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Ausgabe:

1935 Nr. 11

Spalte:

205-206

Autor/Hrsg.:

Lohoff, Heinrich

Titel/Untertitel:

Ursprung und Entwicklung der religiösen Volkskunde 1935

Rezensent:

Uckeley, Alfred

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205

Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 11.

206

die Eisenacher Konferenz hätte in ihrer positiven Vorarbeit
eine genauere Skizze verdient. Die Jugend muß es
lernen, daß wir in Stuttgart 1922 unendlich viel weiter
waren, als heute. Überhaupt verdient die positive
Arbeit der „alten Kirche" eine wärmere Berücksichtigung
, damit wieder eine gerechtere Beurteilung einsetzt
. Aber schließlich ist das ganze Buch Schians ja
eine Würdigung der kirchlichen Vergangenheit. Sie muß
der Jugend nur mit kräftigen Worten lebendig gemacht
werden.

Hier verdient die ruhige Objektivität des Verfassers
eine Ergänzung durch einige agressive Töne. Die Stoffeinteilung
ist dieselbe geblieben. Im Verhältnis der kirchlichen
Liebesarbeit zur „Wohlfahrtspflege" müßten die
neueren praktischen Verhältnisse ausführlicher berücksichtigt
werden. (Verhältnis zur NSV und dergl.).

Möge das Buch auch weiterhin seinen Segen stiften
und auch der praktischen Theologie den Dienst leisten,
sie auf der Höhe wissenschaftlicher Arbeit zu erhalten
.

Greifswald. Ed. von der Goltz.

Loh off, Dr. Heinrich: Ursprung und Entwicklung der Religiösen
Volkskunde. Greifswald: L Bamberg 1934. (158 S.) gr. 8°.
= Deutsches Werden. Greifswalder Forschgn. z. dtsch. Geistesgesch.
Hrsg. von L. Magon u. W. Stammler. H. 6. RM 4.50.

Die feine, eindringende Studie hat bei der Greifswalder
philosophischen Fakultät als Inaugural-Disserta-
tion gedient. Sie behandelt S. 6—37 das Problem der
Religiösen Volkskunde, seine Begründung und Begren-
2ung, sowie die Entwicklung seiner literarischen Bearbeitung
. Es wird mit Recht auf K. Büchsei als den „Vater
der Religiösen Volkskunde" hingewiesen, neben den
sich Engelbach in seinem „Pfarrleben in einem Ge-
birgsdorf" (1881) stellt. Dazu kommt H. Gebhardt
(1885), sowie P. Gerade (1895). Auch Adolf Stöcker
und Paul Göhre, sowie Martin Rade werden als wichtige
Förderer religiös - volkskundlicher Beobachtungen genannt
und beurteilt. Als selbständige Disziplin innerhalb
der theologischen Wissenschaft ist die Religiöse Volkskunde
durch Paul Drews (1901) eingeführt worden, neben
den Friedr. Niebergall (1903) zu stellen ist. Die
bekannte Studie von l'Houet (1905) gilt dem Vf. als
Warnendes Beispiel einer einseitigen Begeisterung für
das „Volkstümliche und Wurzelechte"! — Sodann ist
die Zeitschrift „Die Dorfkirche", nach v. Lüpkes Tod
v°n Rieh. Paluk geschickt und ansprechend herausgegeben
, als Sammelplatz und Pflegort religiös-volkskund-
hcher Studien zu nennen. „Was Drews erstrebt hatte,
hat in gewissem Sinne Niebergall zum Abschluß gebracht
, indem er seinem Lehrbuch der Praktischen Theologie
(1918) einen Hauptteil einfügt über „die gegebene
Gemeinde" und in ihm behandelt: Religiöse Seelen
- und Volkskunde, Sittliche Volkskunde und kirchliche
Volkskunde. Damit war der Religiösen Volkskunde
endlich ihr Platz in der theologischen Wissenschaft angewiesen
worden." Es ist verdienstvoll, daß der Vf. so
m Kürze den Werdegang der Relig. Volkskunde zu einer
anerkannten Teildisziplin der Praktischen Theologie beschrieben
und festgelegt hat. — Im zweiten Teil seiner
Arbeit beschäftigt er sich mit zwei Theologen der Auf-
Märungszeit, die zuerst die Möglichkeit geschaffen haben
, „ohne die beschlagene Brille der Orthodoxie das
religiöse Leben des Volkes so zu sehen, wie es ist". Es
sind das Ravmund Dapp, auf den schon Gabriel (Dorfkirche
1918 S. 81ff.) und Aner (Jahrb. f. Brandenb.
K.G. 1919 S. SOff.) die Aufmerksamkeit gelenkt hatte,
Und Frdr. Erdm. Aug. Hevdenreich, letzterer besonders
bedeutsam durch seine Schrift: Über den Charakter
des Landmannes in religiöser Hinsicht, 1800. Dies ungefüge
und schwerfällige Buch von fast 600 Seiten
wirklich kritisch durchgearbeitet und in seinem Wesentlichsten
wiedergegeben zu haben, ist ein Verdienst des
Vfs. Er hat dadurch zur Unwiderlegbarkeit gebracht,
daß wir in dem Werk dieses Theologen der Aufklärung

