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Ausgabe:

1935 Nr. 1

Spalte:

282-284

Autor/Hrsg.:

Hartmann, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Paul de Lagarde, ein Prophet deutschen Christentums 1935

Rezensent:

Knothe, Paul

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281

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 15/16.

282

.Die Mystik im lutherischen Pietismus, dargestellt auf Grund der Erbauungsschriften
Johann Porsts (1668-1728)" bringt als Schluß seiner
im Jahrgang 1931 beginnenden großen Arbeit eine Untersuchung der
religiösen Grundsätze, von denen sich Porst in der Auswahl und Anordnung
der Lieder und in den vorgenommenen Textänderungen in
seinem Gesangbuch hat leiten lassen. — Walter Wendland: „Der
Pietistische Landgeistliche in Brandenburg um 1700" schöpft aus der
Schilderung der Zustände in seiner Gemeinde, die Christoph Matthäus
Seidel, 1700—1707 Pfarrer in Schöneberg in der Altmark, für seinen
Nachfolger verfaßt hat, und aus Nachrichten über die Amtsführung des
Pfarrers Joh. Porst in Malchow bei Berlin 1698—1704. Wieder haben
vir in Einzelbeispielen festen Boden unter den Füßen. Es zeigt sich,
daß die ersten pietistischen Landgeistlichen bei dem nüchternen Landvolke
mit ihrem Gefühlsüberschwang und ihrem Drängen auf Bekehrungser- I
lebnisse wenig Verständnis fanden, aber durch ihre ernste Amtsauffassung,
auch durch ihre Schultätigkeit viel zur Ueberwindung der noch vom ;
30jährigen Kriege her spürbaren sittlichen Schäden beitrugen. — Der i
Herausgeber schildert ferner »Die Berufung Adolf Harnacks nach Berlin |
i-J. 1888 (auf Grund der Akten des Evangelischen Ober-Kirchenrats)", i
Daß er nicht auch die Akten des Kultusministeriums eingesehen hat,
stört nicht, sie lassen sich aus den Verhandlungen mit dem E. O. K.
rekonstruieren. — Endlich liefert W i 1 h. B i c k e r i c h : „Zur Geschichte
der Unitarier in der Neumark" aus den Tagebüchern des Berliner Hof-
Predigers Daniel Ernst Jablonski Ergänzungen zu den Forschungen von
Paul Schwartz und Theod. Wotschke.
Zwickau. °- Clemen.

Metzke, Erwin: J.G.Hamanns Stellung in der Philosophie
des 18.Jahrhunderts. (Eine Preisarbeit.) Hallea.S.: M. Niemeyer 1934.
(VIII, 146 S.) gr. 8°. = Schriften d. Königsberger Gelehrten Ges.
10. Jahr. Geisteswiss. Kl. H. 3. RM 10—.

Der Verf. beabsichtigt, „sich des philosophischen
Gehaltes der Autorschaft Hamanns interpretatorisch zu
bemächtigen, ihn insbesondere in seinen inneren Zusammenhängen
und seiner geschichtlichen Bedeutung darzustellen
". Er verzichtet daher darauf, die Entwicklungslinien
bei Hamann in den einzelnen Epochen aufzusuchen
; nur die Frühaufzeichnungen Hamanns, die in die
Zeit seiner Bekehrung fallen, werden gesondert analysiert
, um von diesem Ursprünge seines Welt- und Lebensverständnisses
aus seine Grundintentionen möglichst
in ihrer Ursprünglichkeit zu erheben und danach erst die
Auseinandersetzung mit seiner Zeit darzustellen. Eine
Bereicherung der bisherigen Hamannforschung ist zunächst
die Benutzung eines Teiles des bisher ungedruckten
Quellenmaterials, ferner die bewußt philosophische
Blickrichtung der Untersuchung gegenüber den bisher
meist theologischen oder literarisch - geistesgeschicht-
Hchen und ästhetischen Analysen. Der Verf. sucht nachzuweisen
, wie bei Hamann ein neues Wirklichkeitserleben
und ein neuer Wirklichkeitsbegriff durchbricht. Es
handelt sich dabei um einen radikalen Durebbruch, der
aus der unmittelbaren geistigen Mitwelt des 18. Jahrhunderts
nicht abzuleiten ist, sondern Hamann in Verbindung
mit Luther einerseits und der modernen Lebens
- und Existenzphilosophie anderseits bringt. Der
Verf. verzichtet auf den Nachweis genealogischer Abhängigkeiten
, will vielmehr den innerlichen sachlichen con-
sensus herausstellen, der in der Wirklichkeitsauffassung
sich kundtut. Die Wirklichkeit ist nicht mit den Mitteln
der rationalistischen Ding- und Substanzkategorien aus
sich selbst heraus zu verstehen, sondern von der Transzendenz
her. Von dort erschließt sich von neuem das
Geheimnis, der Widerspruch und die Zeitlichkeit des
weltlichen Seins, anderseits aber auch die Wirklichkeit
als Urfaktum, in neuer Unmittelbarkeit, Ganzheit und ,
Ursprünglichkeit als auf den Ursprung, den Schöpfer bezogen
. Diese Transzendenz ist nicht ein leeres Ding-an
sich, sondern erhält Inhalt vom christlichen Offenbarungsglauben
aus. Die Offenbarung ist nicht ein Ens
der Ferne, des ungeheuren Abstandes Gottes von der
Welt, sondern ein Eingehen Gottes in die Welt, eine Inkarnation
. Jedoch ist sie stets so gesehen, daß Gott
seine Transzendenz und seine Personalität wahrt. Dadurch
wird jede einseitige Verabsolutierung der Innenwelt
(Pietismus) oder der dinglich-materiellen Außenwelt
, der Transzendenz oder der Immanenz verhindert.

