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Ausgabe:

1935 Nr. 13

Spalte:

234-235

Autor/Hrsg.:

Vuilleumier, Henri

Titel/Untertitel:

Le déclin du régime bernois 1935

Rezensent:

Stählin, Ernst

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233 Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 13. 234

in denen die erzählenden Abschnitte gelesen, die hymni- Aussagen feststellen lassen (z. B die volkstümliche"
sehen Abschnitte aber gesungen wurden. Vor allem das Eschatologie und die vergeistigte Auffassung des ewigen
Joh.-Ev. enthält zahlreiche Prosahymnen, die galtungs- Lebens) leichter ertragbar, wenn sie sich auf Prosastücke
geschichtlich in die umfangreiche orientalische Uber- unc] Hymnen verteilen. Vor allem aber läßt sich die
lieferung von Prosahymnen hineingehören. Auf solche Anordnung der einzelnen Stücke, die für viele Forscher
Prosarrymnen bezieht sich auch der urchristliche Sprach- , €jn.e Unordnung ist, aus dem praktischen Gebrauch der
gebrauch von Hymnus; und die bekannten Zeugnisse Hymnen leicht verständlich machen. Die Hvmnen wur-
von Kol. 3,16 bis zum Pliniusbrief an Kaiser Hadrian den für den Gottesdienst aus ihrem Zusammenhang
und darüber hinaus in der Geschichte der ganzen Kirche ( herausgenommen und gesondert abgeschrieben und dann
beweisen ihre Verwendung im Gottesdienst. Es ist auch gelegentlich an falscher Stelle wieder eingefügt Dem
allgemein anerkannt, daß im Neuen Testament der- Berichterstatter allerdings wollen diese einleituno-swis-
artige Stücke erhalten sind; 1. Tim. 6,15f.; 2. Tim. , senschaf fliehen Thesen eher als eine Belastuno- denn als
2, llf.; Eph. 5,14 sind Beispiele dafür. Vor allem aber e;ne Empfehlung der Hauptthese erscheinen, Diese letzmuß
an die Psalmendichtung gedacht werden, die in tere bedeutet für sich genommen entschieden einen
Anlehnung an den alttestamentlichen Psalter diesen im | Fortschritt im Verständnis des Joh.-Ev. als eines kirchgleichen
Stil schon in der griechischen Übersetzung er- ; liehen Perikopenbuches. Zwei Gruppen von gebunde-
weiterte und durch ähnliche Stücke aus dem Alten : nen Texten unterscheidet der Verfasser: Einmal die die
Testament ergänzte. Im Neuen Testament enthält vor Erzählung der Kapitel 2—13 unterbrechenden gehobeallem
die Kindheitsgeschichte bei Lukas Dichtungen ! neil Prosatexte, die gewisse Höhepunkte der Darstelluno-
im Stile alttestamentlicher Psalmen. So ist überall die ; bezeichnen, z. B. 6,32—58; 5,19—47; 8,12—58; 10,
semitische Grundlage spürbar, auch wenn die Frage, 25—38 usw. Daneben stehen die eigentlichen Hymnen!
ob es sich beim Joh.-Ev. etwa um ein Übersetzungswerk j die der Verfasser im Schlußkapitel in rhythmischer Anhandelt
(vgl. zuletzt Burney), von dem Verfasser mit
Recht aus dem Spiel gelassen wird. Der eigenartige
Charakter semitischer Hymnologie, der sich in der rhythmischen
Gedankenbildung (Parallelismus) und in der
rhythmischen Satzbildung (Betonung) ausgeprägt hat,
setzt sich auch in griechischen Texten ohne unmittelbare
semitische Grundlage durch. Der Verfasser geht
nun vor allem der Frage des Parallelismus nach. Er
unterscheidet synonymen, antithetischen und synthetischen
, dazu klimaktischen, die Gedanken fortführenden
Und steigernden, Parallelismus, und führt dafür zahlreiche
Beispiele nicht nur aus verschiedenen Büchern
des Alten Testaments, besonders natürlich den Psalmen,
sondern auch aus babylonischen und ägyptischen Hymnen
an. Daneben sind immer wieder Verse aus dem
Joh.-Ev. gestellt, die dieselbe Art des gedanklichen
Parallelismus zeigen. Ähnlich liegt es mit bezug auf den
sprachlichen Rhythmus. Auch hier besteht ein durchgreifender
Unterschied zwischen der semitischen und
der indogermanischen Metrik, da die erste eine Gruppe
von Worten zusammenzufassen und nur eine Tonsilbe
herauszuheben vermag. So ist auch hier der Unterschied
zwischen hymnischer Prosa und eigentlichen Hymnen
ein mehr fließender und der Begriff des Hymnus kann
sehr weit gefaßt werden. Auch scheint der Wechsel zwischen
verschiedenen Arten des Rhythmus oft willkürlich
. Jedenfalls hat der Psalmist die Möglichkeit in demselben
Hvmnus von einem Metrum zum anderen überzugehen
, um nach Art und Stärke von einander verschiedene
Gefühle auszudrücken. Besonders eindrucksvoll
ist die Gegenüberstellung der johanneischen Prosahym-
nen mit der spätjüdischen und frühchristlichen Hymnen
-Überlieferung. Neben Stücken aus der Sapientia kommen
hier die Oden Salomos inbetracht; bei ihnen liegt
ja auch eine gewisse inhaltliche Verwandtschaft vor.
Die Oden werden dabei als christlich (judenchristlich)
verstanden. So sehr sie auch andere apokryphe Hymnen
wie die Psalmen Salomos oder die hymnischen
Einschübe in den apokryphen Apostelgeschichten an
Kraft des ekstatischen Erlebnisses überragen, hinter
den johanneischen Hymnen folgen sie doch erst in weitem
Abstand.

