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Ausgabe:

1935 Nr. 1

Spalte:

253-255

Autor/Hrsg.:

Preisker, Herbert

Titel/Untertitel:

Geist und Leben 1935

Rezensent:

Bertram, Georg

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Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 14.

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dringenden theologischen Bemühen getragen, und sie
gehört zu den tüchtigen Monographien zum NT., die uns
in letzter Zeit geschenkt worden sind. Die Auseinandersetzung
mit ihr ist sehr lohnend. Ich meine freilich,
daß man vieles anders sehen muß. Mein Bedenken richtet
sich vor allem gegen die Grundthese des Vf.'s, die
wie ich glaube zu einer Entleerung des öoSa- Begriffs
in der LXX und bei Paulus und Johannes führt.
Ich befinde mich aber in Übereinstimmung mit dem
Vf.. wenn er in seinem Schlußwort sagt, daß die Herr- |
lichkeit üottes „zu jenen vielleicht wenigen, zentralen,
ewigen Begriffen der Religionsgeschichte gehört". Über
allen Bedenken und kritischen Anmerkungen aber steht
der Dank an den Vf. für seine Studie, die ich als gehaltvolle
Ergänzung meiner eigenen Doxa-Arbeit empfinde.
Berlin. Johannes Sch n e i d er.

P r e i s k e r, Prof. D. Herbert: Geist und Leben. Das Telos - Ethos
d. Urchristentums. Gütersloh: C. Bertelsmann 1933. (VII, 242 S.)
gr. 8°. RM 7—; geb. 8.50.

Die Einzelfragen der Ethik des Neuen Testaments
haben in den letzten Jahren eine immer steigende Beachtung
gefunden. Das Problem der Bergpredigt und
das des paulinischen Imperativs stehen dabei im Mittelpunkt
. Zu einer Zusammenfassung, zu einer neutesta-
mentlichen Ethik ist es seit dem bekannten Werk von
Hermann Jacoby (1SQ9) kaum mehr gekommen. Die
neutestamentliche Ethik Jacobys war ein Gegenstück
zu den neutestamentlichen Theologien, auch wenn der
Verfasser keineswegs eine Zweiteilung in eine neutestamentliche
Glaubens- und Sittenlehre befürworten möchte.
So verfuhr sie auch nach derselben Methode der Lehrbegriffe
, die für Jesus, Paulus und für die übrigen
Schriften und Schriftengruppen des Neuen Testaments
gesondert und unter Berücksichtigung ihrer Eigenart
behandelt wurden. Einleitungswissenschaftliche Annahmen
stehen also am Eingang dieser Ethik, die damit von
selbst in eine Reihe von einander ergänzenden aber auch
widersprechenden Ethiken auseinanderfällt und so der
Gefahr einer nomistischen und kasuistischen Auffassung
der neutestamentlichen Ethik unterliegt. Erst im letzten
Menschenalter hat sich die Forschung nicht zuletzt unter
dem Einfluß der religionsgeschichtlichen Methode von
der Versteifung auf die Quellenkritik und dem Schematismus
der Lehrbegriffe befreit. Gleichzeitig verlangte
die Frage nach der Eigenart der neutestamentlichen
Botschaft in ihrer religiösen Umwelt neue und schärfere
Beachtung. Nicht die Form der Verkündigung, nicht die
daraus fließende sittliche Forderung als solche bestimmen
die Eigenart des Neuen Testaments. Sie liegt vielmehr
in der Dvnamis der Botschaft, die hinter all ihren
Ausdrucksformen, hinter Glauben und Liebe in der konkreten
christlichen Gemeinschaft steht; sie liegt nicht in
der Ethik sondern im Ethos, in der einheitlichen Bestimmtheit
der christlichen Lebenshaltung durch die
glaubenweckende Botschaft. Von dieser Einheitlichkeit
des neutestamentlichen Ethos geht der Verfasser der
vorliegenden Darstellung, die auf einer Reihe eigener
und fremder Voruntersuchungen aufbauen kann, aus, und
sie beherrscht die Entfaltung der verschiedenen Einzelprobleme
. Nach einer Einleitung, die die berührten
grundsätzlichen Fragen behandelt, ist in einem ersten
Kapitel, das zwei Drittel des ganzen Buches umfaßt,
„die Lebenshaltung des Urchristentums in ihrer Bestimmtheit
von der Eschatologie des Reiches Gottes"
dargestellt. Hier ist das Telos-Ethos des Urchristentums
in seiner geisterfüllten, lebengestaltenden Dynamik im
Gegensatz zu der Ethik des Judentums, der Stoa und
der Mysterrienreligionen scharf und klar herausgearbeitet
. Dieselben Gesichtspunkte und dieselben Gegenüberstellungen
ergeben sich immer wieder, ob im einzelnen
yom Problem der Nächstenliebe, von der Stellung zur
Welt und ihren Gütern (Obrigkeit, Besitz), von der
inhaltlichen Umprägung übernommener Begriffe wie Liebe
, Reinheit, Vollkommenheit, Lohn, Tugend, oder von

