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Ausgabe:

1935 Nr. 13

Spalte:

237-238

Autor/Hrsg.:

Gogarten, Friedrich

Titel/Untertitel:

Das Bekenntnis der Kirche 1935

Rezensent:

Wobbermin, Georg

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Seite 1

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237

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 13.

238

deutung: was in Deutschland schon ausgekämpft, ist in
der Welt noch nicht entschieden.

Im Bereich der Wertung ein in sich geschlossenes
(man kann, aber braucht die Wertung nicht anzunehmen
), im Bereich des Tatsächlichen ein objektives Buch
(die Tatsachen und deren Darstellung muß man annehmen
). Gewaltig der bearbeitete Stoff, erstaunlich der
Fleiß, groß die Anlage, folgerichtig der Aufbau und klar
der Stil des Buches! Die wenigen aber bezeichnenden
Abbildungen beleben und ergänzen den Text aufs beste.
Alles in allem: Algermissens Gottlosenbewegung ist
ein Stück — durchlebter, abgrundtiefer und dämonischer
— Geschichte. Sein Buch lasse auch heute Deutschland
und das Christentum ihre Sendung erkennen: Ein Wall
zu sein gegen den Bolschewismus und seine Gottlosenbewegung
.

Schneidcmühl. Oberkonsistorialrat Dr. Friedrich Koch.

Gogarten, Friedrich: Das Bekenntnis der Kirche. Jena: Eugen
Diederichs [1934]. (93 S) 8°. kart. RM 2.90.

Diese 90 Seiten umfassende Schrift Gogartens setzt
sich aus 3 Kapiteln zusammen: I. Das Bekenntnis der
Kirche (S. 5—52); II. Die Bedeutung des Bekenntnisses
(S. 53—74); III. Die Problemlage der theologischen
Wissenschaft (S. 75—90).

Es ist sofort deutlich, daß das Schwergewicht auf
dem I. Kapitel liegt. Und dieser Umstand erhält um so
größere Bedeutung, wenn man hinzu nimmt, daß das
II. Kapitel einen schon im Sommer des Jahres 1930 gehaltenen
Vortrag wiedergibt. Dieses II. Kapitel liegt
also vor dem Bruch Gogartens mit Karl Barth, während
dieser Bruch im I. Kapitel mehrfach stark zur Geltung
kommt.

Die innere Zwiespältigkeit der sog. dialektischen
Theologie hat ja unter der Einwirkung der kirchenpolitischen
Entwicklung zum Auseinanderbrechen der vorher
durch Barth zusammengehaltenen Kreise geführt.
In dein Streit zwischen Barth und Brunner ist dieser
Sachverhalt am deutlichsten in die Erscheinung getreten.
Aber auch Gogarten hat sich in beträchtlichem
Maße von Barth abgewandt. Infolgedessen
läßt das I. Kapitel die gesunden und anzuerkennenden
Momente der theologischen Position Gogartens
stark hervortreten. Dabei muß freilich sofort der Vorbehalt
hinzugefügt werden, daß die von Gogarten noch beibehaltene
Vorliebe für eigene, z. T. eigenwillige Terminologien
und paradoxe Redewendungen die volle Klarheit
seiner Ausführungen nicht selten beeinträchtigt,
ja geradezu Mehrdeutigkeit und SLnnverschiebung begünstigt
. Gleich der Anfang bietet ein Beispiel: „Die
Kirche hat ihren Ort an der äußersten Grenze der
menschlichen Existenz, — dort, wo die Zeit ihr Ende
findet an der Ewigkeit und wo man darum keine Zeit
mehr hat, — wo das irdische Leben im Tode
zunichte wird, . . ." Aber das ist nun doch nicht
so gemeint, wie es zunächst lautet. Denn weiterhin heißt
es, daß der Ort der Kirche „doch immer schon gegenwärtig
ist" — sogar mit einer „penetranten" Gegenwärtigkeit
.

Aber abgesehen von solchen Spielereien und Künsteleien
verdient die Darlegung des I. Kapitels über Sinn
und Aufgabe des Bekenntnisses weithin Zustimmung.
Besonders beachtenswert ist das nachdrückliche Gewicht-
legen darauf, daß keine Auffassung und Verwertung des
Bekenntnisses als wahrhaft evangelisch gelten darf, die
das Bekenntnis als eine statische Größe ansieht.
»So wenig wie das Wort Gottes eine statische Größe
ist in dem Sinne, daß es eine Summe von für wahr zu
haltenden Glaubenssätzen wäre, ebensowenig ist darum
das Bekenntnis etwas Statisches." Von dieser den Kern
der Sache treffenden Einsicht aus ergeben sich für Gogarten
weitere wichtige Aufstellungen. Die Lehre der
evangelischen Kirche dürfe ihrem Wesen nach nicht so
angesehen werden, als ob sie allein aus der Vergangenheit
heraus zu verstehen sei; sie müsse vielmehr den

