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Ausgabe:

1935 Nr. 17

Spalte:

315-317

Autor/Hrsg.:

More, Paul Elmer

Titel/Untertitel:

Anglicanism 1935

Rezensent:

Hecht, Hans

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316

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 17.

316

Interessante Momente hebt das Schlußkapitel, z. T.
rückblickend, z. T. neu' hervor: den Zusammenhang des
reformatorischen Eherechts mit dem kanonischen, hervorgehend
aus der Tatsache, daß das reformatorische
Ehegericht Ersatz des bischöflichen war, die rechtsschöpferische
Bedeutung des Zürcher Ehegerichts als
ersten Interpreten reformatorischer Eheauffassung (Verbot
heimlicher Ehen, Eheschließung als öffentlicher
Akt, Einführung der Scheidung bei Ehebruch und Entlaufen
, aber z. T. auch bei schweren Krankheiten, wie
Aussatz, Milderung der Ehehindernisse). Die Tatsache,
daß wenig kodifiziert war, gab dem freien, christlich bestimmten
Ermessen der richterlichen Entscheidung viel
Raum. Die Wertung Köhlers sieht in der Verrecht-
lichung der Ethik einen Grundirrtum, aber sie betont
doch entschieden die große volkserzieherische Bedeutung,
die diese aus reformatorischem Ernst erwachsenen Ehe-
und Sittengerichte gehabt haben.

Es liegt Köhler besonders auch daran, die führende
Stellung Zürichs aufzuzeigen, die er früher schon für
die Einrichtung von Armenordnungen nachgewiesen hatte
. Er zeigt, wie die Berner, Basler, Glarner und die
verschiedenen Graubündner Ehe- und Sittengerichte aufs
deutlichste von Zürich abhingen. Z. B. wurde von Bern
Nikiaus Manuel zur Information nach Zürich geschickt.
Die Berner und Basler Eheordnungen schließen sich aufs
engste, z. T. wörtlich an die Zürcher an. Nur in Schaffhausen
sind keine Zürcher Einflüsse nachweisbar; doch
ist auch hier die Anregung von Zürich gekommen. Eine
Sache für sich ist die Unterstellung unter das Zürcher
Ehegericht oder die Einrichtung von Ehegerichten nach
Zürcher Muster in solchen Gebieten, die Zürich politisch
von sich abhängig machen wollte, wie die Freiämter
, den Thurgau und das Gebiet der Gotteshausleute
von St. Gallen, wo, wie Köhler zeigt, diese ehegerichtlichen
Maßnahmen im Dienste der Zürcher Äusdehr
nungspolitik standen. Am Schluß seines Buches tut Köhler
einen Ausblick darauf, daß auch die süddeutschen
Städte von Zürich beeinflußt waren, und daß dann die
Straßburger Ordnung auf Genf gewirkt hat, daß also
auch das Konsistorium von Genf von Zwingli abhängig
sei. Den Nachweis soll ein zweiter Band des Werkes
bringen. Sicher hat Köhler erwiesen, daß schon Zürich
und ihm folgend andere deutschschweizerische Städte
wirksame Sittengerichte hatten. Aber hat eines derselben
so intensiv gearbeitet, wie das in Genf? Sodann:
das Genfer Konsistorium war eine selbständige kirchliche
Größe. Es gelang Calvin in schwerem Kampfe,
Motive, die Oecolampad in Basel, Bucer in Straßburg
nur bescheiden durchzuführen versucht und nicht durchzusetzen
vermocht hatten, mit großem Erfolge in Wirklichkeit
umzusetzen. Haben nicht auf Genf besonders
die Motive gewirkt, die in Basel und Straßburg im Gegensatz
zum strengen Staatskirchentum Zürichs entstanden
waren, sodaß zwar eine von Zürich ausgegangene,
aber inzwischen entscheidend umgebogene geschichtliche
Linie in Genf wirksam wurde? Aber da Köhlers Beweis
erst für den 2. Band vorgesehen ist, ist davon
jetzt noch nicht zu reden, sondern man wird sich für die
Belehrung, die er in seinem 2. Bande bieten wird, offen
halten.

Bern. Heinrich Hoffmann.

Anglicanism. The Thought and Practice of the Church of England,
Illustrated from the Religious Literature of the Seventeenth Century.
Compiled and Edited by Paul Elmer More and Frank Leslie
Cross. London : Society for Promoting Christian Knowledge 1935
(LXXVI u. 811 S.) gr. 8°. geb. 21 sh.

