Günther.
Schomerus, Prof. D. H. W.: Missionswissenschaft. Leipzig:
Quelle & Meyer 1935. (XII, 219 S.) gr. 8°. = Theologische Lehrbücher
, hrsg. v. Erich Seeberg. geb. RM 9—.
Das vorliegende Buch gliedert sich in 4 Teile:
1. Missionsapologetik. Hier wird vor allem vom Recht
zur Mission als einer dem Wesen des Christentums entsprechenden
Betätigung geredet. 2. Missionstheorie. Behandelt
werden die Missionsmotive, Missionsorgane, der
Missionsbetrieb, die Missionsmittel und das Missionsziel.
3. Missionspädagogik. Dieser Teil befaßt sich mit dem
Verhalten der Mission gegenüber dem religiösen und
völkischen Erbgut der verschiedenen Völker. 4. Missionsgeschichte
. Sie bringt einen kurzen Überblick über die
verschiedenen Missionsepochen und erwähnt neben der
evangelischen Mission auch die der römisch-katholischen
und griechisch-katholischen Kirchen.
Bei einem „Lehrbuch", das einen sehr großen Sioff
auf einer sehr beschränkten Seitenzahl behandelt kommt
viel auf den leitenden Gesichtspunkt bei der Stoffauswahl
an. Schomerus läßt die Gebiete, in welchen es
sich um Stoffmassen handelt, zurücktreten. Die Missionsgeschichte
wird auf nur 50 Seiten, die „Missionskunde
, Situationsbericht", also die Darstellung der heutigen
Missionslage daheim und auf dem weltweiten Missionsfelde
, auf 15 Seiten abgehandelt, die Auseinandersetzung
mit den nichtchristlichen Religionen wird nur
in sofern berührt, als die Frage der Anknüpfung an bestimmte
nichtchristliche Religionstypen wie den Konfu-
zianismus und die indische Bhakti-Mystik kurz besprochen
wird. Dagegen wird die Aufmerksamkeit in erster
Linie auf die Fragengruppen gerichtet, die ein theologisches
oder kirchliches Nachdenken erfordern: Die in
sich zusammenhängenden Teile II und III: „Missionstheorie
: Die Lehre vom Missionsbetrieb" und „Missionspädagogik
: Die Lehre von dem Verhalten der Mission
gegenüber dem religiösen Erbgut der Völker" nehmen
fast die Hälfte des Buches (S. 62—149) ein. Besonderer
Fleiß ist auf den ersten Teil: „Missionsapologetik:
Recht und Pflicht zur Mission" verwandt. Hier werden
in drei parallelen Gedankenreihen a) die aus der Beurteilung
der Christianisierung des Römischen Reiches
und der Germanen erhobenen Bedenken geschickt in
ihre Grenzen gewiesen. Dann wird b) die von Harnack
verneinte Frage behandelt, ob Jesus die Heidenmission
wollte, und c) der Absolutheitsanspruch des Christentums
erörtert. Bei einem Manne, der ein Jahrzehnt selbst
Missionar in Indien gewesen ist und sich drei Jahrzehnte
hindurch ernst wissenschaftlich mit dem ganzen Fragen-
( komplex der Mission beschäftigt hat, hat man die Gewähr
, daß er auf Grund vielseitiger und gereifter Erfahrung
redet. Daß er für die verschiedenen Disziplinen
lauter neue Namen prägt, die er dann immer selbst durch
Erklärung von Mißverständnissen schützen muß, wird
dem Gebrauch des Buches kaum förderlich sein. Bedenken
werden am ehesten gegen den dritten Teil geltend
gemacht werden. In der Verkennung und Unterschätzung
des Volkserbes hat die Mission früher ebenso
in Afrika wie in Indien und China fehlgegriffen. Die
rückläufige Bewegung, die gegenwärtig die afrikanischen
urtümlichen Bindungen wieder zu Ehren bringt, führt
auch zu einer Revision des Urteils über die indische
Kaste und die ostasiatische Großfamilie. Ob eine so
einfache Anknüpfung der evangelischen Botschaft an
das indische und das chinesische Heidentum möglich
ist, wie der Verfasser vorschlägt (S. 132—135) wird von
erfahrenen Missionaren bezweifelt werden. Die Judenmission
bleibt, wie das bisher in der protestantischen
Missionslehre üblich ist, außer Betracht.
Berlin. Julius Richter.
Die Kirche und das Staatsproblem in der Gegenwart. 2.
erw. Aufl. Genf: Forschungsabt. des Oekumenischen Rates für Praktisches
Christentum. Auslieferung: Berlin; Furche-Verlag 1935
(228 S.) gr. 8". RM 3.6o'.
Von der Tatsache, daß das Staatsproblein wie selten
zuvor im Mittelpunkt der geistigen Auseinandersetzuno-
steht, geht das Vorwort aus. Die Kirche sei dazu auf°
gerufen, von den tiefsten ülaubensgrundlagen her eine
Neubesinnung über den Staat und eine klare Auskunft
über ihre Haltung zum Staat zu geben. Darum hat der
ökumenische Rat seit 1933 durch seine Forschungsabteilung
die Gesaintarbeit auf diese Aufgabe eingestellt,
ihr erster Ertrag liegt hier vor in den Unterlagen und
Ergebnissen der Studienkonferenz von Paris vom 8. bis
14. April 1934, die durch nationale Studiengruppen und
Vorkonferenzen vorbereitet war. Den Vorsitz fährte Präsident
Marc Boegner, dem Prof. M. Dibelius, Dr. Old-
ham und Prof. A. Runestam zur Seite standen. Auch
Vertreter aus andern großen ökumenischen Bewegungen
(Lausanne, lnternationaLer Missionsrat, intern. Freund-
I Schaftsarbeit der Kirchen, christl. Jugendweltbund) waren
anwesend. Em Diskussionsplan richtete die Bespre-
I chungen von vornherein auf die entscheidenden gruud-
I sätzlichen Fragen. Die Darbietungen, Beiträo-e Bespre-
: chumgen stehen auf erheblicher geistiger Höhe und ma-
i eben Ernst mit der Besinnung auf letzte theologische
| Fragen.
Aus der Fülle der Darbietungen hebe ich einige hervor
. Paul Alt haus bietet vom wirklich genuin
l lutherischen Standpunkt knapp und klar einen sehr zeit-
| gemäßen und wirklichkeitsnahen Beitrag zum gegen-