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Ausgabe:

1935 Nr. 17

Spalte:

307-309

Titel/Untertitel:

Paulus Apostel, A Third-century Papyrus Codex of the Epistles of Paul 1935

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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S07

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 17.

308

Beibehaltung von D'bwrm neben einander und die Tatsache, daß

das Vergehen von 2, 11 f. im Oerichtsspruch von Kapitel 3 nicht mit
aufgeführt wird, sprechen stark gegen die Ursprünglichkeit. Der „Bundesengel
" (3, 1) paßt nicht in den Gerichtszusammenhang, wie auch 3, 4
den Oedankenfortschritt störend hemmt. In 3, 22—24 sieht Bulmerincq
eine Einheit, wenn auch fragmentarisch überliefert, die er nach der
dialogischen Analogie des Buches wiederherzustellen sucht, wobei zugegeben
wird, daß der Zusammenhang zwischen v. 22 und v. 23f. „sich
in der Tat nur sehr künstlich herstellen läßt" (S. 562).

Bei der S ach erkl äru n g stehen wir leicht in der Gefahr, von
N.T.lichen Anschauungen her mehr in den A.T.lichen Text hinein zu
legen, als er tatsächlich besagt. Auch Bulmerincq hat sich von solchen
Überhöhungen nicht immer frei zu halten gewußt. So wird von ihm
1,5 als „Bekenntnis" aufgefaßt, während es doch nur eine einfache
Formel mit üblicher Einleitung ist. „Jahve ist das im Himmel, was
der peha auf Erden ist" (S. 93) erscheint in dieser Formulierung überspitzt
. In die ironische Aufforderung 1,9 scheint mir in Bewertung des
Kultus zuviel hineingelegt; das wird mir deutlich aus v. 10 mit seiner
der vorexilischen Prophetie gleichkommenden Höhenlage. Für 2, 14
findet die Deutung von IVO als „Ehebund" in Prov 2, 17 Hes 16, 8
nur eine recht sehwache Stütze. Aus 1, 11 (dessen Echtheit mir keineswegs
sicher ist) wird ein starker Kontrast zwischen Diaspora und dem
Kult in Jerusalem hergeleitet. Im übrigen wäre größere Straffheit in den
Ausführungen nur erwünscht gewesen.

Für die Komposition des Ganzen folgt Bulmerincq der Einteilung
von Driver. Um 1, 6—2, 9 als Einheit fassen zu können, muß
B. das nnS>1 in 2, 1 mit „darum" übersetzen. 2, 10—16 zeigt sich als
Disput, liegt also auf gleicher literarischer Linie mit 1, 2 — 5 und 3,
6—11. Maßgebend für die jetzige Gruppierung sind Stichworte wie rr~Q
und "DU- Auf den von Vielen angenommenen Zusammenhang von 1,
2 —5 und 3, 6— 11 wird nicht genügend eingegangen, obwohl das
nahe liegt; einmal wegen des rran in 1,2; 3,7.8, zum anderen mutet
das Tli«ia (1,3) und irP31Ü (3, 6) wie ein Wortspiel an. 3, 13—21 gehört
inhaltlich mit 2,17 — 3,5 zusammen, mit dem Vorhergehenden
zusammengestellt durch das Stichwort IfO. Zu 1,6 (S. 46) hätte verwiesen
werden sollen auf ähnliche Sprüche, die solche natürlichen Gesetze
enthalten (vgl. etwa Jer 8, 7). „Spricht Jahwe der Heere" ist nicht
Einleitungsformel (so S. 34), sondern wird gewöhnlich abschließend gebraucht
(vgl. 1, 6. 8).

Aber alle diese Ausstellungen in den Einzelheiten
wollen das Verdienst Bulmerincqs keineswegs verkleinern
. Für die Gesamtbeurteilung gilt auch hier, was wir
in der Besprechung des ersten Bandes gesagt: daß wir
dem Herrn Verfasser für seine gründliche Behandlung
des Stoffes in subtiler Kleinarbeit zu tiefem Dank verpflichtet
sind. Wer sich wissenschaftlich mit Mal beschäftigt
, wird an diesem inhaltsreichen und sauber
gearbeitetem Kommentar nicht vorübergehen dürfen.
Berlin-Frohnau. Curt Kühl.

Sanders, Henry A.: A third-century papyrus codex of the
Epistles of Paul. Ann Arbor: University of Michigan Press 1935.
(XII, 127 S.) 4°. = Univ. of Michigan Studies, Humanistic Series, vol.
XXXVIII. $ 3—.

Im November 1931 erfuhr die gelehrte Welt durch
eine Notiz in der Times, daß Mr. Chester Beatty eine
große Sammlung wertvoller Papyrushandschriften hauptsächlich
biblischen Inhalts erworben habe. Die nähere
Beschreibung in den Fachblättern zeigte, daß es sich hier
in der Tat um einen ungewöhnlich bedeutsamen Fund
handelte. 1933 veröffentlichte Sir Frederic Kenyon den
ersten Teil der Ausgabe dieser Papyri mit einer Beschreibung
und Abbildung aller zwölf Papyri. Das Neue
Testament war darin vertreten mit einem stark verstü-
melten Papyrus aus dem dritten Jahrhundert, der die
vier Evangelien und die Apostelgeschichte umfaßte, ferner
mit einem Pauluscodex, von dem aber nur Stücke
des Römer-, Philipper-, Kolosser- und 1. Thessaloni-
cherbriefes erhalten waren, schließlich mit einem Fragment
von Offenbarung 9—17. In geringen Abständen
folgten die Ausgaben dieser neutesfamentlichen Texte.