Das deutlichste Beispiel für die Richtigkeit dieser
Wirklichkeitsauffassung ist für Hamann die Sprache.
„Im Wort geschieht die ursprüngliche Vergegenwärtigung
alles Seins in seiner Wahrheit. Im Wort und als
Wort spricht das Sein selbst zu uns. Weder sinnleere
Tatsächlichkeit noch ein anschauungsleeres Ens, sondern
konkrete Wirklichkeit — sinnhaft und sinnlich, Geist
und Leib, Transzendenz und Immanenz zugleich — ist
es ursprünglich Wort" (244). So ist Reden „Übersetzen
aus einer Engelsprache in eine Menschensprache". Die
Sprache ist also nicht Ausdruck menschlicher Innerlichkeit
oder rationale Kategorie; ist Wort zwischen Personen
, ein Wort, das der Seele verkündigt und im Empfangen
geboren wird.

In der Bestimmung des Verhältnisses Hamanns zu
seinen Zeitgenossen, bes. zu Herder kann man im einzelnen
anderer Meinung sein als der Verfasser; wichtiger
ist das Gesamtresultat dieser tiefdringenden Analyse
Hamanns: 1. Es wird bei Hamann besonders deutlich,
wie in der Frühzeit der geistigen Welt des deutschen
Idealismus bisher wenig beachtete Denkmotive, die aus
dem christlichen Offenbarungsglauben stammen, wirksam
werden und das Verständnis der menschlichen Geschichte
, der Vernunft und der Wirklichkeit überhaupt
bedingen. Es lebt hier eine christliche Unterschicht, die
deshalb von den damaligen Autoren so wenig hervorgehoben
wird, weil sie als selbstverständlich vorausgesetzt
wird, die dann in der Geschichtsphilosophie des deutschen
Idealismus, wie der Kritiker bei Herder zu zeigen
versuchte, zwar abgewandelt wird, aber doch fortwirkt
und bei der Deutung des deutschen Idealismus
nicht übersehen werden darf.

2. Bringt die Untersuchung den Nachweis, wie Wissen
und Glauben, Philosophie und Theologie bei aller
Unterschiedenheit und Geschiedenheit sich doch in ihrem
Anliegen begegnen, und wie vom christlichen Offenbarungsglauben
aus Motive ausgehen, die die denkerische
Erfassung der Wirklichkeit tief beeinflussen. Es
handelt sich dabei nicht um eine bestimmte christliche
Schulphilosophie, aber um eine Metaphysik, die aus Motiven
des christlichen Glaubens genährt wird.
Münster i. W. Martin Redeker.

Hartmann, Lic. Wilhelm: Paul de Lagarde, ein Prophet deutschen
Christentums. Seine theologische Stellung, Religionsanschauung
u. Frömmigkeit. Halle a. S.: Akademischer Verlag 1933. (191 S. m.
1 Abb.) gr. 8°. = Theologische Arbeitenz. Bibel-, Kirchen-u. Geistesgeschichte
. Hrsg. v. E. Barnikol. Bd. 1. RM 4.60 ; geb. 6.20.
Paul de Lagarde ist bisher als Fachgelehrter und
als Politiker eingehend gewürdigt worden, aber noch
nicht als Theologe, der er sein wollte. Diese Lücke in
der Literatur über Lagarde (Lg.) will der Vf. ausfüllen.
Er behandelt deshalb Lg. nach den im Untertitel angegebenen
drei Gesichtspunkten, nachdem er vorher die
Urteile namhafter Theologen über Lg. angeführt und
Lg. als Theologen und Propheten geschildert hat. — Im
1. Hauptteil wird Lgs. Stellung im Rahmen der Geschichte
und Theologie der Kirche eingehend dargelegt.
S. 27—36. Er schätzt den Rationalismus, dem
er die Geschichtsforschung als eigentliches Arbeitsgebiet
zuweise. Rationalistisch sei auch seine Stellung zum AT.,
sofern er die Urgeschichten wegen der dogmatischen
Folgerungen, die daran geknüpft würden, und wegen
ihres Abstandes vom Gegenwartsbewußtsein für den
Jugendunterricht ablehne; Vf. hebt aber hervor, daß Lg.
für die Werte des AT. volles Verständnis habe. Nicht
billigt Vf. die Ablehnung der von Lg. falsch verstandenen
Religionstheorie Schleiermachers, die, wie Vf. unter
Berufung auf Wobbermm darlegt, sich sehr wohl mit
der Lgs. vereinigen ließe. — Vf. stimmt Lg. zu, wenn
er den P i e t i s m u s mit Ritsehl in der Linie der mittelalterlichen
katholischen Mystik sieht, und findet bei Lg.
ein bewußtes neues Erfassen dieser Frömmigkeitsbewegung
, in der Lg. die Grundlage der Frömmigkeit der