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Ausgabe:

1935

Spalte:

297-298

Autor/Hrsg.:

Schweitzer, Albert

Titel/Untertitel:

Die Weltanschauung der indischen Denker 1935

Rezensent:

Merkel, Franz Rudolf

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitun

BEGRÜNDET VON EMIL SCHÜRER UND ADOLF VON HARNACK

unter Mitwirkung von Prof. D. HERMANN DÖRRIES und Prof. D. Dr. GEORG WOBBERMIN, beide in Göttingen

HERAUSGEGEBEN VON PROFESSOR D. WALTER BAUER, GÖTTINGEN

Mit Bibliographischem Beiblatt in Vierteljahrsheften. Bearbeitete Bibliotheksrat Lic.Dr.phil. REICH, Bonn, u.Lic.H. SEESEMANN, Göttingen

Jährlich 26 Nrn. — Bezugspreis: halbjährlich RM 22.50

Manuskripte und gelehrte Mitteilungen sind ausschließlich an Professor D. BAUER in Göttingen, Düstere Eichenweg 14, zu senden,
Rezensionsexemplare ausschließlich an den Verlag. Gewähr für Besprechung oder Rücksendung von unverlangt gesandten Rezensionsexemplaren
, besonders noch bei Zusendung nach Göttingen, wird nicht übernommen.
Printed in Germany.

VERLAG DER J. C. HINRICHS'SCHEN BUCHHANDLUNG, LEIPZIG C 1

60. JAHRGANG, Nr. 17 17. AUGUST 1935

Spalte

Anglicanism (Hecht).............315

At i ya : The Crusade of Nicopolis (Schramm) 311
v. Bulmerincq: Der Prophet Maleachi

(Kühl) ...................305

Köhler: Zürcher Ehegericht und Genfer
Konsistorium. I. Das Zürcher Ehegericht
und seine Auswirkung in der deutschen

Spalte

Schweiz zur Zeit Zwingiis (Hoffmann) . . 312

Kühle: Staat und Todesstrafe (Siegelt) . . 319

Nötscher: Das Buch Jeremias (Rudolph) 305

Ritter: Piatonismus u. Christentum (Krüger) 299
San der s: A third-century papyrus codex of

the Epistles of Paul (Kümmel)...... 307

Schweitzer: Die Weltanschauung der inSpalte
dischen Denker (Merkel)..........297

S e p pe 11: Der Aufstieg d. Papsttums (Lerche) jqq
— Das Papsttum im Erühinittelalter (Ders.)j
W i s s ni a n n : Religionspädagogik bei Schleiermacher
(Redeker) ............317

Witte: Deutschglaube und Christusglaube
(Wobbermin)................318

Schweitzer, Dr. Albert: Die Weltanschauung der indischen ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen

Denker. Mystik und Ethik. München: c. H. Beck 1935. (XII, 201 S.) alles, was lebt. Ein auf die Welt gehendes Wirken ist

8°. kavt. RM 3.80; geb. 5—. I l(jem Menschen nur in der Art möglich, daß er sich um

Der nun 60jährige weitbekannte Verfasser (s. Aus die höchste Erhaltung und Förderung alles Lebens, das

meinem Leben und Denken, 1931) setzt in dieser neuen ! m seinen Bereich tritt, bemüht. In diesem Eins-Werden

Darstellung seine kulturkritischen Studien fort und ! mit allem Leben verwirklicht er das tätige Eins-Werden

nimmt darin erneut Stellung zu dem ihn auch früher j mit dem Ur-Orunde des Seins, dem dieses Leben zuge-

schon lebhaft beschäftigenden Problem der Beziehung j hört (S, 193). Schweitzer unterscheidet nun „zwei Ar-

zwischen Mystik und Ethik in ihren letzten Gründen. ; ten von Mystik: diejenige, die sich aus der Annahme

(.Verfall und Wiederaufbau der Kultur'. Kulturphilosophie I; j ein.e[ zwischen dem Welt-Geiste und dem Menschen-

,Kultur und Ethik', Kulturphilosophie II). : g€lste bestehenden Identität ergibt, und diejenige, die

Obwohl nicht fachwissenschaftlicher Indologe hat der j 81clra.Ul.<ter ftW!f'«u0<5?fl^i'lll? ""#!*

