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Ausgabe:

1935 Nr. 1

Spalte:

285

Autor/Hrsg.:

Murtfeld, Rudolf

Titel/Untertitel:

Das Erbe des Liberalismus im Kampf um Kirche und Schule 1935

Rezensent:

Redeker, Martin

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Seite 1

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285

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 15/16.

286

Feu erer, Dr. Georg: Der Kirchenbegriff der dialektischen

Theologie. Freiburg i. Br.: Herder & Co. 1933. (X, 133 S.) gr. 8°.

= Freiburger Theolog. Stud., unter Mitwirkg. der Professoren d. Theol.

Fakultät hrsg. v. A. Allgeier u. E. Krebs, 36. H. RM 3.20.

Die gründliche Studie gibt zunächst einen Überblick
über die Theologie K. Barths und eine Analyse seiner
Grundbegriffe. Der 2. kritische Teil verliert sich dann
nicht in eine Polemik, die den katholischen Kirchenbegriff
einfach dem dialektischen gegenüberstellt. Vielmehr
wird zunächst die Aporetik des Barth&chen Kirchenbegriffs
, die sich aus seinem verengten Offenbarungsbegriff
und der abstrakten Dialektik von Ewigkeit
und Zeit ergibt, aufgedeckt. Aber trotz allen ernsten
Bemühens kann diese Kritik nicht befriedigen. Denn
die typisch katholische Idee des hierarchisch gegliederten
Seins, der „ontischen Einheit zwischen Göttlichem
und Geschichtlichem" (101) hindert ihn daran, das
Wesen des reformatorischen Offenbarungsbegriffes, der
Offenbarung Gottes in der Geschichte sub contrario
deutlich sehen und den Unterschied zwischen der Abstraktheit
der dialektischen Theorie und der Konkretheit
des reformatorischen Offenbarungsglaubens zu erkennen.
Sie verschließt ihm damit sein Eindringen in das wahre
Wesen des reformatorischen Kirchenbegriffes.

Münster i. W. Martin Redeker.

Murtfeld, Rud.: Das Erbe des Liberalismus im Kampf'um
Kirche und Schule. Langensalza: J. Beltz 1935. (56 S.) 8°. RM 1.50.
In seiner kleinen anregenden Schrift sucht der Verf.
die wesentlichen Grundkonzeptionen herauszustellen, die
das geistige Schicksal des deutschen Volksschullehrerstandes
im IQ. Jahrhundert bestimmten und seine geistig
-seelische Struktur, bes. sein Verhalten zu Volk, Staat
und Kirche formten. Das Verhältnis von Volksschule
und Kirche tritt dabei in den Vordergrund. Die Schrift
ist nicht eine einseitige Anklage gegen die Kirche und
den Pfarrerstand, obwohl sie scharf die Schuld der Kirche
an dem Auseinanderwachsen von Kirche und Schule,
Kirche und Volk ans Licht zieht. Denn das Versagen
der Volkschullehrerschaft und ihrer geistigen Führer
gegenüber den religiösen, nationalen und sozialen Problemen
des 19. Jahrhunderts wird ebenso scharf nachgewiesen
. Die prophetische Rolle von Wichern und
Dörpfeld ist gut gesehen. Am erfreulichsten ist aber,
daß ein geistiger Anwalt der Volksschullehrer in der
Gegenwart auf Grund des geistesgeschichtlichen Rückblickes
und der Erkenntnis der neuen religiösen, nationalen
und sozialen Aufgaben die Forderung erhebt:
„Neue Aufgaben sind der Geistlichkeit und Lehrerschaft
erwachsen, die zu einer Front zwingen, weil einem
Ziele alles Denken und Wollen und Tun nur dienen
und von einer Not nur ausgegangen werden kann."
Münster LW. Martin Redeker.

Bohne, Prof. Dr. Gerhard : Evangelische Religion. Gegenstand
U.Gestaltung. Leipzig: Jul. Klinkhardt 1934. (96 S.) gr. 8°. =
VölkischesLehrgut, Schriftenreihe zur Neugestaltung des Volksschulunterrichts
, hrsg. v. Kurt Higelke. RM 2.80.
Das vorliegende Buch des Verfassers ist sichtlich
gemäßigter und konkreter als sein früheres Werk über
das Wort Gottes und den Unterricht (vgl. meine Besprechung
in der Theologischen Literaturzeitung 1932, Sp.
476). Es fallen allerdings immer noch Urteile über den
Idealismus, die deutlich erkennen lassen, daß der Verfasser
hier nicht aus existenzieller Sicht spricht, sondern
Vorurteile fällt, früher hätte man gesagt, über nicht erlebte
Dinge redet, gegen die er bloß im Ressentiment
steht. So wird z. B. das „Streben" im Idealismus stark
mißdeutet, wenn es so in Gegensatz zum Handeln gebracht
wird, als bedeute es eine Dispensation vom Handeln
. Und gar die Ansicht, aus idealistischem Religionsverständnis
heraus sei behauptet worden, daß die Religion
„für das praktische Leben nichts bedeute", dürfte
schwerlich bei maßgebenden Wortführern dieser Richtung
zu belegen sein. Aber im ganzen zeigt das Buch
im Anschluß an Heidegger und Gogarten deutlich und

richtig die Wendung vom idealistischen zum existenziel-
len Denken in Philosophie und Theologie. Darnach ist
Religion keine besondere Seelenhaltung, keine „eigene
Provinz", sondern die existentielle Situation, in der der
Mensch vor Gott steht, der ihn anredet und zur Verantwortung
ruft.