Menschen in seiner Gegenwart treffen und müsse ihm
daher unmittelbar aus seiner Gegenwart verständlich
werden. Denn Glaube evangelischer Art gehe nie auf
Einzellehren, also auch nicht auf eine Summe von Einzellehren
, wie sie in den Bekenntnisschriften der Reformationszeit
vorliege; er gehe vielmehr immer auf die
Frage der letzten Sicherung unseres ganzen Daseins.
Und letzte Sicherung gebe es nur aus dem, was wir Religion
, Bindung nennen; das dürfe keine Bindung sein, die
wir uns selbst machen oder ausdenken, denn dann wäre
es nicht die unverbrüchliche Bindung, die wir meinen,
wenn „wir die religio suchen". Frommes Heidentum
aber sei, wenn ein Volk einmal in seiner Geschichte
durch das Christentum hindurchgegangen ist, nur noch
Romantik.

Diese ganze Gedankenführung Gogartens erinnert an
allen Hauptpunkten aufs stärkste an diejenige Schleiermachers
, in Sonderheit gerade an die Grundlehre
Schleiermachers vom schlechthinigen Abhängigkeitsgefühl
und der mit ihr verbundenen Forderung der Anerkennung
schlechthiniger d. h. die menschliche Existenz
in ihrer Totalität betreffender Abhängigkeit von dem
Gott, der den Menschen die höchste Offenbarung seines
Wesens und Willens in Jesus Christus geschenkt hat.
Man müßte also meinen, die theologische Gesamtdenkweise
Gogartens ziele jetzt bewußt auf die Einhaltung
der Linie Luther-Schleiermacher ab. Indeß — das ist
nun doch nicht der Fall, wie das III. Kapitel „Die Problemlage
der theologischen Wissenschaft" zeigt. Denn
hier wird Schleiermacher als der große Irrlehrer hingestellt
, der die Irreführung der evangelischen Theologie
der letzten 100 Jahre verschuldet habe, der deshalb mit
den judaistischen Gegnern des Paulus und dem großen
Ketzer Arius auf eine Linie zu stellen sei.

Wie wird es Gogarten möglich, diese Betrachtung
j noch jetzt festzuhalten und sie mit den Ausführungen
! des I. Kapitels zu einem scheinbar einheitlichen Ganzen
zu vereinen? Es wird ihm möglich durch den als
II. Kapitel zwischen eingeschobenen Vortrag aus dem
Jahre 1930. Denn in diesem Vortrag ist der Barthsche
Sauerteig noch in stärkstem Maße wirksam. Schleiermachers
Lehre vom sehlechthinigeii Abhängigkeitsgefühl
wird — unter Nichtbeachtung aller neueren Schleiermacherforschung
— so mißverstanden und mißdeutet,
daß sie in ihr volles Gegenteil verkehrt wird. Die Forderung
, der Mensch solle die restlose Abhängigkeit seiner
ganzen Existenz nicht etwa nur in allerweitestem
Umfang — das wäre für Schleiermacher noch bloß „teilweise
" Abhängigkeit — sondern ohne jeden Vorbehalt
anerkennen, wird in die Behauptung umgesetzt, der
Mensch könne und solle das Verständnis seiner Existenz
aus sich selbst gewinnen. Und daraufhin wird dann
Schleiermachers Lehre vom schlechthinigen Abhängigkeitsgefühl
und der in ihm sich bekundenden schlechthinigen
Abhängigkeit der menschlichen Gesamtexistenz
in die Lehre von „der schlechthinigen Souveränität des
Menschen und des menschlichen Geistes" umgesetzt —
das heißt aber: sie wird in ihr Gegenteil verkehrt.

Gogarten wird also den Barthschen Sauerteig noch
sehr viel gründlicher auskehren müssen, als es die
vorliegende Schrift in immerhin bedeutsamen Ansätzen
tut, wenn er vermeiden will, daß derselbe innere Zwiespalt
, der der dialektischen Theologie im ganzen zum
Verhängnis geworden ist, auch seine theologische Arbeit
auseinanderbrechen läßt.

Göttinnen. G. Wobbcrmin.

Rittelmeyer, Friedrich: Meditation. Zwölf Briefe über Selbsterziehung
. Stuttgart: Verl. der Christcngemcinschaft [1929]. (242 S.)
8°. RM 4— ; geb. 5.S0.

Wenn wir dieses Buch Rittelmeyers hier anzeigen,
ohne mit ihm theologisch mitgehen zu können, so geschieht
das deshalb, weil hier eine Lücke ausgefüllt wird
in unseren kirchlichen Erneuerungsbestrebungen, die bisher
sonst allein von den Berneuchenern erkannt ist, abge-