Diese johanneischen Hymnen aber stammen aus der
Praxis des christlichen Gottesdienstes. Als gegen Ende
des ersten Jahrhunderts die Kirche die Notwendigkeit
einer neuen theologischen und kultisch tieferen Erfassung
des Christusbildes empfand, da hat das Joh.-Ev.
diesem Bedürfnis entsprochen. Seine Eigenart besteht
in der Durchsetzung der Erzählung mit hymnischen
Stücken, die die Vorlesung belebend unterbrachen. Ne

Ordnung abdruckt: 1, 1 — IS der Logos, 10, 1—18 der
gute Hirte, 3,16—21; 31—36 die Liebe Gottes und
sein Zorn, 17,1—26 das Gebet, 15,1—27 der wahre
Weinstock, 16,1—33 der Paraklet, 14,1—31 der Friede.
Mit dieser Darbietung der Texte in der vom Verfasser
für richtig gehaltenen Reihenfolge ist gewissermaßen
die Probe aufs Exempel gemacht, und man wird zugeben
müssen, daß nicht nur die gattungsgeschichtliche
Einordnung der johanneischen Texte in die vorderorientalische
Hymnenüberlieferung ihr Verständnis fördert,
sondern daß besonders der Versuch, diesen Texten ihren
bestimmten Platz im Gottesdienst zuzuweisen und sie
von da aus gedanklich und formal zu verstehen, grundsätzliche
methodische Bedeutung hat. So wie Kundsin
in seinen topographischen Untersuchungen zum Joh.-Ev.
von dem Interesse der Pilger an den heiligen Stätten
aus die Ortsüberlieferung des Joh.-Ev. kultgeschichtlich
zu erklären suchte, so wird hier die literarische
Form des Evangeliums vom Kult her verstanden. Grundsätzlich
ist das jedenfalls richtig und deshalb behält
die Durcharbeitung des Textes unter diesem Gesichtspunkt
ihren Wert, auch wenn die Einzelergebnisse der
Nachprüfung bedürfen.
Gießen. Georg; Bertram.

Vuilleumier, Henri: Histoire de l'6glise reformGe du Pays
de Vaud sous le regime Bernois. Tome IV. Le declin du regime
Bernois. Lausanne: Edilions la Concorde 1933. (XV, 790 S. u.
2 Taf.) Lex. 8°. Fr. 15—.

Der vierte Band des gewaltigen posthumen Werkes
des ehemaligen Lausanner Alttestamentlers und Kirchenhistorikers
Henri Vuilleumier hat den Waadtländer
Protestantismus im Zeitalter der Aufklärung zum Gegenstand
. Die Zeit, die behandelt wird, ist keine schöpferische
, dagegen die Darstellung fast noch ausführlicher
als diejenige der früheren Perioden. Das macht die Lektüre
oft etwas mühsam. Trotzdem ist auch dieser vierte
und letzte Band von größtem Werte.

Über den reichen Inhalt können wir nur dürftige Andeutungen
machen. Das erste Kapitel handelt vom Wandel
der institutionellen Verhältnisse und von den äußern
Lebensumständen der Waadtländer Geistlichkeit. Im
zweiten Kapitel wird das gottesdienstliche Wesen geschildert
: die Entwicklung der Liturgie, des Gesanges,
der Predigt, der Konfirmation; auch in die Leistungen
auf dem Gebiete des Kirchenbaus werden wir genau eingeführt
. Im dritten Kapitel ist von der Lehre die Rede:
von der Außerkurssetzung der Formula consensus, vom
Aufkommen neuer Katechismen, von der großen apologetischen
Literatur gegen Deisten, Skeptiker und Materiali-
benbei scheinen sich durch diese Unterscheidung Mög- j sten. Endlich werden die Beziehungen des Waadtländer

lichkeiten für eine einfachere Lösung verschiedener jo- | Protestantismus zu den übrigen Kirchen aufgezeigt: im
hanneischer Probleme zu ergeben. So werden die Wider- ! Vordergrund stehen naturgemäß diejenigen zu den Walsprüche
, die sich zwischen verschiedenen johanneischen ! densern und zu der Kirche der Wüste in Frankreich-