Die Aufgabe des Religionsunterrichts wird von hier
aus folgerichtig dahin bestimmt, daß er nichts anderes
solle, „als das Kind dorthin führen, wo es Gott be-
j gegnen kann, und ihm helfen, zu vernehmen, was Gott
I ihm zu sagen hat, und zu tun, was er fordert". Dieser
Zielsetzung wird man zustimmen, umsomehr, als sie in
j Erkenntnis der existenziellen und psychologischen Lage
i des Kindes durchgeführt werden soll. Es entspricht der
! heutigen Wirklichkeitserkenntnis, daß der Religionsunterricht
nicht die „Anlagen" des Kindes entwickeln und
kein „Bedürfnis" des Kindes befriedigen, sondern daß
er verkündigen soll.

Es ist zweifellos ein Verdienst des vorliegenden
Buches, daß der Begriff der Verkündigung jetzt klar
bestimmt und gegen irrige Deutungen, die nahe liegen,
j abgegrenzt wird. Verkündigen heißt danach, den Schü-
| 1er in die Entscheidung stellen, ob er zu Gottes An-
i spruch ja oder nein sagen will. Wie sich diese Ent-
. Scheidung in der Richtung immer zunehmender Selb-
i ständigkeit von der Kindheit über die Pubertät zur Reife
i entwickelt, wird treffend gezeigt. Es ist wiederum das
J Verdienst dieses Buches, daß es überzeugender als das
| frühere Werk die Dialektik von Psychologie und Wort
i Gottes zugunsten praktischer Arbeitsanweisung über-
', windet und damit manchem kritischen Einwand gegen
die frühere Schrift Genüge tut.

Was dann zur Unterrichtsarbeit im einzelnen gesagt
wird, verrät den erfahrenen Praktiker, der übrigens in
der Kritik an manchen religionspädagogischen Entglei-
i sungen früherer Zeiten mit der Kritik einer alten ideali-
i stischen Religionspädagogik zusammentrifft. Was da
j z. B. zu den Wundern, besonders zur Totenerweckung
i gesagt wird, kann man nur begrüßen: „Der christliche
Gedanke ist nicht, daß Gott tote Leute wieder ins irdische
Leben ruft, sondern daß er ihnen das ewige Le-
j ben schenkt." Die Kritik an der häufigen Wiederholung
I der Jesusgeschichten trifft das Richtige. Das alte Testament
aber wird m. E. doch zu viel herangezogen, dabei
1 wird allerdings richtig gesehen, daß es beim alten Testament
im Religionsunterricht auf das Handeln Gottes an
den Menschen und nicht auf eine Verherrlichung dieser
Menschen ankommt. Zuzustimmen ist auch der Wertung
Jesu als des Christus, die Jesus über das bloß
i Heldische hinaushebt. Es ist unübertrefflich formuliert,
j wenn es S. 40 heißt: „Nicht das ist die Frage, was für
eine Art Mensch Jesus war, sondern das, ob wir durch
ihn Gott finden und erlöst werden."

Dem völkischen Gesichtspunkt wird von Bohne voll
Rechnung getragen, aber immer mit dem Bestreben, das
Völkische in das Licht des Ewigen zu rücken: Es handelt
sich nicht um menschliche Eigenart, sondern um Gottes
Wirken und Willen. „Wo wir einzelne Männer oder
■ Frauen betrachten, wollen wir nicht die menschlich
deutsche Art dieser Menschen in erster Linie sehen, sondern
vielmehr Gottes Werk an ihnen und durch sie. Wir
sehen ihren Gehorsam gegen Gottes Willen, wie sie mit
, wachem Gewissen merken auf den Auftrag, der ihnen
gestellt ist, und wie sie ihn erfüllen."

So legt man das Buch mit weitgehender Befriedi<nino-
aus der Hand, die durch mancherlei Widersprüche oegen
Einzelheiten nicht wesentlich beeinträchtigt werden '"kann
Wenn noch etwas mehr Verständnis Platz greifen würde
für geistige Haltungen, die zwar heute mehr und
mehr der Vergangenheit angehören, die aber zu ihrer
Zeit und in ihrer Art ihr Recht und ihre Größe hatten,
dann wird dieses Buch vielleicht noch eindrucksvoller
i werden. Es ist zunächst für die Volksschule geschrieben,
es wird aber auch den Religionsuniterricht der höherja
Schule mit gestalten helfen.

Düsseldorf. Kurt Kessel er.