in der 1934 erschienenen Ausgabe des Pauluscodex
(und der Offenbarung) stellte Kenyon fest, daß zwischen
Rom. 11,36 und Phil. 4,14 neben allen Gemeindebriefen
des Paulus auch der Hebräerbrief gestanden
haben müsse, weil allein so der Zwischenraum genügend
ausgefüllt werde. Hans Lietzmann unterwarf diesen
Text einer textgeschichtlichen Untersuchung (Sitzungs-
ber. der Berliner Akademie, Phil.-Hist. Klasse 1934,

774ff.). Bereits dort (etwas ausführlicher dann Zeit-
sebr. für Neutest. Wiss. 1934, 221) teilte Lietzmann
mit, daß inzwischen auch der fehlende Teil des Codex
gefunden worden sei. Die hier anzuzeigende Publikation
zeigt, daß die University of Michigan im Winter 1932/33
weitere 24 Blätter des Pauluscodex erworben hatte, die
nun in der vorliegenden Ausgabe zusammen mit den
Londoner Fragmenten veröffentlicht werden. Es handelt
sich in dem hier zum ersten Mal veröffentlichten Teil

! der Handschrift um den in den Chester Beatty-Frag-
menten fehlenden Teil des Römerbriefs (11,35—16,27),

' den größten Teil des Hebräerbriefs (1,1—9,26), 1. Kor.
2,3—3,5; 2. Kor. 9,7—13,13; Eph. 1, 1—6,20; Gal. 1,
1—6, 8, woran dann der zweite Teil der Londoner Fragmente
(Phil., Kol., 1. Tbess.) anschließt. Kenyons Vermutung
, daß die Handschrift den Hebräerbrief enthielt,
hat sich also bestätigt. Sanders berechnet, daß zwischen
Gal. und Phil, gut auch noch der Philemonbrief gestanden
haben könne. Dagegen läßt sich nicht sicher sagen,
ob auf den am Ende der Handschrift zu fordernden 14
Seiten außer dem 2. Thessalonicherbrief, der nur drei
Seiten beansprucht, noch ein Teil der Pastoralbriefe gestanden
hat (für alle drei Briefe würde der Platz bei
weitem nicht reichen). Da sämtliche Blätter von Michigan
Seitenzahlen tragen, die ausgezeichnet zu den wenigen
Seitenzahlen des Londoner Fragments passen, da
auch die Schrift bis auf Kleinigkeiten identisch ist, wie
ein Vergleich der Tafeln in beiden Ausgaben zeigt, kann
kein Zweifel bestehen, daß wir hier eine weithin erhaltene
Handschrift sämtlicher Paulusbriefe haben (es fehlen
immer noch etwa 43 Blätter). Die Datierung beruht
allein auf paläographischen Urteilen; Sanders tritt
für die zweite Hälfte des dritten Jahrh. ein, Kenyon
für die erste Hälfte, Wilcken hat sogar „um 200" vorgeschlagen
; das dritte Jahrhundert dürfte also unbe-
zweifelbar sein.

Es handelt sich in dieser Handschrift (die durch
von Dobschütz die Sigel P 46 erhielt) um einen Papyruscodex
, dessen 51—52 Doppelblätter ursprünglich
eine Lage bildeten. Die Bedeutsamkeit dieser Tatsache
für die Handschriftenkunde hat Kenyon betont. Hier
kann es nur meine Aufgabe sein, die Bedeutung des Textes
für die neutestamentlichc Forschung zu umreißen.
Zunächst ist die Reihenfolge der Briefe außerordentlich
auffällig: Hebr. steht hinter Rom. sonst nur in der
Minuskel 103 (Sanders sagt 1909, diese Zahl ist mir
unerklärlich), die auch Eph. vor Gal. setzt; im übrigen
ist die Reihenfolge von P46 sonst ganz ohne Parallelen.
Daß der Hebräerbrief als Paulusbrief gerechnet wird,
entspricht der in Aegypten seit Clemens Alexandrinus
üblichen Anschauung. Was die Textform betrifft, so
läßt sich zunächst sagen, daß sie keine Überraschungen
bietet. Eine Kollation des Rom. und des Kol. mit Nest-
les Text zeigt an keiner Stelle eine Sonderlesart, die irgendwelchen
Anspruch auf Berücksichtigung als Urtext
I hätte. Vielmehr kann uns P46 zur Bestätigung dafür
I dienen, daß der von der Forschung aus den "Handschriften
des 4. und der folgenden Jahrhunderte hergestellte
j Text erheblich älter ist, sodaß P46 die Zuverlässigkeit
unseres kritischen Textes in den Hauptpunkten bestätigt,
j Dagegen ist das Problem der Textgeschichte durch P40
von neuem gestellt. Die Untersuchungen Lietzmanns
J und Sanders' haben zum mindesten gezeigt, daß der
' neue Papyrus ein sehr bedeutender Zeuge für den unkor-
i rigierten Text Aegyptens vor den Recensionen ist, der
| mit den westlichen Zeugen sehr oft zusammengeht (auf-
i fällig ist die häufige Übereinstimmung von P« mit
B n D). Wir haben hier also einen umfangreichen Text,
der vor den großen Recensionen liegt und darum den
Zustand des ntl. Textes zur Zeit der „wilden" Textüberlieferung
gut erkennen läßt. Daß damit das Problem
des westlichen Textes von neuem gestellt ist, dürfte
klar sein. Unmittelbar für die Textkritik wesentlich ist,
daß P46 öfters zeigt, daß eine nur in westlichen Zeugen
oder bei B belegte Lesart alter ägyptischer Text, also