| die erste systematische Religiöse Volkskunde besitzen.
Durch den kritischen Hinweis auf eine Reihe von Tatbeständen
führt Lohoff den Beweis, wie sehr jede nur
verstandesmäßige Erklärung der bäuerlichen Frömmigkeitsäußerungen
an der Oberfläche bleiben muß. Es sei
als Bestätigung seines Resultats auf die feine, treffende
Bemerkung D. Paul Kleinerts in seinen Selbstgesprächen
am Kranken- und Sterbelager (1896) hingewiesen, in
denen er (S. 37) von Gebhardt schreibt: „Der Mann,
der kürzlich ein Buch über der Bauern Glaubens- und

i Sittenlehre schrieb, hat vieles scharf beobachtet, Ge-
dörr und Gestrüpp richtig geschildert. Aber die Erzader
im Charakter des Landmanns hat er nicht gesehen. Ein
scharfes Auge sieht die Wirklichkeit, die volle Wahrheit
sieht nur das Auge der Liebe, die mit den andern
lebt, nicht über ihnen." Liier liegt wohl der Grund
verborgen, weshalb die Religiöse Volkskunde, wie die
Aufklärungstheologie sie, scharf zuschauend und forschend
, damals herausarbeitete, doch als Wissenschaftszweig
unfruchtbar blieb, und erst als sie von anderen
Einstellungen und Voraussetzungen aus angefaßt wurde,
sich als lebenskräftig und für Homiletik und Seelsorge
belangreich erwies.
Marburg. Alfred Uckeley.

Leese, Kurt: Rasse - Religion - Ethos. Drei Kapitel zur religiösen
Lage der Gegenwart. Gotha: L. Klotz 1934. (119 S.) gr. 8°. RM 3.80.

Die Schrift Leeses umfaßt drei Kapitel. Zuerst behandelt
sie die Frage nach Rasse, Religion, Ethos und
untersucht die geistesgeschichtliche Lage und Aufgabe,
sowie die Beziehungen zwischen Rassenkunde und Wertphilosophie
. Gerade diese Fragestellung erweist sich
als äußerst fruchtbar, und die genaue Unterscheidung
von Anlagen der Rasse einerseits und Eigenschaften
und Werten andererseits vermag das gesamte Rassenproblem
sehr zu vertiefen. Dann beschäftigt sich Leese
mit Religion und Ethos der Inder, der Perser, der Griechen
, der Germanen und findet das Arteigene der Frömmigkeit
des deutschen Menschen in einer Vereinigung
des Unendlichkeitsdranges und der Freude am Werden
indischer Herkunft mit dem kämpferischen Zug der
persischen Religion, sowie mit der dionysischen und
apollinischen Naturmystik der Griechen und der hartnäckigen
Selbstbehauptung der Germanen gegenüberdem
düsteren Schicksalsglauben. Diese Untersuchungen, die
mit großer religionswissenschaftlicher Sachkenntnis und
abwägender Vorsicht und Zuverlässigkeit des Urteils
geführt werden, sind der Unterbau zu einem zweiten Ka-
j pitel über folgende Symbole völkischen Denkens: die
j Dämonie des Werdens, den Scbicksalsglauben und die
| Naturmystik. Ein dritter Teil befaßt sich mit dem Christentum
und stellt die Rassenfrage und die Wesensfrage
heraus. Zahlreiche Anmerkungen bieten reichhaltige Belege
und ©ine gute Anleitung zu weiterem Studium.

Der eigene Standpunkt des Verfassers, der ihm Ausgangspunkt
aller Kritik und Maßstab der Scheidung der
j Geister wird, ist ein an Koepp erinnernder Panagapis-
mus, wobei Agape als die bis zur vollkommensten Selbstverleugnung
und Selbstentäußerung sich hingebende Gü-
j te verstanden wird (S. 107). Dieser Ausgangspunkt führt
gewiß ins Zentrum des Christentums und ist mit wer-
, bender Wärme herausgearbeitet. Aber es fragt sich
j ob er genügt, um eine Verflüchtigung des konkreten
I Christentums in seine tragende Grundidee zu verhin-
I dem, und ob diese Idee eindeutig genug ist, um ein
klares Programm aus sich herauszusetzen. Der Kampf
gegen die dialektische Theologie ist erfrischend und
sehr berechtigt, aber der Ersatz der „Theologie des
einen Punktes" durch die „Theologie der vielen, ja unendlichen
Punkte" bedeutet doch die Gefahr der Aufgabe
der Absolutheit des Christentums und seiner Relativierung
(S. 8). In der Tat wird es dem Verfasser mög-
j lieh, in einem Atem von einer sprachlichen, wirtschaftlichen
, technischen usw. und religiösen Kultur zu reden
j (S. 12). Hier landet man wieder bei einer Religion des