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Ausgabe:

1935 Nr. 1

Spalte:

272

Autor/Hrsg.:

Goldmann, M.

Titel/Untertitel:

Hebräisch in einem Band 1935

Rezensent:

Duensing, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 15/16.

272

dir" (Gen. 27, 28 ; 48, 20) sind keine Gebete, ebenso wenig die „Fluch-
Gebetswünsche" wie „Der Herr tue mir dies und das" (S. 77) oder
einfache Hilfeschreie wie „Gewalt!" (jer. 20, 8; Hab. 1,2; Job. 19,7),
die man wohl kaum als „Stoßgebete" (S. 67) bezeichnen kann. Auch
das „Hinaus, hinaus, Blutmensch!" (II. Sam. 16,7) hat schlechterdings
mit einem Gebet nichts zu tun. Orakelfragen sind keine Gebete trotz
I. Sam. 23, lOff. Auch das „Preisgebet" (S. 173) ist an Menschen gerichtet
und vor Menschen gesprochen; daß es von Gott handelt, genügt
für ein Gebet nicht. Das Zwiegespräch Jud 6, 22 (S. 123) hat nichts,
was es als Gebet auch nur einigermaßen charakterisieren würde. Zuweilen
fühlt Wendel selber, daß seine Abgrenzung zu wünschen übrig läßt;
so, wenn er zu Gen. 49, 25 und Jer. 31, 23 f. sagt, da sie „nicht eigentlich
freie Laiengebete" S. 79) seien, oder wenn er bei den „Gebets-
wiinschen" anerkennt, daß sie ihrem Charakter nach recht verschieden
sind: „manche sind mehr in Gebetston und Gebetsstimmung gesprochen,
manche nicht nur formelhaft, sondern in der Art von weltlichen Redensarten
" (S. 11).

Ein weiteres Bedenken ha* es mit der Überlieferung
des Stoffes zu tun. Jud. 13,8 ist im Text
ausdrücklich als Bitte an Gott überliefert; aber es bleibt
dabei zu fragen, wieweit mit Rücksicht auf den Erzählungsstil
das Gebet auch wirklich wörtlich wiedergegeben
ist. Es würde aller orientalischen Gepflogenheit
widersprechen, wenn — wie hier im überlieferten Text
— auf die Anrede an die Gottheit sofort ohne jede „cap-
tatio" die Bitte ohne Umschweife folgen würde.

Auch an dieser Frage ist Wendel nicht vorübergegangen; mehr als
einmal (z. B. S. 102. 124. 145. 196. 250) erwägt er den Gedanken, daß
wir es mit Kompositionen oder verkürzten Referaten zu tun haben werden
; allerdings ohne für die Bearbeitung diesen Gedanken genügend
in Rechnung zu stellen. Auch I. Sam. 23, 10 ff erscheint mir als Inhaltsangabe
und nicht als Originalgebet.

Die soeben zitierte Stelle bezeichnet Wendel als
„Orakelgebet", während es nach den von Gunkel aufgestellten
Gesetzen der Gattungsforschung das „Klagelied
eines Einzelnen" ist, deutlich als solches dokumentiert
durch die Anrede an die Gottheit und die Bitte um
Gehör. Daraus ergibt sich als dritte Frage, inwieweit
die Gattungen auch wirklich richtig beurteilt sind.
Das angebliche „Dankgebet" II. Sam. 7,18—29 (S.210)
hat seinen Schwerpunkt garnicht in dem Danken, sondern
in den Bitten (v. 25. 27. 29).

Ebenso haben wir es II. Sam. 24, 10 nicht mit einem „Bußgebet"
(Wendel S. 145) sondern mit einem individuellen Klagelied zu tun. Wendel
bezeichnet dieses „Bußgebet" selbst „ebenso wie das Dankgebetals eine
fragliche Größe" (S. 146); aber er zieht nicht die notwendigen Folgerungen
daraus. Denn z. B. Jud. 10, 10 ist, wie aus v. 15 hervorgeht,
nur das Resümee eines Volksklageliedes, wie auch I. Sam. 12, 10 sich
ganz deutlich als verkürzte Wiedergabe eines solchen erweist. „Gelübde"
sind, sofern sie der Gebetsform entsprechen, gleichzusetzen der literarischen
Gattung der „Klagelieder", wie auch Wendel zugibt, daß sie
„streng genommen ein Bittgebet" (S. 111) verkörpern.

Gattungsforschung ist nicht eine Liebhaberei, die
man je nach Neigung betreiben oder unterlassen kann,
sondern sie ist eine notwendige Vorarbeit zum Verständnis
der Texte.

Hätte der Herr Verfasser hierauf mehr Gewicht gelegt
, so wäre von hier aus einiges Licht gefallen auf die
Frage, inwiefern sich Laiengebet und K u 11 g e b e t
unterscheiden. Die von uns gebrachten Einwendungen
zeigen den inneren Zusammenhang von Laiengebet und
Kultgebet; wobei wir die Meinung vertreten, daß das
„Laiengebet" weithin seine Form und vielleicht auch seinen
Inhalt von dem kultisch gebundenen Gebet her genommen
hat. Ich glaube, daß Wendel diese Abhängigkeit
nicht genügend stark in seine Beurteilung einbezieht.