Um das Entscheidende gleich hervorzuheben: den
Hauptinhalt dieses umfangreichen Bandes bilden längere
und kürzere Auszüge aus dem hochkirchlichen Schrifttum
des 17. Jahrhunderts. Das Werk ist eine Anthologie
der anglikanisch-theologischen Literatur mit Ausblicken
auf angrenzende Gebiete der Politik, Philosophie
und Dichtung, sehr reichhaltig, mit großer Sachkenntnis

zusammengestellt und schon deshalb verdienstvoll, weil
es, zum mindesten in der Form von Proben, schwer zugängliches
Material in Greifweite rückt. Es weckt längst
verklungene Stimmen wieder auf und leistet für die
Hochkirche Ähnliches, wie eine immer noch anschwellende
Literaturmasse für Puritanismus und Dissent. Solcher
Proben enthält der Band im Ganzen 362: Selbstzeugnisse
einer glaubensstarken und kampffrohen Zeit,
die er uns durch sie von einer Seite aus, unmittelbar,
in eigenem Empfinden und Argumentieren, vergegenwärtigt
.

Zwei einleitende Abhandlungen unterziehen sich der
Aufgabe, in den „Genius" des Anglikanertums einzuführen
und den geschichtlichen Hintergrund in den entscheidenden
Ereignissen und Persönlichkeiten aufzuzeigen
. P. E. More schreibt über The Spirit of Anglicanism
(ss. XIX—XL), F. R. Arnott über Anglicanism
in the Seventeenth Century (ss. XLIII—LXXI1I);
beide ohne allzu schweren wissenschaftlichen Ballast,
aber durchaus sachkundig, mit liebevoller Eindringlichkeit
und wohltuender Reinheit der Form und des Ausdrucks
, wie sie der ,beauty of holiness' gerade dieses
Gegenstandes in hohem Grade angemessen erscheint.
Beide sind strenge Hochkirchler, daher in ihrer Kritik
zurückhaltend, aber doch auch frei von aufdringlicher
Apologetik des von ihnen bewunderten Systems. Den
Abschluß des Bandes bilden biographische und bibliographische
Notizen, die ein Personenregister zweckmäßig
ersetzen, und durch Rückverweisungen mit den im Hauptteil
abgedruckten Texten in Verbindung gebracht sind.

Die Auswahl der Dokumente begrenzen die Herausgeber
nach oben durch das Erscheinungsjahr der ersten
vier Bücher von Hookers Laws of Ecclesiastical Polity
(1594): Hooker hat das Fundament gelegt, „über dem
das majestätische Gebäude der karolmischen Theologie
aufgerichtet wurde" (s. XIX). Die untere Grenze bildet
der Einbruch der Aufklärung, genauer gesagt die Amtsenthebung
der sog. Non-Jurors, jener Principienfanati-
ker, die den Treueid für Wilhelm III. und Mary für
untragbar hielten. Die Frage, ob diese Secession von
etwa 400, allerdings zum Teil ethisch und geistig sehr
hoch stehenden, Persönlichkeiten wirklich als ein Wendepunkt
in der englischen Kirchengeschichte angesehen
werden kann, soll hier nicht erörtert werden. Daß hinter
dem Schisma eine wirkliche Glaubensbewegung stand,
ist unbeweisbar; die Streiter waren Theologen, und die
Kämpfe, die ausgetragen wurden, ergriffen im Wesentlichen
nur volksferne geistige Oberschichten.

Die Anordnung des Materials erfolgt nach Kategorien
, deren der Band im Ganzen neunzehn umfaßt,
beginnend mit einem Abschnitt über The Anglkan Faiih,
schließend mit Zeugnissen zur Caroline Piety, dem
hochkirchlichen Frömmigkeitstypus der Periode. Jede
Gruppe ist vielfältig untergeteilt und läßt neben der
beherrschenden Grundrichtung die zahlreichen Schattierungen
, auch Widersprüche und Unstimmigkeiten, vieler
Mitschaffender in erwünschter Vollständigkeit hervortreten
. Neben Auszügen aus den Schriften Jakobs I.,
Bacons und Lauds, der langen Reihe der Kirchenfürsten
und Gelehrten, erscheinen Boyle und Newton, Sir Thomas
Browne und die Cambridger Platonisten, und es
fehlen nicht anglikanische Dichter von hohem Rang,
wie der grüblerische John Donine (Nr. 357) und der
gottselige George Herbert (Nr. 5), dessen Strophen
The British Church den Grundgedanken des Anglikanis-
mus künstlerisch verklären:

The mean (= die goldne Mitte) thy praise and

glory is,
And long may be.

Neben der sachlichen Bedeutung des reichhaltigen
Materials darf eines nicht vergessen werden: sein literarisch
-stilistischer Wert. Wir können über einen kurzen
Hinweis nicht hinausgehen. In diesem Schrifttum entsteht
und formt sich das wundervolle Instrument der
I modernen englischen Prosa. Noch ist es nicht frei von