Verfasser doch für seine Darstellung die namhaftesten
Kenner dieses Gebietes herangezogen, „um die Weltanschauung
, wie sie sich im indischen Denken findet, in
Kürze und allgemeinverständlich darzulegen und dazu
beizutragen, daß den Gebildeten unserer Zeit die großen
Persönlichkeiten des indischen Denkens, die Probleme,
mit denen es beschäftigt ist, und die Ideen, die es vertritt
, besser bekannt werden, als sie es sind". In dieser

spekulativen Identitäts-Mystik, der indischen wie der
abendländischen, tritt der Verfasser für „eine aus der
Ethik kommende Mystik ein, in der der Mensch unmittelbar
und unverlierbar eine Weltanschauung besitzt,
worin ihm alle Ideale wahren Menschentums feststehen
und aus der er miteinander tiefste Geistigkeit und stärksten
Antrieb zum Wirken empfängt. . . Von den ergebnislosen
Versuchen, Welterkenntnis und Ethik mite inHinsicht
haben wir eine überaus brauchbare Einführung Ä^ÄZÄÄ^ ? ™™™S™> ™uß,.daS
erhalten, in der über die einzelnen Epochen des indischen
Geisteslebens berichtet wird, wobei dem Verfasser
seine genaue Kenntnis der abendländischen Philosophie
sehr zu statten kommt, um das Wesen beider Denkrichtungen
kritisch vergleichen zu können und die Mängel
indischen Denkens bloßzulegen. Das zeigt sich z. B.
an der Beurteilung der Bhagavad-Gltä (S. 152): „Weil
sie die Idee der tätigen Liebe nicht erreicht, ist die Ethik
in der Bhagavad-üitä wie ein rauchendes Feuer, aus

Denken der Menschheit dazu fortschreiten, die Weltanschauung
der Ethik zu entnehmen" (S. 195). Bei der
Angabe der indologischen Quellen im Vorwort, in der
auch Hch. Hackmann und E. Schiller erwähnt werden,
habe ich den Namen Rud. Otto vermißt.

Eine kritische Ergänzung zu Alb. Schweitzers Buch bietet der
Königsberger Indologe H. von Qlasenapp im XXII. Jahrbuch der
Schopenhauer-Gesellschaft (1935) S. 177ff: ,Lebensbejahung und Lebensverneinung
bei den indischen Denkern', worin nachdrücklich darauf
hingewiesen wird, daß im praktischen Leben ein wesentlicher Unter-

. 'r- — i „_ „,».r „„„ • u "'«|."iwwi ua,, ii.< piaiwwuicu Leuen ein wcscuuicucr umer

dem keine Flamme herausschlagt. Immer muü man sich schied zwischen den „lebensverneinenden" Indern und den „lebensbe-
gegenwärtig haben, daß es sich in der Bhagavad-Glta i jahenden Abendländern" nicht bestehe. Bilde doch „das asketische

nicht um liebende Hingebung an den Gott der Liebe
handelt. Gott ist für sie eine über Gut und Böse völlig
erhabene Größe. Und weil sie tätige Hingebung an ihn
verlangt, kommt sie in die Lage, auch die nicht-ethische
Tat als eine Forderung Gottes anzusehen. . . Die Bhagavad
-Gltä hat Sphinx-Charakter. Weil sich in ihr so
wunderbare Sätze von der innerlichen Losgelöstheit von
der Welt, von der haßlosen und gütigen Gesinnung und
von der liebenden Hingebung an Gott finden, pflegt man
das Nicht-Ethische, das sie enthält, zu übersehen. Sie
ist nicht nur das meist gelesene, sondern auch das meist
idealisierte Buch der Weltliteratur" (S. 153). Seine anregenden
Ausführungen schließt der Verfasser mit einem
zusammenfassenden .Rückblick und Ausblick', worin er
seine existcnziell-ethischen Ideen im Hinblick auf eine
„ethisch gedeutete Mystik" prägnant herausstellt. „Ethik

297

Schrifttum auch in Indien nur einen Bruchteil seiner Literatur", da „die
Erlösung nach indischer Anschauung doch nur eines von den drei Zielen
des menschlichen Lebens sei" —: „Liebe, Erwerb und Pflichterfüllung".
Eine „Darstellung der indischen Weltanschauung, die auf Vollständigkeit
Anspruch erheben will, müßte deshalb auch diejenigen Werke indischer
Dichter und Denker heranziehen, in welchen Daseinsfreude, Tatendurst,
heroischer Sinn, Lebensklugheit und werktätige Nächstenliebe einen Ausdruck
gefunden haben." v. Qlasenapp weist auch noch darauf hin, daß
es „eine ganze Reihe von philosophischen Systemen in Indien gebe,
welchen asketische Gedanken fernliegen; der Lingakult, der Shaktismus
und die Krishnaverehrung mit ihren Fruchtbarkeitsriten zeigen aufs deutlichste
, daß auch im Gebiete des religiösen Glaubens nie eine einseitige
Lebensverneinung Platz gegriffen habe" (180). Da sich Schweitzer zumeist
auf ältere indologische Werke stützt, so ist es wohl auch erklärlich
, daß die für die Ethik und Religionswissenschaft bedeutsame Phänomene
, wie Yoga oder Tantrismus, unerwähnt bleiben.

München. F.R.Merkel.

298