der Stellung des einzelnen zur Gemeinschaft die Rede
ist. Unabhängig von aller Zeitgebundenheit des praktischen
sittlichen Verhaltens kommt die der neutestamentlichen
Botschaft innewohnende Kraft zur Gestaltung
des Lebens zur Geltung. Sie macht es dem Christen
möglich, ohne Seitenblicke auf das Urteil der Welt,
auf den eigenen Nutzen oder auf irgendwelche innerweltlichen
Ziele und Zwecke, ja selbst in schroffem Gegensatz
zur Welt, Christ zu sein, d.h., Gottes in
Christus geoffenbarte Liebe in seinem Handeln zu verwirklichen
. Allerdings sind auch im Leben des Christen
tatsächlich mannigfaltige Motive wirksam, und auch im
Neuen Testament ist dem Rechnung getragen. Aber
dadurch wird die grundsätzliche Einheit der eschatologi-
schen Begründung des neutestamentlichen Ethos nicht
gefährdet. So wird man von zeitbedingten Wandlungen
sprechen, denen auch das Evangelium ausgesetzt war.
Der Verfasser unterscheidet dabei drei Perioden, Paulus,
die mittlere Zeit und den Ausgang des Urchristentums.
Über die Periodisierung und die Verteilung der Quellen
auf die einzelnen Abschnitte, bei der nun natürlich auch
einleitungswissenschaftliche Erkenntnisse die Voraussetzung
bilden, wollen wir nicht streiten. Von grundsätzlicher
Bedeutung aber ist die Einschiebung dieses
zweiten Kapitels: „Wandlungen in der Lebensauffassung
des Urchristentums" als solche. Wenn wir auf die Geschichte
der christlichen Sittlichkeit sehen, dann ist allerdings
keine Frage, daß im Laufe der Zeit die dem Evangelium
gleichgültigen und sogar fremden Motive des
sittlichen Handelns, sowie die nomistische und kasuistische
Ausprägung der zugrundeliegenden Normen in unseren
Quellenschriften eine immer größere Rolle spielen.
Andrerseits wird man nicht etwa von einer klassischen
Zeit des christlichen Ethos sprechen dürfen, in der solche
Wandlungen noch nicht statt gehabt hätten. Ethos
ist niemals da ohne Ethik. Nicht erst in einem späteren
Stadium der Entwicklung wird aus dem neutestamentlichen
Ethos christliche Ethik, sondern schon in Jesu
eigenen Worten nimmt diese neue sittliche Dynamik die
verschiedenen möglichen Formen menschlicher Sittlichkeit
an. Das ist als exegetisches Problem gerade auch
in dem vorliegenden Werk immer wieder hervorgehoben.
Man darf es nicht mißverstehen, wenn gelegentlich auch
bei Jesus rationale, utilitaristische oder humanistische
Motive die sittliche Forderung unterstützen und damit
an die Stelle des echten urchristlichen ethischen Pathos
zu treten scheinen (Matth. 6, 34 b). Man darf in solchen
Fällen nicht von Unechtheit und Gemeindetheologie
reden. Darin beweist sich die Schlichtheit der Botschaft
Jesu, die als Ausdrucksmittel keineswegs nur radikale,
enthusiastische, asketische Forderungen kennt — vgl.
den Gegensatz zwischen Jesu« und Johannes dem Täufer
an diesem Punkte — sondern die auch im sittlichen
Alltagsleben ihre nüchterne, unscheinbare Verwirklichung
finden kann. Gewiß tritt das urchristliche Telos-Ethos
in Kampf und Leiden am deutlichsten hervor, aber es
bewährt sich erst recht in der stillen Tat der Nächstenliebe
. Mit den eindringenden anthropozentrischen Motiven
, mit der drohenden Vermenschlichung und Vergesetzlichung
des Ethos hat der Glaube allezeit zu kämpfen
. Die neutestamentlichen Quellen zeigen alle diesen
Kampf und sie zeigen auch von vornherein das menschliche
Versagen — selbst die Jünger denken immer wieder
an sich selbst, an ihre Leistung, und an ihren Vorteil
—. Der Kampf zwischen Ethos und Moralismus ist
im neutestamentlichen Zeitalter nicht mit einem Sieg
des letzteren entschieden worden. Es ist der Bußkampf
des Glaubens gegen die im Menschen immer wieder
Geltung suchende Selbstgerechtigkeit. Die Notwendigkeit
dieses Kampfes kennt das Neue Testament in allen
seinen Teilen; so bleibt die innere Geschlossenheit trotz
aller Mannigfaltigkeit der äußeren Gestaltung erhalten.
Das kommt in dem zusammenfassenden dritten Kapitel
noch einmal zum Ausdruck. In dieser eigenartigen Sicherheit
der eschatologisch (transzendent) bestimmten