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Ausgabe:

1935 Nr. 18

Spalte:

332-336

Autor/Hrsg.:

Hauer, Jakob Wilhelm

Titel/Untertitel:

Deutsche Gottschau 1935

Rezensent:

Witte, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 18.

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Diplomaten Rußlands, Englands listige Vertreter, Metternichs
— des einst von Treitschke Verurteilten, jetzt
aber von Srbik Geretteten und Gerechtfertigten — geschicktes
Brillieren und schließlich des Zaren Alexander
große, fast tragische Enttäuschung interessieren uns hier
nur am Rande.

Für uns handelt es sich hier um den geistigen und
religiösen Hintergrund der Heiligen Allianz (vgl. F.
Büch ler: die geistigen Wurzeln der Heiligen Allianz.
Diss. Freiburg i. B. 1929). Und da befriedigt das sonst
ungemein anregende Buch nicht ganz. Die Heilige Allianz
ist ein besonders groteskes Kapitel der Geschichte
von der Wiedervereinigung im Glauben. Tatsächlich
handelt es sich da garnicht um christliche sondern um
humanitäre Ideen, die die Grundlage des Bundes bilden.
Metternich in seiner die Zeitgenossen nicht nur in den
Salons und in den Kabinetten weitüberragenden Klugheit
hat die romantische Gründung, die er nicht anstrebte, geschickt
für antiliberale und legitimistische Zwecke ausgenützt
, ohne daß er damit freilich für alles verantwortlich
zu machen ist, was unter dem Deckmantel der Heiligen
Allianz an Demokratenriecherei und Legitimisten-
reaktion geschah. Es ist falsch, wenn etwa Leopold
von Gerlach Hengstenberg gegenüber 1861 noch die
Heilige Allianz, die Stiftung des „griechischen Kaisers
als eine Verbrüderung in dem gemeinsamen Bekenntnisse
des Namens Jesu Christi vor aller Welt feiert" (Evangelische
Kirchenzeitung 1861, S. 213). „Einzig der in
theo logischen Disputen geschärfte Sinn Talleyrands
konnte, als ihm die Note zu Gehör kam, darin etwas
Absonderliches finden und ihn zu dem Ausruf veranlassen
: ,Das kommt aus einer Freimaurerloge!' Und wirklich
, ein Christentum, das über die verschiedenen Bekenntnisse
des anglikanischen Prinzregenten von Großbritannien
, des römisch-katholischen Kaisers von Österreich, des
kalvinistischen Königs von Preußen und des griechisch-
katholischen (!! so Schwarz) Kaisers von Rußland dergestalt
hinwegsprang, das roch verdammt nach dem verwaschenen
, allen Dogmen der positiven Religionen widerstreitenden
Vernunft- und Moralchristentum der Freimaurer
". (Schwarz S. 31 f.; zur Bedeutung der Freimaurerei
für die Wiedervereiniugng im Glauben — besser im Unglauben
— vgl. C. W. Hering: Geschichte der Unionsversuche
, Bd. II, 1838, S. 419ff.). — Die Heilige Allianz
war aus gegebener politischer Veranlassung gegründet
und hatte rein politische Ziele, die dem internationalen
diplomatischen Wortschatz unserer Tage entnommen zu
sein scheinen: Nichtangriffspakt, Nichteinmischung, Ruhe
und Frieden für Europa. Diese Ziele aber mußten sich,
auch soweit sie nicht erreicht wurden, mit dem politischen
Entwicklungsprozeß wandeln, und die politische
Gründungsidee ließ sich mitsamt der damals politisch
zwingenden Konstellation nicht in all der Erscheinungen
Flucht konservieren. Also wozu brauchte man für die
rein politische Abgezwecktheit des Bundes außer einer
moralischen Präambel eine christliche Ideologie? Der
bei dem vorübergehend von Frau von Krüdener stark
beeinflußten Zaren Alexander I. — und da ist er vielleicht
wirklich mit Karl V. vergleichbar, von anderen
Momenten, die Schwarz S. 156 anführt, abgesehen —
offenbar hin und wieder ernsthafte Versuch einer Wiedervereinigung
Europas im Glauben, der bei ihm ganz
folgerichtig aus seiner Abneigung gegen das konfessionell
aufgelöste Europa erwachsen konnte, mußte scheitern
, weil dieser Versuch weder vom kirchlichen Ort
ausging, noch mit kirchlichen oder gar mit wirksamen
theologischen Mitteln betrieben wurde. Bekämpfung der
Revolution und Schutz legitimer Herrschaften und Ansprüche
: das waren politische, keineswegs christliche
Motive. So wurde die Heilige Allianz schließlich ein
Bund zur Bekämpfung der Revolution, und sie mußte
scheitern, als die Teilnehmer des Bundes die Unterstützung
Griechenlands, eines offenbaren Rebellen, gegen
die Türkei, die legitime Herrschaft, guthießen oder
tatsächlich ins Werk setzten, was politisch und kulturell

betrachtet richtig und unzweifelhaft damals notwendig
war, aber gegen die Ideologie der Allianz verstieß. Die

i Heilige Allianz ist geradezu ein Schulbeispiel für die
Theorie des unmöglichen christlichen Staatsmannes, der
von Kattun oder Bajonetten, aber nicht aus dem Worte
Gottes lebt. Das „wahre" — „positive" — Christentum

j ist hier — wie so oft auch sonst — faktisch höchstens
eine humanitäre Idee oder Redensart. Schwarz nimmt
nur einmal, am Schlüsse auf S. 364 den immer nahe-