Doch wir brechen ab. Letztlich kommt es darauf an
festzustellen, wieweit es dem Verfasser gelungen ist, ein
getreues Abbild dessen zu bieten, was er bieten wollte.
Und hierzu müssen wir zu unserm Bedauern sagen, daß
bei allem Fleiß und aller Gelehrsamkeit, bei allem
Eifer und Scharfsinn, was wir durchaus gern anerkennen
wollen, und bei aller Förderung, welche diese Untersuchung
durch feine Beobachtungen im einzelnen bietet,
der dem Thema des Buches entsprechende Endzweck
nicht erreicht zu sein scheint und u. E. auch nicht erreicht
werden konnte, weil das Thema nicht genügend
in der Bearbeitung abgegrenzt worden ist.

Berlin-Frohnau. Curt Kühl.

Gold mann, Dr. M.: Hebräisch in einem Band. Berlin-Charlottenburg
4/Tel-Aviv: Verlag Sefathenu 1934. (344 S.) gr. 8°.

in 1 Bd. geh. RM 7.50.
Angeregt von Moses Mendelssohn, praktisch verwirklicht
zuerst in zionistischer Poesie, lexikalisch ausgebaut
von dem in Armut lebenden, von Tuberkulose heimgesuchten
, von den orthodoxen Juden aus Jerusalem vertriebenen
Ben Jehuda, ist das sich aus dem klassischen
Hebräisch der Bibel entwickelte, den modernen Bedürf-
l- nissen angepaßte Neuhebräisch die Muttersprache der
I in Palästina lebenden Juden geworden. Aber auch an-
j derswo ist unter den Juden der Welt ein wachsendes Bemühen
festzustellen, das lebende Hebräisch zu studieren
und in Gebrauch zu nehmen, wenn auch nicht in so
ausschließlicher Weise, wie das in Palästina geschieht.
Dem Unterricht in diesem Neuhebräischen dient das
, vorliegende Buch. Mit dem Namen Neuhebräisch, der
übrigens im Titel vermieden ist, ist hier nicht jenes
| Hebräisch gemeint, in dem die Mischna und die Midra-
l schim abgefaßt worden sind. Handelt es sich also um
j das Hebräisch, wie es heute geschrieben und gesprochen
wird, so wird doch der, welcher das in dem Buche
1 gelehrte Hebräisch beherrscht, zugleich imstande sein,
, die jüdische Literatur, auch die des A.T., zu verstehen.
; Das ist der Grund, warum dieses Buch an dieser Stelle
. gewürdigt zu werden verdient. Dem Zweck, auch das
i Hebräisch des A.T. dem Verständnis zugänglich zu machen
, dienen daher entnommene Übungsstücke wie Psalm
137, Ruth 1, Jesaja 40. Der Aufbau des Lehrbuches
ist klar und geschickt und die grammatischen Ausführungen
wissenschaftlich zureichend; so wird z. B. in
| § 14 das Philippische Lautgesetz behandelt. Dem, der
das Buch zum Selbstunterricht gebrauchen will, ist das
Hineinarbeiten dadurch erleichtert, daß weithin das Hebräische
auch in Tran-sscription geboten wird. Die
Übungsstücke sind teils anmutig und witzig, teils beleh-
; rend wie etwa die auf Seite 209 und 214 über die Zeit
oder über die Zeitrechnung S. 211. Zu den letzteren
darf man auch die aus der Mischna gebotenen Stücke
rechnen. Neben diesem darin enthaltenen späteren Hebräisch
ist auch für die allermodernste Sprachentwicklung
gesorgt bis hin zur „Zentralheizung". Die Ausstattung
des Buches ist gut. Der Satz ist verhältnismäßig
sauber, aber das beigegebene Druckfehlerverzeichnis ist
noch nicht vollständig, siehe z. B. S. 209 Textzeile 11
v. u., wo es in der Klammer ' statt l heißen muß oder
etwa Z. 4 des Textes v. o., wo tischrl statt tischre
punktiert werden muß.
Goslar a. H. Hugo Duensing.

Haller, Johannes: Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit. 1.
Bd.: Die Grundlagen. Stuttgart: I. G. Cotta 1934. (XIV, 512 S.)
gr. 8°. RM 12-; Lwd. 15.50; Hpt. 18.50.

In meiner Anzeige der Papstgeschichte von Seppelt
und Löffler (in dieser Ztg. 1934, Sp. 155—157)
schrieb ich nach Aufzählung der in der letzten Zeit erschienenen
oder noch erscheinenden Werke über das
Papsttum: „Wer jetzt noch mit einer ähnlichen Darstellung
kommen wollte, könnte wahrlich nicht mehr behaupten
, eine ,Lücke ausfüllen' zu wollen." Hatte ich
dabei auch in erster Linie volkstümliche, auf weitere
oder weiteste Kreise berechnete Darstellungen im Auge,
so hätte ich den Satz doch nicht geschrieben, wenn ich
gewußt hätte, daß Joh. Haller mit einer Geschichte des
Papsttums beschäftigt und der erste Band eben am Erscheinen
sei. Denn daß ein Gelehrter wie er, der (zum
Teil in Verbindung mit andern) die Akten des Konzils
von Basel (Concilium Basiiiense, Bd. 1—4, 1896—1903)
herausgab, in seinem Werk „Papsttum und Kirchenreform
" (1. Bd. 1903) die Päpste von Avignon und die
Reformbestrebungen des ausgehenden Mittelalters in
neuem Lichte vorstellte, dann „Die Quellen zur Geschichte
der Entstehung des Kirchenstaates" (1907)
veröffentlichte und sich auch in seinen übrigen Werken
| als Meister der Geschichtsforschung und Geschichts-