I liegenden Vergleich mit unserer Zeit auf: „Den Weg
Napoleons zum ewigen Frieden ist das französische Volk
wohl morgen bereit nochmals zu gehen, den Weg
Alexanders zu wiederholen das russische nie. Und wenn
1931 der englische Präsident der Abrüstungskonferenz
die Meinung vertrat: ,die Völker haben allmählich die
Lehren der Geschichte begriffen und eingesehen, woran
es lag, daß vor hundert Jahren die Träume des russischen
Kaisers in Enttäuschung ausgingen', so muß doch
fraglich erscheinen, ob er selbst sich heute noch zu diesem
Optimismus bekennen würde."

Was Schwarz gelegentlich zur russischen Kirchenge*
schichte beibringt, scheint einer Ergänzung zu bedürfen.
Fürst Galizin (S. 64 und sonst) kommt entschieden zu

[ gut weg. Was da über Lindl, Goßner, Bibelgesellschaft
und Einwanderung aus Süddeutschland steht (S. 71,
287f.; 75,370), könnte vielfältig ergänzt werden. Lindl
— die fatale Angelegenheit, die Schw. S. 288 mitteilt,
können wir nicht nachprüfen — hatte in Bessarabien unbestrittene
große Verdienste (vgl. H. Roemnich:
I. L., ein Beitrag zur Geschichte der Deutschen Bessara-
biens, in: Evangelische Diaspora, IX S. 89—104; G.
Fittbogen in Theol. Bll. 1928, Sp. 197ff.). Auch
Goßner ist etwas lieblos abgetan (S. 71, 288).

Berlin. Otto Lerche.

Hauer, Wilh.: Deutsche Gottschau. Grundziige eines deutschen
Glaubens. 2., unv. Aufl. Stuttgart: Karl Gutbrod 1934. (VIII, 288 S.)
8°. geb. KM 7.50.

Das vorliegende Buch des Leiters der Deutschen
Glaubensbewegung ist die erste größere und gründliche
Darstellung des Inhaltes der Verkündigung dieser neuen
Bewegung, die heute soviel Unruhe und den Kirchen
Sorgen macht. Es ist zwar nach der Absicht des Verfassers
ein Buch für Laien, aber doch so systematisch

j geschrieben, daß man es zum wenigsten eine Laien-Dog-

I matik nennen kann. Außerdem muß man sagen, daß es
nur für gebildete Laien leicbt lesbar ist. Dies ist nun also
ein wichtiges Buch für die Beurteilung der Deut-

j sehen Glaubensbewegung. Hier seien zu diesem Buche
einige kritische Bemerkungen erlaubt.

Aus dem Bucu wird ebenso wenig wie aus anderen
Schriften der D. G. klar, warum man diesen „Glauben"
einen deutschen Glauben nennt. Mit der Religion
unserer vorchristlichen Vorfahren hat er schlechterdings

j nichts zu tun. Diese altgermanische Religion war Polytheismus
klarster Art. Die Götter waren als feste Persönlichkeiten
gefaßt. Daß Kummer bei den alten Germanen
einen Pantheismus behauptet, ist reine Phantasie,
von Andreas Heubner als Wunschtraum bezeichnet. Die
alten Germanen hatten auch eine klare Auffassung von
der Sünde und Schuld und von einer Vergeltung für das
Böse im Jenseits, wie die Völuspa zeigt (siehe G. Neckel,
Altgermanische Religion). Sie ahnten und wünschten
auch ein persönliches Fortleben nach dem Tode und ein
Wiedererstehen neuen Lebens auf einer neuen Welt.
Hauer nennt das alles semitisch und spricht inbezug
auf die letzte Hoffnung von semitischer Erdgebundenheit
. Aber diese hatten die alten Germanen durchaus.

i Alle diese Züge lehnt Hauer für seinen neuen „Deutschen
Glauben" ab. Denn diese Religion Hauers ist
Pantheismus, will nichts von Sünde und Schuld, die gesühnt
werden muß, wissen und läßt die Frage nach dein
Jenseits und seinen Formen offen. Die Wiedergeburt
erscheint ihm als die wahrscheinlichste Form der Fortexistenz
nach dem Tode.